„Maria an der Straße“ braucht Unterstützer

Kapelle auf dem Axthelm-Gelände soll wiederbelebt werden / Flörsheimer Madonna kehrt zurück

Jahrzehntelang blieb die Kapelle am Rande des Axthelm-Geländes ungenutzt – doch das soll sich ändern. Prof. Horst Thomas (links) erläuterte am „Tag des offenen Denkmals“ vor Ort und anschließend in der benachbarten Kulturscheune den geschichtlichen Hintergrund des kleinen Gotteshauses.
(Fotos: R. Dörhöfer)

FLÖRSHEIM (drh) – Viel Beachtung wurde der sogenannten „Axthelm-Kapelle“ bislang nicht geschenkt. Jahrzehntelang wurde sie lediglich als Abstellkammer genutzt und wenn sich jemand Gedanken um das Kapellchen an der Bahnhofstraße machte, drehte es sich höchstens um den Abriss. Am Sonntagnachmittag (13.9.) war das Interesse jedoch groß und schnell wurde klar: Zwei Herren, nämlich Hans Jakob Gall und Prof. Horst Thomas, machen sich schon seit langem Sorgen um die kleine Kapelle. Beide informierten am diesjährigen „Tag des offenen Denkmals“ vor Ort und anschließend in der benachbarten Kulturscheune die zahlreich erschienenen Besucher über die interessante Geschichte des Bauwerks und stellten ihr Projekt, nämlich die Wiederbelebung der Kapelle, ausführlich vor.

1844 war die Kapelle von Maurermeister Kluin erbaut worden. Genau genommen, verhalf sie ihm erst zu seinem Titel – sie war nämlich seine Meisterarbeit. Jeder Bruchstein wurde von Kluin quaderförmig behauen. Das kleine Gotteshaus ersetzte eine Kapelle, die einst im Bereich der heutigen Kreuzung Wickerer Straße / Bahnhofstraße / Obermainstraße / Grabenstraße stand. Jene Kapelle, die aus Sicht der damaligen Zivilgemeinde einer Anbindung Flörsheims über die (neue) Bahnhofstraße zur Landesstraße nach Weilbach und Eddersheim buchstäblich im Wege stand, war nach langem Streit mit der Kirchengemeinde abgerissen worden. Ebenso erging es übrigens der Kapelle am Obertor (heute: Ecke Eisenbahnstraße / Alte Hochheimer Straße), die erst 1868 abgebrochen wurde – und daher nicht, wie ein um 1834 geborener Zeitzeuge irrtümlich angegeben hatte, den Anstoß zum Bau der Kapelle an der Bahnhofstraße gegeben haben kann.
In den vor den Stadttoren üblichen Kapellen baten die Bürger stets um Reiseschutz, und so errichtete man 1844 in der damaligen Feldgemarkung eine neue Kapelle mit gleichem Zweck. Bis 1927 wurde die Kapelle als Prozessionsstation an Fronleichnam und am Verlobten Tag genutzt. Dann jedoch war den Gläubigen der Schlenker zur Kapelle abseits des eigentlichen Weges mit der damit verbundenen Kehrtwende zu kompliziert, weshalb unmittelbar am Prozessionsweg die Christkönigskapelle errichtet wurde.
Inzwischen untersteht die Kapelle auf dem Axthelm-Gelände dem Denkmalschutz. In ihrer Form, so Prof. Horst Thomas während seines Vortrags in der Kulturscheune, erinnert sie an frühchristliche Grabbauten wie sie in Ravenna zu finden sind. Der im neoromanischen Baustil errichteten Kapelle wurde bei einer Renovierung im Jahr 1902 ein Dachreiter – das Gesellenstück von Georg Mohr III. – aufgesetzt. In der Denkmaltopographie wird dieser Dachreiter als Glockentürmchen beschrieben, doch Prof. Thomas erklärte, dass dies eine falsche Annahme sei, diene der Dachreiter der Kapelle doch lediglich als Belüftung. Ein Glöckchen habe es dort niemals gegeben, so der Professor.
Wie wichtig die Belüftung ist, wissen Hans Jakob Gall und Horst Thomas aus eigenen Beobachtungen, denn die Kapelle hat heute mit aufsteigender Feuchtigkeit zu kämpfen. In einer ersten Maßnahme veranlasste Thomas in Abstimmung mit den Denkmalbehörden die Abnahme des Putzes im Sockelbereich und ließ auch verschlossene Fensterluken wieder öffnen. „Wir messen nun acht Wochen lang die Veränderungen der Feuchtigkeit im 20-Minuten-Takt“, erklärte Hans Jakob Gall. Ursprünglich stand die Pieta, die heute in der Kriegergedächtniskapelle steht, in der Kapelle, die bei der Besichtigung am Sonntag komplett leer war. Auf dem Boden ein Gemisch aus historischen und neu ergänzten Sandsteinplatten, in der Apsis lassen sich noch zarte Bemalungen erahnen. Das eigentliche Hauptportal ist zugemauert, nur über eine kleine Seitentür ist der Zugang möglich. „Vielleicht können wir die Nachbarn doch noch überzeugen, den ursprünglichen Zugang wieder zu gestatten“, meinte Gall, der gerne wieder ein großes Portal an der kleinen Kapelle sehen würde.

25.000 Euro Finanzbedarf
Pfarrer Sascha Jung sicherte bereits zwei Bänke des alten Schwesternhauses als Ausstattung zu und für die in die Kriegergedächtniskapelle umgezogene Pieta hat Hans Jakob Gall auch schon Ersatz. Im Wiesbadener Landesmuseum, berichtete Gall, steht eine Madonna, die unter dem Namen „die Flörsheimerin“ bekannt sei. Zwischen 1490 und 1500 wurde diese Madonna mit dem zart verschmitzten Lächeln aus Lindenholz geschnitzt. Ein typisches Merkmal ist laut Hans Jakob Gall ihr Brustlatz, den auch eine Madonna in Eltville zeigt, weshalb sie der mittelrheinischen Werkstatt des sogenannten „Brustlatzmeisters“ zuzuordnen ist. Sie wurde, laut Inventarbestand des Museums, im Jahre 1938 aus dem Kunsthandel erworben und stammt aus Flörsheim. Wo genau die 1,09 Meter hohe Madonna in Flörsheim einst stand, ist indes nicht bekannt. „Hier müssen wir noch forschen“, sagte Gall, der sich zum Ziel gesetzt hat, „das Lächeln der Flörsheimerin“ nach Flörsheim zurückzuholen.
Da aber das Original im Landesmuseum bleiben muss, soll ersatzweise eine Replik die Rolle der heimkehrenden Madonna übernehmen. Wie Hans Jakob Gall ankündigte, wird der Holzschnitzer Mario Sanden im Oktober damit beginnen, eine Kopie zu fertigen. Zehn Wochen Arbeit liegen dann vor ihm. Sanden verlegt dafür seine Werkstatt ins Museum und wird so ...zig Messpunkte eins zu eins vom Original auf seinen Leimholzblock übertragen. Die Schnitzarbeit kostet 16.500 Euro, zudem, so Gall, müssten eine Alarmanlage und weitere Herrichtungskosten veranschlagt werden. Gall möchte deshalb eine Spendensumme in Höhe von 25.000 Euro sammeln. „An meinem 80. Geburtstag kamen die ersten 1.000 Euro beisammen“, sagte Gall, dem es an Ideenreichtum zur Spendenakquise nicht mangelt – schmunzelnd dachte er am Sonntag laut etwa über einen „Reliquienverkauf“ der Schnitzholzspäne nach. Den Anwesenden in der Kulturscheune wurde jedenfalls unmissverständlich klar, dass Gall mit Herzblut und viel Leidenschaft um jeden Cent zur Unterstützung des Projektes kämpfen wird.
Das Projekt, also die Kapelle, hat bereits einen Namen, vorgeschlagen von Pfarrer Sascha Jung: „Maria an der Straße“. Auf der bereits aktiven Internetseite mariaanderstrasse.wordpress.com wird regelmäßig über den Fortgang des Projekts berichtet.

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