Leserbrief Bismarck ausgegraben

Die künftigen Bewohner des Baugebietes Vordere Voltastraße werden eine Straße nutzen müssen mit dem Namen Bismarckring. So jedenfalls haben CDU und FDP unter Führung des Bürgermeisters Klaus Schindling am 22. September beschlossen.

Öffentlichen Widerspruch gegen diese Namensnennung kam von der SPD. Gut so.

Was verschafft uns nun die Ehre, dass Bismarck wieder ausgegraben wird?

Bismarck habe die Epoche der Industrialisierung unter „anderem durch seine fortschrittlichen sozialen Reformen für die Arbeiterschaft mitgeprägt“.

Die sozialen Reformen, so der allgemeine Wissensstand, war zum Beispiel die Einführung der Rentenversicherung der Arbeiter vom 22. Juni 1889. Hier lohnt sich eine nähere Betrachtung. Das Renteneintrittsalter war 70 Jahre. Die durchschnittliche Lebenserwartung der arbeitenden Bevölkerung lag bei unter 45 Jahren. Die Arbeiter haben ihren Rentenanspruch mit ins Grab genommen. Bismarck hatte sich erhofft, dass seine „Sozialreformen“ die Arbeiterklasse an den Staat binden. Das Gegenteil war der Fall. Der Zustrom zu den Sozialisten war ungebremst. Und das trotz des „Sozialistengesetzes vom 21. Oktober 1878, dem Gesetz „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, trotz Verbots von 1.300 Druckschriften und 330 Arbeiterorganisationen, trotz Verhaftung tausender Menschen, deren Inhaftierung oder Flucht und Emigration. Bismarck war nicht mehr in der Lage den Bestand des monarchistischen Staats aufrecht zu erhalten. Deshalb 1890 seine Entlassung als Reichskanzler.

Und seine Politik davor? Provokation der französischen Regierung durch die Veröffentlichung der „Emscher Depesche“, die zum Krieg gegen Frankreich 1870 führte.

Und bereits 1848 und 1849: die Verächtlichmachung der Demokratie wonach die “großen Fragen der Zeit“ durch „Eisen und Blut“ entschieden werden, nicht durch „Preußens Liberalismus“.

Kurze Zusammenfassung: Bismarck war ein Kriegstreiber, ein Militarist, ein Arbeiterfeind, ein Demokratiefeind.

Wäre dieser Antrag und deren Zustimmung von der AfD gekommen, wäre Entspannung angesagt. Da dies nicht der Fall ist, die Frage: Soll die Ehrung Bismarcks durch die Straßenbenennung das politische Selbstverständnis in Hattersheim darstellen?

Carlo Graf, Hattersheim

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