„Haltung ist gefragt!“

Vortrag von Prof. Dr.med. Gerhard Trabert im Barbarahaus am Internationalen Tag der Armutsbekämpfung

V.l.n.r.: Jessica Magnus, Leitung Referat für Soziale Sicherung DiCV Limburg, Prof. Dr.med. Gerhard Trabert und Klaus Störch, Leitung der Facheinrichtung für Wohnungslose.

Klaus Störch, Leiter der Facheinrichtung Haus Sankt Martin für Wohnungslose des Caritasverbandes Main-Taunus e.V., freute sich ganz besonders, am Internationalen Tag der Armutsbekämpfung Prof. Dr.med. Gerhard Trabert als renommierten Redner im Barbarahaus in Hattersheim begrüßen zu dürfen. „Das ist der Höhepunkt der Veranstaltungsreihe zum Jubiläum unseres Hauses Sankt Martin“, erklärte er den zahlreichen Gästen, die Prof. Trabert mit viel Beifall begrüßten.

Auch Jessica Magnus, Leitung Referat für Soziale Sicherung DiCV Limburg, sah es als „besondere Ehre“ an, den Vortrag von Gerhard Trabert an diesem Abend moderieren zu dürfen. Sie stellte den studierten Sozialpädagogen und Professor für Sozialmedizin und –Sozialpsychiatrie, der als Arzt nicht nur Obdachlose versorgt, sondern auch in vielen Krisen- und Kriegsgebieten der Erde tätig war, als parteilosen ehemaligen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt und als zurzeit designierten Kandidaten für das EU-Parlament vor.

In seinem Vortrag stellte Prof. Dr. Gerhard Trabert verschiedene Facetten der Armut durchaus auch provokant, klar und „nicht diplomatisch“ dar. Dass, was er sagte, belegte er mit Forschungsergebnissen und statistischen Erhebungen. Seine Worte wurden von Bildern, auf denen er bei seiner Arbeit zu sehen war oder die er selbst auf seinen Reisen gemacht hatte, immer wieder eindrücklich unterstrichen.

„Demokratien müssen nicht nur nach außen – gegenüber Diktatoren, Autokraten und Kriegstreibern - geschützt werden, sondern auch nach innen“, stellte Trabert seinem Vortrag voran, „und das geht nur durch die Bekämpfung von Armut, sozialer Ungerechtigkeit und Chancenungleichheit!“

Dabei ist für ihn der erste Schritt zur Diskriminierung oft an stigmatisierender Sprache zu erkennen. Der Begriff „sozial schwach“ sei korrekter Weise durch „sozial benachteiligt“ oder „einkommensschwach“ zu ersetzen, der Terminus „illegale Menschen“ durch „illegalisierte Menschen“. Auch „bildungsferne Menschen“ beschreibe die Tatsache, dass oft die „Bildung zu fern von den Menschen“ angeboten wird, nicht richtig. Ebenso lehnt Trabert den Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ ab: „Alle diese Menschen sind Armutsflüchtlinge, die Aufteilung in zwei Klassen von Flüchtlingen entspricht nicht der Realität“, machte er seinen ZuhörerInnen klar, „Begriffe wie „Penner“, „Nichtsesshafte“ und „Asoziale“ für Wohnungslose Menschen zu gebrauchen, erinnern an die Nazi-Zeit.“ Trabert kritisierte scharf den Populismus aller heutigen Parteien, die allesamt Sprache einsetzen, um Stimmung zu machen.

Mithilfe von Tabellen und Diagrammen zeigte Prof. Trabert auf, welche Geldbeträge Sozialleistungsempfänger in Deutschland zur Verfügung haben. Dem stellte er auch das durchschnittliche Einkommen gegenüber und machte damit deutlich, dass selbst MindestlohnempfängerInnen immer noch etwa ein Drittel mehr Einkünfte haben, als Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Begriffe wie „Kinderarmut“ und „Altersarmut“ sind heute zwar in aller Munde, was sie für die Betroffenen bedeuten und welche Gründe sie oft haben, wird nicht überall realisiert. Dass alleinerziehende Eltern es finanziell meist schwer haben, ist bekannt, welche Auswirkungen das haben kann, ist für viele schwer vorstellbar. Jeder dritte Mensch mit Migrationshintergrund ist in Deutschland von Armut betroffen, ebenso wie jedes fünfte Kind. „Für Kinder bedeutet arm zu sein oft, dass etwa Geburtstagsgeschenke und –feiern ausfallen, auch Nachhilfe kann es oft keine geben,“ stellt Professor Trabert heraus, „die psychischen Auffälligkeiten bei armutsbetroffenen Kindern sind häufiger als bei Kindern höherer sozialer Schichten. Ebenso steht fest, dass arme Kinder als Erwachsene eher krank werden“ erläuterte Trabert. Er stellte in den Raum, dass es heute schlicht nicht möglich sei, etwa ein fünfjähriges Kind mit dem für dieses pro Tag im Bürgergeld vorgesehenen Ernährungsbudget von 3,48 Euro gesund zu ernähren. „Daraus resultieren Gesundheitsrisiken und Einschränkungen bei der kognitiven Leistungsfähigkeit. Eine Bildungschancengleichheit besteht in Deutschland nicht“, ist Gerhard Trabert überzeugt, denn Bildungschancen und Bildungszugang seien zu oft durch eine beengte Wohnungssituation und mangelnden Zugang zu digitalen Mitteln eingeschränkt.

Darüber hinaus schließt Trabert sich der These an: „Bildung ist wichtig, aber keine Garantie vor Armut geschützt zu sein. Armut geht zusätzlich mit einem Mangel an Freiheit einher, auf eine Weise zu leben, für die sich Menschen mit guten Gründen entscheiden.“ Armen Menschen fehlen sehr oft die Befähigungen und Verwirklichungschancen (Capabilities) bestimmte Lebensentwürfe zu verwirklichen. Das wird etwa im hohen Anteil von Frauen bei von Altersarmut – welche Trabert als „Tsunami“ auf unsere Gesellschaft zukommen sieht - betroffenen Menschen deutlich: „Frauen generieren deutlich geringere Rentenansprüche, bedingt durch die hauptsächlich von ihnen zuhause durchgeführte sehr wichtige 'Care-Arbeit' und auch durch die immer noch geringere Bezahlung im Vergleich zu Männern.“ Ebenso sind Alleinerziehende – wieder zum großen Teil Frauen - eher von Armut betroffen.

Da Krankheit auch hier mittlerweile den dritthäufigsten Grund für eine Verschuldung darstellt und somit ein Risikofaktor für Armut ist, stellte Prof. Trabert fest: „Arm zu sein bedeutet auch bei uns nicht nur, sich vieles nicht leisten zu können, sondern für manchen auch früher zu sterben.“ Mit einer Tabelle des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2019 machte er deutlich, dass die Lebenserwartung von Frauen höherer sozialer Schichten 4,4 Jahre, die von Männern aus diesen Schichten sogar beinahe neun Jahre höher ist als die von ärmeren Menschen.

Prof. Dr. Trabert würde es gerne sehen, dass es „niederschwellig angelegte biopsychosoziale und lebensraumorientierte Sprechstunden vor Ort mit interdisziplinären Versorgungskonzepten und einer Vernetzung und Kooperation von Akteuren ohne Konkurrenzverhalten“ gäbe, die im „normalen“ gesellschaftlichen Teilhabe- und Versorgungssystem etabliert sein sollten. Ihm ist dabei wichtig, dass bei all den stigmatisierenden „Sonderangeboten“ (wie etwa die Tafeln) der Versorgung sozial benachteiligter Menschen es niemals Ziel sein darf, diese strukturell zu manifestieren. „Solche Angebote dürfen nicht die Grundlage der Versorgung sein, es ist Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass Armut nicht entstehen kann“ findet Trabert.

„Soziale Arbeit darf nicht Fehlersuche, sondern sie muss Schatzsuche sein. Oft reicht etwa medizinische Versorgung nicht aus, auch Anerkennung und ernst genommen werden sind wichtig“, erklärte Trabert auch. Denn das primäre Ziel dabei solle eine Rückkehr der armutsbetroffenen Menschen in das vorhandene Gesundheits- und Sozialleistungssystem sein. Um diese Forderung zu untermauern zeigte Prof. Trabert in seinem Vortrag interessante Forschungsergebnisse auch aus der Traumaforschung auf.

„Meines Erachtens haben wir genug Geld in unserer Gesellschaft, aber wir haben ein Verteilungsproblem“, ist Traberts provokante These, „so ist zum Beispiel die Altersarmut bei unserem Mindestlohn vorprogrammiert.“ Für ihn ist nachweisbar, dass durch Steuerhinterziehung wesentlich mehr Schaden entsteht als durch Sozialbetrug. Auch die Einführung höherer Erbschaftssteuer oder einer – wie in vielen anderen Ländern jetzt schon üblichen - Vermögenssteuer könnten seiner Meinung nach bei der Bekämpfung der Armutsprobleme helfen. Kritik übte er auch am „hinterherhinkenden“ Wohnungsbau mit immer unsozialer werdenden Mieten, denn „einen Wohnraum zum Leben zu haben, ist eine entscheidende Ressource zur Gesundheitsstabilisierung und Armutsbekämpfung.“

Provokant und gegen den momentanen politischen Strom schwimmend stellt Gerhard Trabert weiter die These auf: „Geflüchtete Menschen stabilisieren unser Sozialsystem! Sie sind eine Ressource für unsere Gesellschaft und sichern mit ihrer Arbeit später unsere Rente.“ Nach seiner Ansicht sollte man – wie es auch die Arbeitgeberverbände und die Handwerkskammern schon fordern - diese meist jungen, sehr zur Arbeit motivierten Menschen daher noch mehr in diese Richtung fördern. Für Trabert ist es keine These, dass geflüchtete Menschen mit ihrer Erwerbstätigkeit und dem Einzahlen in die deutsche Renten- Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung unser Sozialsysteme sichern, er hält dies für einen wichtigen Faktor bei der Bekämpfung von Armut.

Dass Menschenrechte nicht „relativierbar“ sind, steht für Prof. Dr. Gerhard Trabert fest. Er lehnt jede Art von „Klassismus“, „Sozialrassismus“, Rassismus und Rechtspopulismus ab, auch Gesundheit ist nach seiner Ansicht ein essentielles Menschenrecht. Nach seiner Ansicht darf Armut nicht gegen Armut ausgespielt werden. Neben dem Begriff „Gleichwertigkeit“ möchte er auch gern eine „Gleichwürdigkeit“, wie sie der Kindertherapeut Jesper Juul definiert hat, etabliert sehen, die eine Begegnung aller miteinander auf Augenhöhe vorsieht.

Mit der Aufforderung „Haltung ist gefragt!“ schloss Prof. Dr. Gerhard Trabert seinen interessanten und kurzweiligen Vortrag ab, denn: „Es braucht Haltung mit Inhalten aus der Wissenschaft und Praxis zum Thema soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft und weltweit und mehr Initiative für und Solidarität mit oft von Ausgrenzung betroffenen Menschen. Entschiedenes Handeln für und besonders mit den betroffenen Menschen ist dringend nötig.“

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