Wenn eine Fraktion eine namentliche Abstimmung beantragt, dann ist ihr das Thema offensichtlich richtig wichtig. Dass die SPD in der Stadtverordnetenversammlung bei ihrem letzten Antrag im Jahr 2023 zu diesem Mittel griff, um im Protokoll die Meinung jedes einzelnen Fraktionsmitglieds festzuhalten, war dann doch etwas überraschend. Aber die Sozialdemokraten lassen es mit der eindeutigen Ablehnung ihres Vorstoßes, die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung im Live-Stream zu übertragen und dementsprechend die Hauptsatzung und die Geschäftsordnung des Parlaments zu ergänzen und zu beschließen, nicht auf sich beruhen.
Kein einziges Mitglied einer anderen Fraktion stimmte mit der SPD oder enthielt sich in der Dezembersitzung, das Stimmungsbild zu dem Thema war also sehr eindeutig – acht gegen 25. Dabei hatte Markus Ochs den Vorstoß als „mustergültigen Oppositionsantrag“ zu verkaufen versucht, „weil kostenneutral, das Equipment vorhanden ist, und rechtlich unkritisch, weil die Hessische Gemeindeordnung entsprechend angepasst wurde“. Der Antrag sei auch in Flörsheim sogar offiziell inhaltlich gewollt, betonte Ochs und verwies auf das Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzept (ISEK), das solche Beteiligungsformate beschreibe. „Wir selbst sind gefragt zu zeigen, dass wir erreichbar sein wollen“, appellierte Ochs an die andere Fraktionen. Diese „Zugangslücke“ gelte es zu schließen und die Medien dafür bereitzustellen. Dies sei auch zu empfehlen, da die AfD in den sozialen Medien sehr vernetzt und doppelt so stark präsent sei wie SPD, CDU und Grüne zusammen.
Luana Schnabel (CDU) befürchtet, dass bei Sitzungen im Livestream die Anzahl der Wortmeldungen noch spärlicher werden könnte. Rechtliche Klärungen seien wegen des Datenschutzes notwendig, das Einverständnis aller Beteiligten notwendig. Politisch sei der Schutz der Mandatsträger bei den Beratungen zu diesem Thema vor einem Jahr hervorgehoben worden, auch von den sozialdemokratischen Vertreterinnen und Vertretern. Den Antrag werte sie daher als „willkürlich“ und „wenig ernst gemeint“.
Alois Mhlanga (Die Freien Bürger) dagegen hält die Idee für „grundsätzlich relativ nobel“, er glaube allerdings nicht, dass bei den Übertragungen hohe Zuschauerzahlen zu erwarten seien. „Es wäre dafür ein hoher Aufwand, obwohl die Wege kurz sind, denn die Interessierten könnten auch einfach zu den Sitzungen kommen.“ Seine Fraktion zeigte sich dem Antrag inhaltlich also nicht abgeneigt, wollte aber an diesem Abend keine Abstimmung und entschied sich daher, als die SPD darauf bestand, zur Ablehnung.
Anders als Ochs erwartet Frank Laurent (GALF) eine „sehr hohe Anforderung an Technik, Verwaltung und Datenschutz“. Der Antrag komme ihm „zu überfallmäßig“ vor, er hätte besser im Vorfeld eingebracht werden müssen, „wir wollen da nichts aus der Hüfte schießen“.
Auch in der FDP ist das Thema nicht grundsätzlich tabu, wie Fraktionschef Thorsten Press betonte, „wir diskutieren das in der Fraktion schon lange“. Unter dem Aspekt der Transparenz sei der Ansatz gut, er betrachte dies aber auch als „Frage der Wertschätzung“. Meint: Press findet die Vorstellung nicht gut, dass die Bürgerinnen und Bürger möglicherweise demnächst mit der Bierflasche in der Hand vor dem heimischen Bildschirm sitzen und nach Belieben ausschalten. „Die, die sich dafür interessieren, sollten auch hierher kommen.“ Zudem wolle er im Parlament möglichst einen guten Querschnitt durch die Bevölkerung sitzen haben, „mancher traut sich dann vielleicht nicht mehr zu kandidieren“, befürchtet der FDP-Fraktionschef.
Die Koalition und die beiden anderen Oppositionsfraktionen konnten also unterschiedlich viel mit dem SPD-Antrag anfangen, wollten die konkrete Umsetzungsforderung der Sozialdemokraten aber nicht unterstützen. Nicht nur in der Verwaltung, auch in der Politik sei mehr Transparenz durch zeitgemäße digitale Zugänge zu fordern, hatte die Fraktion ihren Antrag begründet. „Bei der Umsetzung einer digitalen Übertragung von Sitzungen von Gemeindevertretungen in Hessen sind die Verantwortlichen auf kommunaler Ebene bisher sehr zögerlich.“
Das ändere sich inzwischen allerdings. Live-Streams auf YouTube hätten „im Namen von mehr Transparenz und Bürgernähe“ inzwischen Bad Homburg, Oberursel, Kronberg und Kelsterbach eingerichtet. Frankfurt und Rüsselsheim seien dabei, ihre Audio-Streams zu Live-Streams zu erweitern. „Die rechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung von Live-Streams sind in Hessen gegeben“, stellt der Ortsverein klar. Es gebe daher keine Hürden mehr auf diesem Gebiet.
In einer Pressemitteilung zeigt sich nun aktuell, dass die SPD das Thema mit der Abfertigung vom Dezember nicht auf sich beruhen lassen will. CDU und GALF hätten ihre Ablehnung mit „vorgeschobenen rechtlichen Hürden und hohen Anforderungen“ begründet, kritisiert der Ortsverein. Dabei habe die schwarz-grüne Landesregierung bereits vor über zehn Jahren für ganz Hessen mit der Novellierung der Hessischen Gemeindeordnung diese Hürden ausgeräumt. Markus Ochs entdeckt in der Verweigerungshaltung der Koalition ein bedenkliches Demokratieverständnis. „Während um uns herum sich die Stadtparlamente digital öffnen und damit aktiv zeigen, dass Politik erreichbarer sein will, klammern sich die Flörsheimer CDU und GALF weiterhin an ihrer verstaubten Hinterzimmerpolitik fest“, sagte Ochs. „Wenn CDU und GALF den öffentlichen Diskurs scheuen, sollen sie einfach auf ihre öffentlichen Mandate verzichten!“
Die Rechtslage in Hessen
Tatsächlich mag es noch in den Köpfen besonders altgedienter Parlamentarierinnen und Parlamentarier sitzen, dass selbst in öffentlichen Gremiensitzungen ein Aufzeichnungsverbot (außer für das Protokoll) in Form von Film-, Foto- und Audioaufnahmen herrscht. § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung legt fest, dass „Tonaufzeichnungen im Sitzungsraum (…) grundsätzlich nur als Hilfsmittel der Schriftführung für die Anfertigung der Sitzungsniederschrift erlaubt“ sind. Spitzfindig könnte man somit sagen, dann könnte man ja filmen, ohne Tonspur hätten davon aber nur geübte Lippenleser etwas.
§29 Absatz 6 legt fest, dass diese Aufzeichnungen von der Verwaltung aufbewahrt werden, auf Antrag können die Stadtverordneten und Magistratsmitglieder diese in den Räumen der Verwaltung bis zum Ablauf der zehntägigen Einspruchsfrist nach Übermittlung der Kopie der Niederschrift abhören. „Danach wird die Aufzeichnung gelöscht.“ Dann bleiben nur noch das Protokoll und die Presseberichte als Dokumentation.
In der Flörsheimer Hauptsatzung finden sich keine Regelungen zum Einsatz von Medien in den Sitzungen. Dort wäre allerdings der Ort für eine solche Neuerung, wie die Hessischen Gemeindeordnung (HGO) seit Dezember 2011 bestimmt. Damals wurde der Paragraf 52 („Öffentlichkeit“) um einen dritten Absatz ergänzt, der lautet:
„(3) Die Hauptsatzung kann bestimmen, dass in öffentlichen Sitzungen Film- und Tonaufnahmen durch die Medien mit dem Ziel der Veröffentlichung zulässig sind.“ Einen entsprechenden Satzungsabsatz vorzuschlagen, wäre dann der Ansatz für eine Öffnung in dem Sinne des Antrags. Bisher steht die große Mehrheit der Flörsheimer Fraktionsvertreterinnen und -vertreter solch einer Entwicklung allerdings skeptisch gegenüber.