Mit neuer Rolle zurück ins Rathaus

Als unabhängiger Kandidat tritt der Rüsselsheimer Mimoun Houmami bei der Bürgermeisterwahl am 9. Juni an

Unterwegs ist Mimoun Houmami in Flörsheim vor allem auf dem E-Bike.

Er ist der Kandidat, mit dem nun niemand gerechnet hatte. Und mit dessen Name außer den städtischen Bediensteten auch kaum ein/e Flörsheimer/in etwas anfangen kann. Das weiß Mimoun Houmami natürlich sehr gut. Der 42-jährige Rüsselsheimer ließ von einem Gewährsmann – er selbst war am Osterwochenende im Urlaub – am letzten Tag der Bewerbungsfrist am 31. März im Wahlamt seine Unterlagen einreichen und erhöhte den Zählerstand der Kandidaten für die Bürgermeisterwahl am 9. Juni auf vier.

Flörsheim staunt und rätselt, warum ein Rüsselsheimer Bürger im Flörsheimer Rathaus seine Zukunft sieht. Aus seiner Sicht ist da allerdings eine gewisse Logik dahinter, bedingt durch seine Lebens- und Berufsgeschichte. In Marokko geboren, kam er 1987 im Kleinkindalter nach Südhessen, wuchs zunächst im Groß-Gerauer Stadtteil Dornheim auf. Seit 1994 ist er Rüsselsheimer, nach dem Schulabschluss 1999 absolvierte Houmami bei der Stadtverwaltung eine zweieinhalbjährige Ausbildung im Fach Bürokommunikation, gefolgt von einem halbjährigen Praktikum in einem Unternehmen in Höchst. Anschließend wurde er von der Stadt Rüsselsheim übernommen. Gut 20 Jahre war er in der Kommunalverwaltung der Stadt tätig, davon 15 Jahre im Bürgerservice, organisierte zudem die Wahlen und war von 2017 bis 2019 stellvertretender Wahlleiter.

Danach wechselte er ins Rathaus der Gemeinde Nauheim, wo er drei Jahre lang für die Projekt- und Fördermittelakquise zuständig war, angesiedelt im Bau- und Umweltamt. „Ich habe die Projekte von der Ausschreibung bis zur Umsetzung begleitet“, erläutert er seinen damaligen Job. Dazu gehörten der Bau und Umbau von Kitas und einer Skateranlage, oder auch der Aufbau eines WLAN-Hotspots in der Gemeinde. Sein Ziel, man will ja weiterkommen, war bald ein anders, nämlich „die Amtsleitung in eine Stadt“.

Da kam ihm die Ausschreibung der Leistungsstelle im Amt für Kinder, Jugend und Familien in Flörsheim gerade recht, tatsächlich erhielt er den Zuschlag und wurde Anfang Januar 2023 als einer von damals gleich drei neu eingeführten Amtsleitern vorgestellt. Das ging allerdings nicht lange gut. Nach fünfeinhalb Monaten, also noch in der Probezeit, wurde das Arbeitsverhältnis bereits wieder beendet. Aus seiner Sicht war es dennoch kein Fehler, die Stelle angetreten zu haben. Er sei aber nun einmal niemand, „der strikt Anweisungen folgt“, so die Konfliktlinie seiner Schilderung nach, die sich nicht lösen ließ.

Irgendwie muss es für Houmami trotz der letztlich für beide Seiten unerfreulichen Episode nicht so schlimm gewesen sein in Flörsheim, als dass es für ihn nicht attraktiv klänge, in die Verwaltung zurückzukehren. Diesmal eben von der Spitze aus, was das Problem mit den Anweisungen zweifellos etwas erleichtern würde. Aber wieso meinte er, die Stadt nach den wenigen Monaten gut genug zu kennen, um sie gleich führen zu können?

Nun, Houmami hat Flörsheim natürlich beim Amtsantritt im Vorjahr nicht zum ersten Mal betreten. „Fast jeden Sonntag machen wir einen Familienausflug nach Bad Weilbach, zum Spazieren gehen“, betont er – und das eine oder andere Fläschchen Wasser mit dem Heilwasser tritt dann auch immer den Heimweg an. Zudem gibt es in Flörsheim auch Verwandtschaft. So hat er ein Bild einer attraktiven Kommune gewonnen, deren Verwaltung zu führen er sich sehr gut vorstellen kann. „Sie ist das Herz und der Motor einer jeden Stadt.“

Dass es ihm die Vorgeschichte zu schwer machen würde, im Rathaus wie in der Zusammenarbeit mit den Gremien, glaubt er nicht. „Ich bin jemand, der Leute zusammenbringt“, betont Houmami, eine Fähigkeit, die er auch fachlich durch eine Ausbildung als Mediator stützte. Entsprechend glaubt er auch, mit den Gremien schnell zu einer engen Zusammenarbeit zu finden. In Rüsselsheim ist er übrigens selbst in der Stadtverordnetenversammlung politisch aktiv, im Fraktionszusammenschluss aus Grünen, Linker Liste Soli und der von ihm selbst initiierten Gruppe „ABI“.

Aus dem Kreis Flörsheimer Bekannter, aber auch Rüsselsheimer Freunde hat er sich eine zehnköpfige Unterstützergruppe zusammengesucht, um trotz fehlendem Parteiapparats als unabhängiger Bewerber etwas Wahlkampf machen zu können. Neben dem Aufhängen von rund 50 Plakaten in der Stadt wird sich dies allerdings auf Social-Media-Aktivitäten beschränken, Vor-Ort-Termine sind nicht geplant. Die Entscheidung, tatsächlich die Kandidatur anzugehen, fiel „recht spät“, weil „man dies zwar für sich persönlich beschließt, Frau und Freunde müssen da aber einbezogen werden“ sagt der Vater von drei Töchtern und einem Sohn.

Vor dem Hintergrund seiner Geschichte im Flörsheimer Rathaus mag es nach einer für ihn besonders schwierigen Aufgabe klingen, aber Houmami sieht den Grundansatz einer erfolgreichen Arbeit als Bürgermeister in der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Fachkräften der Verwaltung. Mit der Betonung aber nicht zuletzt auf dem Vertrauen, das er den Mitarbeitenden zu geben bereit sei, „so werden alle 100 Prozent und mehr geben“. Als vornehmliches Thema würde er nach einem Amtsantritt die Digitalisierung der Verwaltung angehen, „das in Flörsheim vernachlässigt wird“.

Da müsse man schnellstmöglich ran. Gefragt sei ein abgestimmtes Konzept für die Einführung der entsprechenden Technik und Software. Es gehe aber nicht um den Abbau von Möglichkeiten der Bürger, ihre Angelegenheiten persönlich im Rathaus zu erledigen. „Es muss weiter die volle Erreichbarkeit gegeben sein, aber es kann auch Tage geben, an denen Besuche nur mit Termin oder etwa nur an den Nachmittagen möglich sind."

Houmami würde die Finanzangelegenheiten der Stadt an sich ziehen, „die gehören in die Hand des Bürgermeisters, weil er ja auch die Vorgaben macht, in welche Richtung es geht und er der Hauptverantwortliche ist“, erläutert der Kandidat. Er gibt sich keiner Illusion hin, dass er in einer finanziell schwieriger werdenden Phase die Verantwortung an sich reißen würde. Planerisch und realitätsnah an die Sache herangegangen, geht er von drei Haushaltsjahren aus, ehe wieder die Null bei der Einnahmen/Ausgaben-Rechnung stehen könnte. Wichtigster Grundsatz einer jeden Haushaltsführung für ihn: „Ein Haushalt sollte nicht einfach schön aussehen, er muss realistisch sein." Konkret meint er damit zu niedrige Ansätze bei den Gehaltszuwächsen der Bediensteten, „bei einer Inflationsrate von sechs Prozent mit zwei Prozent Erhöhung zu kalkulieren ist eben nicht realistisch“.

Sein Spezialwissen aus den Jahren in den beiden Kommunen jenseits des Mains könnte zumindest für etwas Entlastung der Kassen helfen. „Wir sollten die Fördermittel ins Auge nehmen“, empfiehlt Houmami. Da werde in den Kommunen vieles nicht genutzt, weil es vor allem um eine schnelle Umsetzung von Projekten gehe, „anstatt genau zu prüfen: Wo kann man Mittel abrufen?“. Bis zu 80 Prozent Zuschuss wie bei barrierefreien Umbauten, seien je nach Bereich drin.

Houmami würde auch ein „Herzensthema“ mitbringen, das allerdings nicht schwer zu erraten ist. Der Ausbau der Plätze in der Kinderbetreuung in U3- wie Ü3-Bereich ist für ihn nichts anderes als das Erfüllen von Verpflichtungen, „die Familien haben da einen Anspruch drauf“. Von den von der Verwaltung kürzlich vorgestellten Anstrengungen, den Tagesmütterbereich auszubauen, hält er nicht so viel, „ich setze mehr auf mehr Erzieher und Sozialpädagogen in den Kitas“. Was er überhaupt nicht verstehen kann sind die Probleme, Projekte für zusätzliche Einrichtungen anzugehen.

„Ich kenne viele freie Träger mit bestimmten pädagogischen Ideen, man muss mehr in diese Richtung gehen“, erläutert er. Aus seiner Zeit in Nauheim kenne er mehrere dieser Träger, die Möglichkeiten suchten, neue Einrichtungen aufzubauen, „die haben die gleichen Verpflichtungen wie öffentliche Kitas auch“, sieht er das Erfüllen der Qualitätsansprüche auch bei solchen freien Anbietern als garantiert an. Man müsse auch nicht nur auf Neubauten setzen, „man kann auch im Bestand umbauen“.

Ein Problem hat er in seiner Zeit in der Flörsheimer Verwaltung festgestellt. „Die Stadt muss sich mehr öffnen, sonst wird es schwer, den Fachkräftemangel zu beheben.“ Damit meint er seine Beobachtung, dass es städtische Kitas gebe, in denen keine einzige Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund angestellt sei. „In Rüsselsheim haben wir 27 Kitas, da gibt es das in keiner einzigen“, betont er. Dass er mit dieser Personalpolitik in Flörsheim aus naheliegenden Gründen persönlich ein Problem hat, kann man sich denken.

Nach dem Bekanntwerden seiner Kandidatur bekam Houmami schnell zu spüren, dass andererseits manch einer ein großes Problem mit dem hatte, was er inzwischen selbst in einer öffentlichen Stellungnahme im Rüsselsheimer Stadtparlament als Fehler bezeichnete, für den er sich entschuldigte, eine offizielle Rüge kassierte er dennoch. Nach dem Beginn der israelischen Militäraktion im Gaza-Streifen begann Houmami seine bis dahin vornehmlich mit privaten Nachrichten versehene Facebook-Seite ausnahmslos und völlig unreflektiert mit Links zu teilweise sehr zweifelhaften Posts zum Kriegsgeschehen zu bestücken.

Zwischenzeitlich legte er nach den entsprechenden Reaktionen seit Bekanntwerden seiner Kandidatur die Seite ganz still, inzwischen ist sie mit fast „normalen“ Inhalten wiederbelebt. Der bisher einzige geteilte neue Post zum Gaza-Krieg stammt von Didi Hallervorden. Also, wie hält Mimoun Houmami es mit dem Islam und seinen radikalen Strömungen? „Ich glaube an den Islam und lebe meine Religion so, wie es sich gehört“, erläutert der Kandidat. Er bezeichnet sich als „deutschen Muslim“, der in der deutschen Kultur groß geworden und sozialisiert worden sei. Er habe 25 Jahre in Dornheim und Rüsselsheim im Verein Fußball gespielt, sehe sich als „offen und frei“.

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