Es sind noch einige Meter umzulagern

Hochheimer Ausschuss: RMD-Geschäftsführerin Ibiß und Kreisbeigeordnete Overdick beantworteten Fragen

So ein Deponiekörper darf nicht einfach wachsen, wie er will. Auf fast allen Teilflächen in Wicker errechnete "Gegenwind" Überschreitungen der zulässigen Höhen. Dass es Umlagerungen geben muss, bestreitet auch die RMD-Führung nicht.

Wie so häufig, wenn es gerade besonders spannend werden könnte, kommt der Schlussgong. Die vielversprechende Sitzung des Bau-, Verkehrs- und Umweltausschusses der Hochheimer Stadtverordnetenversammlung (BVU) konnte in der vergangenen Woche die finanzielle Situation der Rhein-Main Deponie GmbH nicht mehr tiefschürfend beleuchten. Die Nacht hatte sich über den Untermain gelegt und die Regelung der Gremien, nach 22 Uhr keine neuen Themen mehr aufzurufen und zu einem Abschluss zu kommen, griff auch in diesem Fall.

Der Besuch der für die Abfallwirtschaft zuständigen Kreisdezernentin Madlen Overdick (Grüne) und von RMD-Geschäftsführerin Beate Ibiß im Ausschuss, die einen zuvor zusammengestellten Fragenkatalog der Fraktionen und der Initiative Gegenwind 2011 beantworteten und sich einer Diskussion stellten, war aus mehreren Gründen eine gute Idee: Nach Monaten einer vornehmlich über die Medien geführten Auseinandersetzung sah man sich wieder persönlich.

Die Begegnung mit der Öffentlichkeit, zu der sich Overdick – Madlen war damals noch nicht im Unternehmen – im November und Februar bei zwei Bürgerbeteiligungen hinausgewagt hatte, hatten weniger der Aufklärung als durch ihren Verlauf der Aufheizung der Stimmung gedient. „Ich habe die Stilllegung der Deponie nicht in Frage gestellt, sondern eine Chance aus dem Sanierungskonzept dargestellt“, verteidigte Overdick sich, dass sie die Idee eine „Deponie auf Deponie“ auch in diesen Versammlungen offensiv vertrat.

Es sei aber anzuerkennen, „dass ihre Region eine belastete ist“, zeigte sie ein gewisses Verständnis für die harsch ablehnende Haltung, die ihr aus Hochheim und Flörsheim entgegenschlug. Die Gefahr einer erhitzten Konfrontation mit den Bürgern bestand bei dieser BVU-Sitzung nicht: nur vereinzelte Zuschauer ohne Rederecht waren in der Sporthalle zugelassen, in der das Gremium wegen der Abstandsregeln tagte. Die Tische waren so gestellt, dass sich zwischen den Tischreihen in Tornähe ein riesiges Freifeld auftat – als wollte die Stadt die Fraktionen mit einem Einlagespiel von künftigen Schülern der Boris-Becker-Tennisakademie überraschen.

Sportlich war an dem Abend allerdings nur die Aufgabe, die Fragen zu den Themenkomplexen „Umwelt“, „Mengen“, „Schlacke“, „Rückstellungen“ sowie „Umgang mit den Bürgern und Nachbarkommunen“ in dem zweieinhalbstündigen Zeitfenster abhandeln zu wollen. Es wurden am Ende doch drei Stunden, weil die Fraktionen und besonders die „Gegenwind“-Vertreter Hans-Peter Huppert und Rolf Fritsch die Finanzflüsse der RMD doch so geschickt in die Diskussion eingebracht hatten, dass Ibiß den Abend nicht beenden wollte, ohne das Thema zumindest anzureißen.

Die erst Ende April angetretene Geschäftsführerin hatte sich vermutlich einen weniger turbulenten Einstieg in ihren neuen Job gewünscht. Aber sie sei eigentlich ganz dankbar, dass sie durch die Debatte wie den nun vorliegenden Fragenkatalog dazu gezwungen gewesen sei, „schneller als mir lieb war“ in die Vergangenheit des Unternehmens und die Entscheidungen ihrer Vorgänger einzusteigen. „Eine komplexe Materie“, bekannte sie und wiederholte am Abend mehrfach, dass sie sich als Betriebswirtin in die technischen und chemischen Fachthemen selbst erst einmal erarbeiten musste.

Auch in ihrem Spezialgebiet liegen die Vorgänge der Vergangenheit freilich nicht offen auf den Schreibtischen herum. Detaillierte Kenntnisse über die Entscheidungswege, die unter den früheren Geschäftsführern zum aktuellen Zustand geführt haben, dass die für die Nachsorgephase bereitgestellten Gelder ausgegeben wurden, ehe die Nachsorge überhaupt begonnen hat, konnte Ibiß nicht präsentieren.

Will sie in öffentlichen Sitzungen vielleicht auch nicht, die Arbeit der Vorgänger zu kritisieren gilt als schlechter Stil. Aber ja, bestätigte sie, die 156 Millionen Euro, die die RMD in den vergangenen Jahren von ihrem Auftraggeber RMA erhalten hatte, um eine Grundlage zur Finanzierung der anstehenden Nachsorgephase zu schaffen, sind nicht mehr da, „sie sind ausgegeben“.

Das Modell, das Geld für einige Jahre zu parken und dann, schön verzinst, auf über 200 Millionen Euro angewachsen zur Verfügung zu haben – da wäre zumindest der Löwenanteil der damals auf 212 Millionen Euro geschätzten Nachsorgekosten bereits abgedeckt gewesen. Das Modell scheiterte am unvorhergesehen, nachhaltigen Einbruch des Zinsniveaus, mit dem Geld auf der Bank war kein Staat zu machen. Warum es dann nicht einfach schlecht verzinst liegen gelassen wurde, um wenigstens auf dieser Basis an die Nachsorge gehen zu können, dazu konnte Ibiß nichts sagen.

Immerhin klärte sich die Begriffsunschärfe, die Gegenwind zuletzt beschäftigt hatte, nachdem Umweltministerin Priska Hinz eine Kleine Anfrage im Landtag so beantwortet hatte, dass die Wickerer Deponie sich keineswegs bereits in der Nachsorge befinde, mangels abgeschlossenen Stilllegungsverfahren (die FZ berichetete). „Die Nachsorgephase auf der Deponie hat noch nicht begonnen“, stellte die Geschäftsführerin klar und erklärte die permanente Verwendung des Begriffs in den Stellungnahmen und Veröffentlichungen damit, dass in ihrem Fachgebiet keine Spezialbegriffe für Rekultivierung, Nachsorge oder Rückstellungen existierten, „das ist betriebswirtschaftlich alles das gleiche“. Nach den dadurch ausgelösten Wirrungen ist davon auszugehen, dass diese Begriffe von der RMD-Führung künftig sorgsamer verwendet werden.

Über die finanzielle Schieflage bei der RMD, die Gegenwind als schlicht insolvent ansieht, wird im Nachklapp zu reden sein, die Zeit ließ keine tieferen Einlassungen der Geschäftsführung zu diesem Themenkomplex zu. Die interessanteste Diskussion des Abends drehte sich somit um die Frage, ob auf der Deponie seit dem Eintritt in die Stilllegungsphase 2005 fortgesetzt viel mehr Schlacke angenommen wurde als zur Herstellung der Abdeckungen und endgültigen Kubatur des Deponiekörpers angesagt und zulässig war.

Gegenwind errechnete, Flächenabschnitt für Flächenabschnitt aufgelistet, die erreichten Höhen und ihr Übermaß im Abgleich mit den genehmigten Werten. Demnach ist alleine in der Fläche C bei aktuell knapp 127 Metern noch Luft nach oben, 14,41 Meter laut Gegenwind-Kalkulation. Auf allen anderen elf Teilflächen geht Gegenwind von Überschreitungen zwischen wenigen Zentimetern und rund 13 Metern auf den Abschnitt 9 der Fläche B aus.

Ibiß bestreitet nicht, dass auf der Deponie einige Umlagerungen anstehen, sie sprach von rund 600.000 Tonnen Schlacke, die falsch abgelegt worden seien. In der Kapazitätstrechnung der RMD sind aber auch rund 300.000 Kubikmeter eingerechnet, die noch durch Setzungen im Deponiekörper entstehen werden. Und genau das ist auch das Volumen, dass nach RMD-Darstellung auf der Deponie nun noch zur Verfüllung zur Verfügung steht. „Wir liegen im Plan von 2004“, betont Ibiß, dass die zulässigen Gesamtmengen – vier Millionen Kubikmeter seit Beginn der Stilllegungsphase vor 16 Jahren – nicht überschritten worden seien. Das sieht Gegenwind angesichts der Überschreitungen der Flächenhöhen anders – eine an dem Abend nicht zu klärende Diskrepanz der Ansichten.

Was bei allen Diskussionen über Fehler der Vergangenheit nicht zu ändern ist: dass in Deutschland und eben auch in Wicker bis in die 1970er-Jahre hinein die Mülldeponien weitgehend ungeregelte Betriebe waren, sprich, da kam so ziemlich alles hin, was die Konsumgesellschaft auswarf, bis endlich erste gesetzliche Regelungen dem Spuk ein Ende setzten.

Dadurch, dass ein Teil der Wickerer Deponie nicht auf einer Tonschicht, sondern einer Muschelkalk-Ablagerung ruht, die zum Schutz vor einem Durchsickern von Gefahrstoffen denkbar ungeeignet ist, ergibt sich zusammen mit der Altlast früherer Jahrzehnte, deren Gefahrenpotenzial niemandem genau bekannt sein kann, ein dickes Problem für das Wickerer Grundwasser.

Dagegen wurde in den vergangenen Jahrzehnten zwar eine Menge getan, mit Trennwänden wie Reinigungsanlagen, die jährlich rund 38.000 Kubikmeter Sicker- und Grundwasser von Belastungen befreien. Das wird mit der anstehenden Abdeckung allerdings nicht sofort weniger, aber Ibiß geht davon aus, dass die Situation unter Kontrolle ist und bleibt und so keine Gefahr einer Grundwasserverseuchung besteht. Auch Huppert erkennt die getroffenen Maßnahmen als geeignet an, um die Gefahren im Griff zu behalten. Aber noch über viele Jahrzehnte hinweg seien entsprechende Investitionen nötig, betonte der Gegenwind-Experte.

Nicht mehr zu ändern durch die Sünden der Vergangenheit in Wicker wie an vielen anderen Deponiestandorten: Wie mit dem Klimawandel haben es die vorigen und aktuellen Generationen auch durch einen fahrlässigen Umgang mit ihrem Müll geschafft, nachfolgenden Generationen die Lösung eines Problems und, wie es derzeit aussieht, seiner Finanzierung aufzubürden, obwohl es in ihrer eigenen Verantwortung gestanden hätte.

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