Eingeladen zur Bürgerversammlung hatte der Stadtverordnetenvorsteher Georg Reuter. Auf dem Programm standen die Punkte Informationen zur aktuellen Flüchtlingspolitik, Nahversorgung Eddersheim und Gewerbegebiet Nord. Schon eine halbe Stunde vor Beginn war die Stadthalle gut gefüllt und weitere Bürger und Bürgerinnen strömten hinein, so dass um 19 Uhr praktisch alle Plätze belegt waren. Durch Zettel auf den Stühlen wies die Stadt darauf hin, dass das Einreichen von Fragen während der Versammlung online möglich war. Davon wurde reichlich Gebrauch gemacht. Die jeweiligen Fragen wurden dann auf der Leinwand für alle sichtbar dargestellt.
Gewerbegebiet Nord
Das letzte Thema des Abends, der Austausch zum Gewerbegebiet Nord, schien das brisanteste zu sein. Die meisten Fragenden nutzten die Möglichkeit an das Mikrofon zu treten, um ihre Stellungnahme deutlich zu machen.
Im Vorfeld zu den Fragen erklärte Bürgermeister Klaus Schindling das Thema aus Sicht der Stadt. Hierbei ging er auch auf die Historie ein. Schon 2015 existierte der Plan, eine Gewerbeansiedlung im Gebiet Nord vorzunehmen. Damals sollte ein Baumarkt vom Bauhaus-Konzern auf dem Grundstück errichtet werden. Dieses Projekt scheiterte. Die Verwirklichung hätte für Hattersheim viel Verkehr, aber wenig Gewerbesteuereinnahmen bedeutet, da die Zentrale in der Schweiz sei, erläuterte Schindling. 2017 ergaben sich Kontakte zu e-shelter. Als Vorteile der Rechenzentren konnte man in der Präsentation der Stadt lesen „wenig Verkehr, wenig Lärm, Einnahmen, Wachstumsmarkt, Zukunftsbranche, Abwärme“. Da Hattersheim günstige Bedingungen für die Rechenzentren bot, wie ausreichende Stromversorgung und auch die Möglichkeit am Standort zu expandieren, verlegte NTT Global Data Centers (seit 2019 der Nachfolger von e-shelters) seinen Firmensitz für Europa, Afrika, naher Osten nach Hattersheim. Die Stadt konnte ihre Gewerbesteuereinnahmen von 6,8 Millionen Euro (im Jahr 2016) auf 22,9 Millionen Euro (2023) erhöhen. Dadurch seien viele Dinge für Hattersheim möglich geworden, wie die Sanierung der Stadthalle, die neuen Beläge für die Sportplätze und das Sportfunktionsgebäude in Eddersheim, führte Schindling aus.
NTT habe sich als guter Partner gezeigt. Als es in diesem Sommer Lärmprobleme im Schokoladenviertel wegen der Ventilatoren der Rechenzentren gegeben hätte, seien Untersuchungen und anschließende Optimierungen durchgeführt worden. Diese Erfahrungen würden in den geplanten Neubau im Gewerbegebiet Nord einfließen. NTT plane eine Straße vom Kreisel an der Mainzer Landstraße Richtung Heddingheimer Straße zu bauen, und diese anschließend an die Stadt zu übereignen. Auch an der Erstellung der Netze für die Abwärmenutzung sei eine Beteiligung der Rechenzentrumsbetreiber geplant. Regelungen zur Fassadengestaltung, zum Schallschutz und zur Bereitstellung von Niederschlagswasser und Abwärme würden im städtebaulichen Vertrag geregelt. Vorteile für Hattersheim seien die bessere Erreichbarkeit des Gewerbes an der Heddingheimer Straße, die Abwärmenutzung (die in der kommunalen Wärmeplanung berücksichtigt wird), die erhöhten Steuereinnahmen und eine Verbesserung des Standortprofils (Digital City).
Schindling erklärte, dass in den Stellungnahmen der Bürger Kritik zum Ortsbild, zur Versiegelung der Flächen und ebenso Sorgen zum Klima und erhöhtem Lärm geäußert wurden. Da die Stadt die Anliegen ernst nähme, habe man beschlossen, eine weitere Offenlage vom 4. März bis zum 5. April durchzuführen, um auch den Bürgern und Bürgerinnen, die sich bis jetzt noch nicht geäußert haben, die Möglichkeit zu einer Stellungnahme zu geben. (Siehe hierzu Öffentliche Bekanntmachung Nr. 15/I/5/2024 im Hattersheimer Stadtanzeiger vom 29. Februar). Weiter wird es eine Informationsveranstaltung der Vorhabenträger am 19. März in der Stadthalle in Hattersheim geben. Klaus Schindling erwähnte, dass dann auch die Gutachter und Planer zugegen seien, um die Bürgerfragen zu beantworten.
Kommentare des Publikums zum Bau der Rechenzentren
Nach dieser Einführung war das Mikrofon für die Fragenden frei. Der erste Redner forderte, die Finger von diesem Projekt zu lassen, da es in der Nähe des Friedhofs sei und man die Totenruhe nicht stören dürfe. Schindling wies auf den Lärm der Autobahn hin „die man ja auch nicht sperren ließe“.
Mathias Schuker, der sich intensiv mit den Plänen auseinandergesetzt hatte, fragte, warum man noch Rechenzentrum 13 und 14 brauche und warum zwölf nicht ausreichend seien. Für die Abwärme sei kein Bedarf, besonders im Sommer nicht, man hätte eine höhere Wärmebelastung von etwa 2 °C, außerdem Feinstaub durch die Dieselgeneratoren. Ein gesunder kommunaler Haushalt sei offensichtlich wichtiger als die Gesundheit der Bürger, war seine Meinung. Schindling erwiderte, dass bei seinen Aussagen nicht die Polemik fehle. Die Gesundheit der Bürger stände immer im Vordergrund und man könne sicher sein, dass der Gesetzgeber keine Bauvorhaben erlauben würde, bei denen die Menschen leiden müssten. Schuker antwortete, dass 1700 Hattersheimer gegen das Projekt seien, worauf Schindling erwiderte, dass dieses die Zahlen der Online-Petition seien und anzweifelte, dass nur Hattersheimer unterzeichnet hätten.
Ein Fragender bemängelte das Alter der Gutachten, das Bodengutachten sei beispielsweise schon 13 Jahre alt. Hier konnte Wolfgang Molzberger vom Bauamt klarstellen, dass man nicht mit Bodenveränderungen über diesen Zeitraum rechnen müsse.
Ein Bürger wollte wissen, ob Schindling einen Interessenkonflikt hätte, da er im Vorstand der German Datacenter Association sei. Er verneinte dies, da er in diesem Verband nur dafür zuständig sei, Erfahrungen mit der Ansiedlung von Rechenzentren interessierten Kommunen näherzubringen.
Svenja Stöbbe erklärte, dass sie die Petition initiiert habe und erläuterte ihre großen Bedenken gegen den Bau der Rechenzentren. Sie wurde durch die Worte ihrer Mutter, Christa Stöbbe, unterstützt. Als Anwohnerin der Heddingheimer Straße schilderte sie eindringlich die Bedeutung der Natur und ihre Furcht vor den Folgen, wenn weitere große Flächen versiegelt würden. Ihre inständige Bitte war, noch einmal zu überdenken, ob die weiteren Rechenzentren an der geplanten Stelle wirklich vonnöten seien. Schindling betonte noch einmal, dass die Stadt die Bürger ernst nehmen würde und aus dem Grund die Infoveranstaltungen durchführen würde. Die Expansionspläne von NTT hätten sich im Laufe der Jahre ergeben. Man habe aber von Beginn an mit NTT vereinbart, dass das Unternehmen in Hattersheim einen vitalen Standort habe. Obwohl man annähme, dass eine Verlegung des Firmensitzes seitens NTT nicht geplant sei, könne man keine Firma rechtlich zwingen, an einem bestimmten Standort zu bleiben.
Flüchtlingssituation
Landrat Michael Cyriax war in die Stadthalle gekommen, um die Flüchtlingssituation im Main-Taunus-Kreis zu erläutern. Insgesamt leben im Kreis 9627 geflüchtete Menschen, davon 240 unbegleitete Minderjährige und 2634 Menschen aus der Ukraine. Nach dem ersten großen Flüchtlingsstrom 2015 / 2016 stagnierten die Zahlen weitgehend, bis es vom Jahr 2021 auf 2022 einen Anstieg um 54 Prozent gab. Parteiübergreifend hätte sich der Kreis mit einem Hilferuf an die Bundes- und Landesregierung gewandt. Eine Lösung hätte es nicht gegeben – von der Bundesregierung noch nicht einmal eine Antwort. Nach dem Hessischen Landesaufnahmegesetz werden die Flüchtenden nach der Erstaufnahme in Gießen an die Städte und Kreise verteilt. Die Kosten für die Aufnahme seien nur zu 54 Prozent gedeckt, das heißt würden zum großen Teil durch die Kommunen getragen. Durch stark steigende Schülerzahlen im MTK könne der Schulbau nicht mithalten, auch die Kinderbetreuung sei schwierig durch fehlende Erzieher, Erzieherinnen und Räume. Der MTK hat momentan 240 000 Einwohner, wobei 20 % der Menschen ausländische Mitbürger sind. Es zeige sich, dass überproportional viele Menschen mit Migrationshintergrund Langzeitarbeitslose seien. Der deutsche Landkreistag sage unisono, dass in punkto begrenzender Migration noch viel zu tun sei.
Bürgermeister Klaus Schindling erläuterte die Situation in Hattersheim. In Gemeinschaftsunterkünften gibt es an unterschiedlichen Standorten 227 Plätze. Wenn die Asylbewerber einen Bleibetitel bekämen, seien sie auszugsverpflichtet, was bedeute, dass sie die Asylunterkunft verlassen müssen. Aufgabe der Stadt sei es, die Menschen unterzubringen. Man wolle auf jeden Fall menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung stellen. Auf keinen Fall wolle man „Menschen in Zeltlagern stapeln“. Ziel müsse es sein, die Menschen in Lohn und Arbeit zu bringen, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Alle Fragen des Publikums wurden online gestellt. Aufgrund der hohen Anzahl konnten nicht alle beantwortet werden, was die Stadt später schriftlich auf ihrer Homepage nachholen wird. Hier die wichtigsten Antworten aus der Bürgerversammlung, die sowohl von Landrat Cyriax wie auch von Bürgermeister Schindling beantwortet wurden:
In Hattersheim ist eine Vollzeitstelle zur Unterstützung der Flüchtlinge und auch der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer vorgesehen.
Ukrainer dürfen sofort arbeiten. 80 % der Antragsteller arbeiten nicht während des Asylantragsverfahren. Das Fehlen von Deutschkenntnissen ist oft ein Problem.
Laut Cyriax besteht ein dringender Handlungsbedarf in der Flüchtlingsfrage. Schutz der europäischen Außengrenzen, Ausweispflicht, Entwicklungshilfe, Unterstützung nur für einen begrenzten Zeitraum, mehr Solidarität in der EU sind einige Vorschläge.
In Bezug auf Sozialwohnungen besteht eine hohe Dichte im MTK, erläuterte Schindling. Man müsse auf ein Gleichgewicht zwischen Sozialwohnungen und Wohnungen auf dem freien Markt achten. Es bräuchte Menschen, die die kommunalen Zuschüsse zu den Sozialwohnungen finanzieren. Im Wohnungsbau seien die Kosten stark gestiegen, was die Situation verschlimmere.
Gemeinnützige Arbeit für Flüchtlinge sei oft mit einem großen Betreuungsaufwand verbunden, deswegen nicht unbedingt sinnvoll.
Nahversorgung Eddersheim
In seiner Präsentation zu diesem Thema stellte Bürgermeister Klaus Schindling das Gebiet in Eddersheim vor, dass entwickelt werden soll, um die Nahversorgung sicherzustellen. Auf jeden Fall soll sich hier ein Vollversorgungsmarkt ansiedeln, bestenfalls auch eine Apotheke und ein Drogeriemarkt. Weiter ist eine Multifunktionshalle für Sport und Veranstaltungen geplant. Ebenso ist es wichtig, den Eddersheimern und Eddersheimerinnen eine Möglichkeit zum unterstützten und barrierefreien Wohnen zu schaffen. Bei der Bürgerbefragung Anfang 2020 hatten 85 Prozent der Teilnehmer der Entwicklung des Gebiets zugestimmt. In Gesprächen mit den Eigentümern der Grundstücke ergab sich, dass ca. 70 % der Gesamtfläche angekauft werden können. Dieses sei ausreichend, um die Entwicklung des Gebietes vorantreiben zu können. In diesem Jahr solle die Entscheidung zur Durchführung des Projektes fallen.
Auf die Frage hin, warum man keinen Nahversorger, wie einen Unverpackt-Laden dort ansiedeln könne, machte Schindling noch einmal klar, dass man nur Anreize bieten könne, aber niemanden zwingen könne. Es hätten sich keine Interessenten gemeldet, die einen Laden eröffnen wollen.
Auf keinen Fall werde jemand zu Verkauf seines Grundstücks gezwungen, versicherte er. Wie der Bau des Gebietes sich auf den Verkehr auswirken würde, könne man jetzt noch nicht sagen. Dieses sei Gegenstand der Planung.
Aus dem Publikum wurde bemängelt, dass noch kein integriertes Stadtentwicklungskonzept für alle drei Stadtteile vorläge. Mit der Erarbeitung eines solchen sei begonnen worden, versicherte Schindling. Man müsse aber im Vorfeld viele Fragen beantworten. Die wichtigste sei: „Wo will Hattersheim hin?“