Leserbrief Diese Umfrage ist eine einzige Farce

Leserbrief

Was für ein historischer Tag. Freitag, der 3. April 2020. Wir befinden uns erst am Anfang der Coronakrise und die Weltwirtschaft kollabiert bereits. An diesem Tag werden erstmals Bußgelder bei Verstößen von Coronaverordnungen in Hessen verhängt. In Eddersheim und Umgebung werden drei Menschen erschossen. Und dann das Highlight des Tages: Die Verkündung der Ergebnisse zur Bürgerumfrage der Entwicklung eines neuen Stadtteils in Eddersheim. Einen ungünstigeren, unsensibleren Zeitpunkt hätte man hierfür nicht wählen können. Diese Nachricht geht nicht einmal als schlechter, verspäteter Aprilscherz durch. Vielleicht wäre es gerade noch eine amüsante Sommerlochgeschichte gewesen.

Der Verfasser des Ergebnisses, der sich gewöhnlich mit Studien über Schusswaffengebrauch beschäftigt, hat ein achtseitiges PDF-Dokument erstellt. Auf den ersten Blick glaubt man, es handele sich um eine Einladung zum Kindergeburtstag. Die Schrift ist verspielt mal nach links mal nach rechts verdreht, so dass es einem schwindelig wird. Alle acht Seiten sind vollflächig farbig gehalten (Achtung beim Ausdrucken, vorher den Patronenfüllstand prüfen!).

Der Inhalt ist ganz gut gegliedert, mit lustig-bunter Tortenstück-Grafik und Themen-Auflistung, absteigend sortiert nach den prozentualen Ergebnissen, sogar mit Nachkommastelle. Wie bei einer echten Wahl. Die stichwortartigen Bemerkungen auf der letzten Seite sind etwas rätselhaft. Hier darf sich wohl jeder eine kleine Geschichte nach eigener Fantasie ausdenken.

Was allerdings bei der Auswertung auffällig fehlt und sich von einer echten, seriösen Wahl beziehungsweise Befragung unterscheidet, ist die Angabe der ungültigen Stimmen. Schließlich konnten ja alle diejenigen, die den Fragebogen schriftlich abgefordert hatten, zusätzlich auch online wählen. Mit Zusendung der schriftlichen Unterlagen sind die Online-Codes nicht gelöscht worden. So konnte man also zwei Stimmen abgeben. Man konnte auch den Fragebogen beliebig oft kopieren, ausfüllen und versenden. Vielleicht hätte man einfach mal 10.000 Kopien versenden sollen. Ob man bei der Auszählung bemerkt hätte, dass Eddersheim nur 5.000 Einwohner hat? Einige Bewohner ohne Internetzugang dagegen haben den Fragebogen beantragt, aber nie erhalten. Wie schön, wenn einem dann Freunde, Nachbarn oder Familienangehörige ihre Online-Stimme an irgendeinen Laptop oder Handy überlassen.

Diese Umfrage ist eine einzige Farce. Völlig unabhängig davon, ob man für oder gegen das Projekt gestimmt hat, darf dieses Umfrageergebnis nicht ansatzweise als Grundlage zu einem daraus resultierenden Beschluss werden. Die Frage der Bebauung ist wahrscheinlich schon längst geklärt. Die Investoren sind doch bereits vor Monaten an den Haustüren der Flurstückbesitzer klingeln gegangen. Offenbar möchte man den Eddersheimer Bürgern wenigstens einmal das Gefühl geben, ein Mitspracherecht an irgendwas zu haben. Wie vorausgesagt, haben sich in Eddersheim inzwischen zwei Fronten zum Thema Quartiersentwicklung gebildet. In schweren Zeiten wie diesen sollte man solidarisch zusammenhalten und keine unnötige Unruhe stiften. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war äußerst ungeschickt. Die Umfrage selbst ist nicht ernst zu nehmen. Wie hoch wohl die Kosten hierzu waren? Wer bezahlt das?

Und nun, hier das tatsächliche Ergebnis der Umfrage unter Berücksichtigung der geschätzten, ungültigen Stimmen: circa 10 bis 90 Prozent sind dafür und circa 10 bis 90 Prozent sind dagegen. Und jetzt?

Urs Höhne, Eddersheim

Durchschnitt: 4.6 (18 Bewertungen)


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