Geschichtsunterricht der besonderen Art

Archäologin Jessica Meyer besuchte die Klasse 6 G2 der Heinrich-Böll-Schule in Hattersheim

HATTERSHEIM (ak) – Am letzten Donnerstag vor den Osterferien hatten Schülerinnen und Schüler der Heinrich-Böll-Schule in Hattersheim die Gelegenheit, eine Unterrichtsstunde in Geschichte von einer „echten Archäologin“ zu erhalten. Auch einige Eltern hatten sich die Zeit genommen, an diesem ganz besonderen Unterricht teilzunehmen. Die Leiterin der Grabungen 2011 auf dem Sarotti -Gelände, Jessica Meyer M.A., besuchte die Klasse 6 G2, und sie hatte eine Menge an Informationen, Bildern und sogar Anschauungsmaterial extra für die 11–12-jährigen Mädchen und Jungen mitgebracht.

 

Für die Klassen- und Geschichtslehrerin Brigitte Oswald-Mazurek war die Idee von Hildegard Nossek, der Mutter einer Schülerin, Jessica Meyer bei ihrem Vortrag im Hessensaal des Posthofes einfach mal zu fragen, ob sie auch Hattersheimer Schülern einmal etwas über „ihre“ Geschichte erzählen wolle, ein „Glücksfall“: „Wir sind jetzt genau bei der Archäologie, es passt exakt zum Thema, wenn Sie der Klasse etwas von ihrer Arbeit erzählen!“ freute sich die Lehrerin bei der Begrüßung der Archäologin. Zur Klasse gewandt betonte sie: „Das war zum Teil GENAU vor eurer Haustüre – in EUREM Hattersheim!“
Jessica Meyer wusste den Kindern zunächst anschaulich zu machen, wie die Funde, die bei Grabungen gemacht wurden, datiert werden. Dazu hatte sie einfach eine Reihe verschiedener „neuzeitlicher“ Essteller mit unterschiedlichen Dekoren mitgebracht, die Schüler sollten nun einordnen, welcher von ihnen der älteste ist und welcher gerade erst gekauft worden sein könnte. Den ältesten und den neuesten hatten sie bald herausgefunden, bei den Tellern, die dazwischen entstanden sein mussten, waren sie sich nicht wirklich einig. „Seht ihr – genauso geht es uns in der Archäologie auch oft: Die einen sagen, das ist alt, die anderen sagen, das ist noch älter“ schlichtete sie die Diskussion, „aber mit Hilfe von Keramik, die zu unterschiedlichen Zeiten verschieden hergestellt und dekoriert wurde, versuchen wir einen großen Teil unserer Funde zu datieren.
Keramik oder zumindest Scherben kann man zum Beispiel oft in Gräbern als Beigaben finden.“ Die Vorstellungen von Archäologen in der Art von „Indiana Jones“ musste sie den Schülern allerdings nehmen: „Archäologen reiten nur sehr selten durch die Steppe und finden unermessliche Schätze, meist schaufeln sie nur auf einer benachbarten Wiese tiefe Löcher mit Schippe und Spaten in die Erde“ dämpfte sie zu spektakuläre Erwartungen an den Beruf.
Mit Hilfe von Bildern der Grabung auf dem Sarotti-Gelände zeigte sie den Schülern, wie der Grabungsalltag mit dem Einsatz von zum Teil großem Gerät wie Baggern aussieht und wie genau jeder Fund im Hinblick auf seine Lage und Größe dokumentiert wird. Einiges an kleinem Werkzeug, welches beim Freilegen von Funden verwendet wird, hatte sie zum Anfassen mitgebracht: Eine Kelle, einen Spatel und ein merkwürdig gebogenes, am Rande gezahntes Werkzeug konnten die Kinder betrachten und sich dazu ausmalen, wie alte Keramik oder gar Skelette damit freigelegt wurden.
Für die Schüler war es nicht schwer, Antworten darauf zu finden, warum gerade hier in Hattersheim schon seit etwa 6000 Jahren Menschen siedelten: „Es gibt hier Wasser, es gab viele Tiere, der Boden war fruchtbar, es gab viele Bäume, das Klima war gut, es regnet hier wenig – die Leute haben sich schon immer hier wohl gefühlt“ fasste Jessica Meyer noch einmal zusammen.
Auch Bilder der Skelette, die in den von der Archäologin den Kindern -wegen der Möglichkeit des luftdichten Verschlusses- als eine Art „Tupperdosen“ ihrer Zeit beschriebenen Vorrats-Gruben gefunden wurden, hatte sie natürlich dabei. Ihre Schilderungen vor allem zur Lage eines kindlichen Skelettes entlockte den Schülern viele „Uh“s, „Ih“s und auch „Ooch“s und regte ihre Fantasie zu einer Menge von Fragen an: „Wie alt sind die Skelette?“, „Kann man Männer und Frauen unterscheiden?“, „Wie tief unter der Erde lagen diese Skelette?“. Jessica Meyer antwortete geduldig: „Die Skelette lagen seit etwa 2500 Jahren dort auf dem Gelände, etwa 80 cm tief. Wie alt die Menschen waren, als sie gestorben sind, kann man noch nicht wirklich sicher sagen, genauso wenig, ob es Männer oder Frauen waren, dass muss die weitere Untersuchung zeigen.“ „Die Forensik!“ warf ein Schüler ein, der offenbar oft amerikanische Krimiserien anschaut. „Aber man kann anhand von Grabbeigaben schon Vermutungen anstellen: Männer wurden eher mit Waffen bestattet, Frauen dafür mit mehr Schmuck“ erklärte Jessica Meyer schmunzelnd.
„Was denken sie als erstes, wenn sie etwas finden?“ wollte man von Jessica Meyer auch wissen. „Ich denke immer daran, dass das schon ganz lange niemand in der Hand hatte – das ist für mich immer wieder ein sehr beeindruckendes Gefühl“ war die schlichte Antwort der Archäologin. Auch ganz praktischen Dinge wollten die Schüler wissen wie: „Was macht man, wenn man beim Graben im Garten ein Skelett findet?“, „Sind die Funde etwas wert?“, „Wurden schon einmal sehr wertvolle Schmuckstücke gefunden?“, „Was ist das spaßigste an ihrem Beruf?“ und „Verdienen Archäologen viel?“ Jessica Meyer blieb keine Antwort schuldig: „Wenn man etwas findet, was zu einem menschlichen Skelett gehören könnte, benachrichtigt man am besten zunächst die Polizei, die helfen dann schon weiter. Die meisten Funde haben keinen großen Geldwert, aber es können oft sehr viele Informationen daraus gezogen werden, zum Beispiel über den Zuzug von Menschen aus anderen Gegenden. In Wölfersheim wurde einmal wertvoller Schmuck gefunden. Mir macht an meinem Beruf besonders viel Spaß, dass es keine Routine gibt, immer ist alles anders als beim letzten Mal, jede Fundstätte ist einzigartig. Und die Frage nach meinem Verdienst – war das etwa ein Heiratsantrag?“ lachte sie.
Die Frage der Schüler, ob es in Hattersheim noch mehr für Archäologen zu finden gibt, konnte Jessica Meyer zwar mit einem eindeutigen „Ja, ganz bestimmt!“ beantworten – aber es wird mittlerweile vermutet, dass die Siedlung, die zu den Gräbern und Vorratsgruben gehört, wahrscheinlich heute unter dem alten Ortskern von Hattersheim liegt und daher in nächster Zeit nicht auszugraben sein wird.
Klassenlehrerin Brigitte Oswald-Mazurek war begeistert von dieser besonderen Geschichtsstunde. „Es ist toll, dass die Kinder von ihnen lernen konnten, dass man oft Schlussfolgerungen ziehen muss. Das ist ein wesentlicher Bestandteil der Geschichtsforschung, für die Schüler aber meist nicht einfach zu verstehen. Die Idee, das mit den verschiedenen Tellern zu verdeutlichen, war ganz super! Und es ist für die Schüler so wichtig zu wissen, dass schon vor ihnen Menschen hier lebten!“ Sie versprach Jessica Meyer, ihr ein „Produkt“ aus dem Geschichtsunterricht als Dankeschön zu schicken. „Wir basteln hier oft etwas, was zum Thema passt – das werden wir ihnen nach dieser interessanten Unterrichtsstunde in Archäologie gerne widmen!“

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