Koscher kochen ist kompliziert

Im Bistro des Stadtteilbüros wurde Jüdische Küche serviert - der Tscholent fand viele neue Freunde

Eine gelungene Veranstaltung: Jüdisches Essen im "Bistro" der Hattersheimer Siedlung.

In diesem Jahr wird - zurückgehend auf die Erwähnung der jüdischen Gemeinde in Köln durch Kaiser Konstantin im Jahr 321- bundesweit an „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erinnert.

Auch im Main-Taunus-Kreis wurde und wird mit einem Programm, welches zahlreiche und vielfältige Veranstaltungen aufweist, die sich mit der Geschichte und der Gegenwart jüdischen Lebens im Land beschäftigen, auf diese lange Zeit aufmerksam gemacht. „Dafür bedanke ich mich bei der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, den Kommunen, bei Landrat Michael Cyriax und bei den Kreisheimatpflegern Asja Jarzina und Bert Worbs. Auch hier in Hattersheim hat sich Stadtarchivarin Anja Pinkowsky mit besonderem Engagement, Fachwissen und großer Motivation des Themas angenommen“, freute sich Hattersheims Erster Stadtrat Karl Heinz Spengler am letzten Mittwoch im Südringtreff.

Dort fand (zu 2G-Bedingungen) unter der Leitung von Heike Bülter vom Stadtteilbüro und mit tatkräftiger Hilfe der Stadtarchivarin Pinkowsky, sowie von Rabia Malik, Ulrike Miotk und Yvonne Höhl, ein ganz besonderes „Bistro“ statt. Im „Bistro“ des Stadtteils trifft man sich schon seit vielen Jahren an jedem ersten und zweiten Mittwoch im Monat zum Mittagessen, die Mahlzeiten werden von wechselnden Ehrenamtlichen oder auch von Heike Bülter zubereitet und gegen eine Spende serviert. Zwar hatte Corona diesen tollen, immer sehr gut angenommenen „schmackhaften“ Veranstaltungen für kurze Zeit ein Ende gesetzt, aber mit „Bistro to go“ und einem Angebot in Schraubgläsern zum Abholen konnte Heike Bülter den Gedanken an die gemeinsamen Essen aufrechterhalten. Dass man sich nun nach langer Zeit wieder einmal an einem gemeinsamen Tisch - wenn auch in mehreren Schichten nacheinander - zusammenfinden konnte, wurde von allen sehr begrüßt – es hatten sich insgesamt fast 50 Personen für das Jüdische Essen angemeldet.

Selbstverständlich erwartete die Gäste nicht nur ein sehr leckeres Menu, sondern auch viel Information zu Zubereitung von Speisen nach jüdischer Tradition: „Zunächst einmal der Hinweis: unsere Gerichte heute sind nicht koscher – weder in der Herkunft der Lebensmittel, noch in der Zubereitung. Wirklich koscher zu kochen bedeutet sehr viel Aufwand. Man braucht nicht nur verschiedenes Kochgeschirr und Zubehör, sondern eigentlich in der Konsequenz sogar mehrere Küchen und Köche, um wirklich koscher zu kochen. Das können wir hier nicht machen“, erklärte Heike Bülter, bevor der Vorspeisenteller aufgetragen wurde, „aber auf den Platzdeckchen finden Sie dazu noch mehr Informationen.“ Die blau-weißen Papierunterlagen stammten aus dem Restaurant des Jüdischen Museums Frankfurt und erklärten detailliert, welche Voraussetzungen Fleisch, Fisch oder Geflügel (oder auch Produkte aus diesen) erfüllen müssen, um als koscher zu gelten.

Anja Pinkowsky wies auf die verschiedenen Einflüsse in der jüdischen Küche hin, die sich aus dem Leben der Juden in der Diaspora ergeben haben: so stammten etwa die Vorspeisen – Couscous-Salat, Hummus und Falafel - aus Ländern, in denen sich mediterrane und orientalische Kochgewohnheiten auch auf das „sephardische“ Essen der dort lebenden Juden ausgewirkt haben. Der als Hauptgericht servierte Tscholent ist demgegenüber in der Art, wie ihn Heike Bülter zubereitet hatte, eher in der aschkenasischen Küche von mittel- bzw. osteuropäischen Juden zu finden.

„Der Tscholent ist ein Eintopf, wie er traditionell am Sabbat gegessen wird. Weil an diesem Tag nicht gearbeitet und kein Feuer entzündet werden darf, werden Kartoffel, Hülsenfrüchte, Graupen, Fleisch und rohe Eier schon am Vorabend in einen Topf geschichtet und über Nacht im Backofen gegart. Früher haben jüdische Familien den verschlossenen Topf am Abend vor dem Sabbat zum Bäcker gebracht, und den Eintopf am nächsten Tag nach dem Gang zu Synagoge wieder abgeholt. Auch die Eier werden die ganze Nacht auf dem Eintopf gegart – deswegen haben sie nun so eine besondere Farbe und ein besonderes Aroma“, erzählte Heike Bülter. Die Leiterin des Stadtteilbüros berichtete schmunzelnd, wie sie die Zubereitung des Eintopfs eine fast schlaflose Nacht gekostet hatte: „Da bin ich immer wieder hochgeschreckt und habe gedacht – ob das gut geht? Oder ob dann vielleicht das Fleisch total fasrig verkocht ist und alles zu Brei wird?“ Aber nichts dergleichen war passiert – der Tscholent duftete und schmeckte wunderbar nach kräftigem Eintopf. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie er bei vielen Kindheitserinnerungen an das gemeinsame Familienessen am Sabbat hervorruft.

Abgerundet wurde das jüdische Essen im Bistro mit einem Nachtisch aus Mascarpone- Joghurtcreme mit Feigenkompott, der den Speisenden ebenfalls viele „Ahh!“- und „Mmh!“- Laute entlockte.

Informatives abseits der Speisen

Nicht nur sehr leckeres Essen wurde den Gästen des „Jüdischen Bistros“ geboten, auch eine Menge an verschiedenen Informationen: so lagen auf einem Büchertisch zahlreiche Kochbücher mit jüdischen Rezepten aus, welche die Hattersheimer Stadtbücherei zur Verfügung gestellt hatte und die man auch dort ausleihen kann.

Anka Pinkowsky hatte drei Roll-Ups gestaltet, auf denen unter anderem alle Gerichte beschrieben sind, die zu den verschiedenen jüdischen Feiertagen traditionell gegessen werden und die alle eine besondere Bedeutung haben – von den beiden geflochtenen Challa-Broten (die übrigens auch auf dem Tisch zu finden waren und zum Tscholent gereicht wurden), welche an die zwei Manna-Gaben während der vierzigjährigen Wüstenwanderung des Jüdischen Volkes erinnern sollen, über die Lattkes - die Kartoffelpfannkuchen - zu Chanukka (sie verweisen auf das Ölwunder im Tempel) bis hin zu Matze und Blintz. Auch die Kaschrut - die jüdischen Speisegesetze - wurden auf einem Roll-Up noch einmal detailliert erklärt.

Zwar konnte im Bistro nicht koscher gekocht werden, ein koscheres „Lebensmittel“ wurde dennoch gerne angeboten: Heike Bülter hielt für die Weintrinker unter den Gästen eine Kostprobe von koscher gekeltertem roten und weißen Wein vom Sinai bereit - die Beschreibung der zu beachtenden Dinge beim Keltern solchen Weines machte deutlich, warum die Gläser nicht unbedacht großzügig gefüllt werden konnten: „Der ist wirklich teuer“, verriet die Leiterin des Stadtteilbüros, „aber ich wollte ihn Ihnen nicht ganz vorenthalten.“

Auch wenn diese Bistro-Veranstaltung - anders als sonst – durch den stündlichen „Schichtwechsel“ etwas unter Zeitdruck stand, waren alle Gäste sicherlich hochzufrieden: nicht nur das Essen hat wunderbar geschmeckt, man konnte auch viel von jüdischer Esskultur erfahren – und man konnte endlich mal wieder gemeinsam an einem Tisch miteinander essen. Und vielleicht kann man ja auch hoffen, dass demnächst auch das „ganz normale“ Bistro wieder stattfinden kann, darüber würden sich ganz viele Stammgäste sicher sehr freuen.

Weitere Artikelbilder:

Noch keine Bewertungen vorhanden


X