„Meine vom Fieber brennenden Lippen spürten eine Hand, die mich mit frischem kaltem Schnee fütterte. Der Schnee tat gut, er stillte meine Schmerzen. Für einen kurzen Moment öffnete ich die Augen, dann versank alles wieder im Dunkeln.“ So hat Eva Szepesi den Vormittag des 27. Januar 1945 in Auschwitz-Birkenau erlebt. In diesem Moment hatte sie die Kraft gespürt, die von der ungenannten Botschaft „Ich will, dass du lebst“ ausgeht. Eine Kraft, die sie auch bei anderen Menschen in Auschwitz erlebt hat, wie beispielsweise bei ihrer Freundin Stella – in all dem unvorstellbaren Grauen.
50 Jahre lang sprach Eva Szepesi nicht über ihre Erfahrungen, bis ein Telefonanruf im Dezember 1994 ihr Schweigen brach. Ihre Botschaft: Gegen das Vergessen. Heute gehört die 92-Jährige zu den wenigen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die ihre Geschichte mit der Welt teilen. Laut der Jewish Claims Conference leben weltweit nur noch etwa 245.000 Holocaust-Überlebende, davon rund 14.200 in Deutschland. Dass 5,8 Prozent dieser Überlebenden hierzulande eine Heimat gefunden haben, sieht Rüdiger Mahlo von der Claims Conference als Zeichen der Stabilität der deutschen Demokratie. Diese zu schützen und zu bewahren, sei unsere Verantwortung.
Eine berührende Begegnung
Am vergangenen Freitag hatten die Schülerinnen und Schüler der zehnten Klassen der Weingartenschule die besondere Gelegenheit, Eva Szepesi, die auch schon vor dem Bundestag von ihrem Leidensweg berichtet hat, persönlich kennenzulernen. Begleitet von ihrer Tochter Anita Schwarz und Dr. Mark Fachinger vom Projekt „Zeitzeugen“ des Bistums Limburg erzählte sie mit beeindruckender Klarheit und warmer Stimme von ihrer Kindheit, ihrer Deportation nach Auschwitz und den Schrecken, die sie dort durchlebte.
Die Jugendlichen hörten aufmerksam zu, viele sichtlich berührt von der authentischen und bewegenden Erzählung. Im Anschluss an den Vortrag nutzten sie die Gelegenheit, Fragen zu stellen, die Eva Szepesi und ihre Tochter geduldig und offen beantworteten. Dabei ging es nicht nur um persönliche Erlebnisse, sondern auch um die Bedeutung der Erinnerung für die Gegenwart.
Viele Schüler waren von den Erzählungen sichtlich mitgenommen. „Es ist viel emotionaler, als wenn uns das ein Lehrer erzählt hätte“, meinte Luisa (G10c) beeindruckt. Alicia (G10c) war dankbar, jemanden getroffen zu haben, der diese Zeit überlebt hat und davon berichten kann. Mitschülerin Davina schilderte, wie erschütternd es für sie war zu hören, wie grausam Millionen Menschen damals behandelt wurden. Die Begegnung mit einer Überlebenden des Holocaust vermittelte allen Anwesenden eindringlich, dass die Verantwortung für eine gerechte und friedliche Zukunft in den Händen der jungen Generation liegt.
ZDF-Kamerateam filmte mit
Der stellvertretende Schulleiter Alexander Heyd dankte Eva Szepesi herzlich: „Ihre Erfahrungen sind von unschätzbarem Wert für unser Verständnis von Geschichte und Menschlichkeit.“ Auch ihre Tochter Anita und Dr. Mark Fachinger sowie das Projekt „Zeitzeugen“ würdigte er für ihren essenziellen Beitrag zur Erinnerungskultur. Sein besonderer Dank galt zudem Geschichtslehrerin Nora Bevern, die die Organisation der Veranstaltung übernommen hatte.
Abschließend appellierte Alexander Heyd an die Jugendlichen: „Nutzt diese Begegnung, hört zu, stellt Fragen und nehmt die Botschaften in Euer Leben mit. Seid wachsam und wehret den Anfängen!“ Wie wichtig diese letzten Zeitzeugen für unsere Demokratie sind, zeigte auch die mediale Begleitung dieses Vormittags durch ein ZDF-Kamerateam. Die Dokumentation soll am 27. Januar im ZDF ausgestrahlt werden.
Das Projekt "Zeitzeugen"
Das Zeitzeugenprojekt im Bistum Limburg organisiert seit 2018 Begegnungen zwischen Überlebenden des Holocaust und Schülerinnen und Schülern. Ziel ist es, ein Zeichen der Versöhnung zu setzen, durch die Berichte aufzuklären und die Zuhörerinnen und Zuhörer zu motivieren, sich für eine friedliche Zukunft einzusetzen. Seit 21 Jahren kommen Menschen, die die Grauen von Konzentrations- und Arbeitslagern und Ghettos unmittelbar erlebten, in das Bistum Limburg. Sie kommen aus Polen, Belgien oder Tschechien und erzählen gegen das Vergessen in Schulen von ihren persönlichen Erfahrungen.