Antwort auf die Frage, warum unser Schulsystem katastrophal ist
Submitted by Niklas Zehner (nicht überprüft) on 14. September 2023 - 23:22.
Sehr geehrter Verfasser des Artikels bezüglich dem Abiturjahrgang 2023 des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums,
Ihrem Artikel entnehme ich eine interessante Frage: Warum bezeichnete die Rednerin bei der Abiturrede unser Schulsystem als "katastrophal"? Gerne möchte ich ihnen auf diesem Wege eine Antwort bieten.
Zum Einstieg sollten wir mit einer grundlegenden Betrachtung der Rolle von Bildung in unserer Gesellschaft beginnen. Im Gegensatz zu den meisten Tieren, die mit einem angeborenen Instinkt auf die Welt kommen und schnell unabhängig von ihren Eltern leben können, sind wir Menschen auf Bildung und Erziehung angewiesen. Unsere Kindheit und Jugend verbringen wir damit, die Welt zu erkunden und Wissen anzuhäufen. In der Grundschule geschieht dies oft spielerisch und mit Freude.
Doch ab der fünften Klasse scheint der Ernst des Lebens zu beginnen. Kreatives Schreiben weicht einem stärker standardisierten Lehrplan, zwischenmenschliche Interaktion wird weniger betont, und die Inhalte verlieren häufig ihren persönlichen Bezug. „Wo sind die neugierigen Forscher und Entdecker aus unseren jungen Jahren nur geblieben“, fragt man sich, wenn man die Schüler in der Mittelstufe sieht.
Ein häufig genanntes Argument ist, dass die Schule nicht ausreichend auf praktische Fähigkeiten im Erwachsenenleben vorbereitet, wie beispielsweise die Bearbeitung einer Steuererklärung. Die Art der Argumente kritisieren die Inhalte. Das mag wichtig sein, doch meiner Meinung nach längst nicht so wichtig, wie die Kritik an dem gesamten Bildungssystem. Um eine fundierte Antwort zu geben, sollten wir den Zweck unseres Bildungssystems genauer betrachten.
Das Kernprinzip der Schule in Deutschland basiert auf den drei Anforderungsbereichen.
Anforderungsbereich I umfasst einfache Wissensvermittlung und Reproduktion, wie das Aufschreiben von Gelerntem. Dieser Aspekt wird in den unteren Klassenstufen vermittelt. Interessanter wird es ungefähr ab der siebten Klasse, mit Anforderungsbereich II, wo das Gelernte in neuen Zusammenhängen angewendet werden soll. Erst in der Oberstufe tritt Anforderungsbereich III in den Fokus, wo Schüler eigenes Wissen nutzen, um eigene Meinungen zu bilden und komplexe Sachverhalte zu bewerten. Diese Struktur finde ich grundlegend gut, doch ist die Art und Weise, wie die Anforderungsbereiche gelehrt werden konstant sehr schlecht.
Das System selbst hat sich seit über einem Jahrhundert kaum verändert, und der größte Nachteil ist, dass ein erheblicher Teil des Unterrichts immer noch in Form von Frontalunterricht stattfindet, bei dem die Schüler einfach nur zuhören. Während sich die Welt um uns herum ständig weiterentwickelt und neue Herausforderungen mit sich bringt, bleibt das Klassenzimmer nahezu unverändert.
Früher mag es vielleicht ausreichend gewesen sein, Arbeiter auszubilden, die in linearen Aufgabenbereichen arbeiten konnten. Doch heute benötigen wir flexible Fachkräfte, die in der Lage sind, verschiedene und neuartige Aufgaben zu bewältigen. Es ist nicht mehr ausreichend, Schülern beizubringen, in vorgegebenen Bahnen zu denken, wie es oft in der Schule der Fall ist.
Harald Lesch bringt diese Problematik treffend auf den Punkt, wenn er sagt: "wenn Schule anders wäre [...] und aus allen unseren Schulen tolle, junge Leute herauskämen, die richtig gebildet wären und wüssten, was sie wollten, müssten wir unser Wirtschaftssystem zu machen, weil die brauchen den ganzen Schrott nicht, das heißt wir brauchen möglichst schlechte Schulen, damit wir genügend Kunden für den Müll haben, den wir ihnen andrehen wollen. Das geht bis in die Politik, wir brauchen möglichst unmündige Wähler, damit die ihre ständigen Diskussionsveranstaltungen im Fernsehen machen können."
Ich stimme dieser Einschätzung zu und glaube nicht, dass die Unfähigkeit der Entscheidungsträger allein für die Mängel unseres Bildungssystems verantwortlich ist. Insbesondere angesichts der aufkommenden Herausforderungen und Möglichkeiten im Zeitalter der künstlichen Intelligenz müssen wir dringend Änderungen vornehmen.
Warum sollten wir heute noch so viel auswendig lernen, wenn wir durch das Internet Zugriff auf nahezu unbegrenztes Wissen haben? Ist es nicht viel wichtiger, das Verständnis und die Fähigkeit zur Anwendung dieses Wissens zu fördern?
Albert Einstein sagte einmal: "Erfahrung ist Wissen, alles andere sind nur Informationen." Doch in unserer Schule geht es oft nicht mehr darum, Prozesse und Verständnis zu vermitteln. Das Schulsystem ist darauf ausgerichtet, dass Schüler die gleichen Informationen auswendig lernen, unabhängig von ihren individuellen Stärken und Interessen. Dies führt zu einem Mangel an Vorbereitung auf die Zukunft und einem Fokus auf die Vergangenheit.
Warum ist also unser Schulsystem definitiv als „katastrophal“ zu bezeichnen? Ein kurzes Fazit:
Schaut man sich das Schulsystem an, fällt auf, dass es sich in den letzten hundert Jahren kaum verändert hat. Frontaler Unterricht und stures Auswendiglernen sind die Hauptkomponenten und lassen Forscher und Entdecker zu gelangweilten Schülern werden, die möglichst schnell aus der Schule herauswollen. Das Individuum geht in dem Schulsystem unter, individuelle Stärken und Schwächen werden nicht berücksichtigt und am Ende ist ein gutes Abitur nur ein Zeugnis dafür, dass man gut auswendig lernen kann, gut schauspielern kann und es psychisch ausgehalten hat, eine lange Zeit am Stück Disziplin zu zeigen. Die Schüler werden mit dieser Methode nicht auf die Zukunft vorbereitet, sondern auf die Vergangenheit.
Betrachtet man nun noch die sich verändernde globale Lage bezüglich dessen, dass auch Länder wie Indien anfangen, Fachkräfte mit den gleichen Standards wie in Deutschland auszubilden, bleibt nur zu hoffen, dass sich endlich etwas ändert, dass endlich das Individuum im Vordergrund der Ausbildung steht.
Ich hoffe ich konnte die von Ihnen aufgeworfene Frage ein wenig genauer beleuchten und gute Argumente zeigen, warum unser Schulsystem tatsächlich in einigen Belangen sehr zu wünschen übrig lässt.
Mit freundlichen Grüßen,
Niklas Zehner