Das Festival „Musik im Park“ hat sich als echtes Highlight im Krifteler Jahreskalender erwiesen: Mehrere Tausend Menschen feierten gut gelaunt bei bestem Sommerwetter. Zu Feiern gab es aber nicht nur den Beginn der Sommerferien, das einsetzende Hochsommerwetter und den Park als Partylocation: Mit einem „Talk im Park“ wurde außerdem ein denkwürdiger Tag vor 50 Jahren begangen: Am 20. Juni 1974 entschied der hessische Landtag, dass die Obstbaugemeinde selbstständig bleibt und nicht - im Zuge der kommunalen Gebietsreform in Hessen - nach Hofheim eingemeindet wird. Mit dieser Entscheidung wurde Kriftels intensiver Kampf um die Unabhängigkeit belohnt.
Denn Anfang der 1970er Jahre drohte mit der kommunalen Gebietsreform in Hessen die Eingemeindung Kriftels nach Hofheim. „Trotz heftigen Widerstands sah es nicht gut für Kriftel aus“, berichtet Gemeindearchivar Dr. Detlef Krause. „Die Ereignisse waren damals dramatisch.“ Er blickte mit Ehrengästen und Zeitzeugen beim „Talk im Park“ auf diese aufregenden Zeiten zurück: Gekommen waren Johannes Heger, Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebunds, der langjährige Kommunalpolitiker Norbert Hegmann aus Flörsheim, Wolfgang Sittig, Ehrenamtlicher Stadtrat aus Hofheim, sowie die Kommunalpolitiker/innen Ferdinand Dillmann, Edelbert Hoss und Isolde Fischer aus Kriftel.
„Pläne zu einer umfassenden Neugliederung von Gemeinden, Städten und Landkreisen gab es in Hessen und anderen Bundesländern schon seit den 1960er Jahren zuhauf“, startete Dr. Krause in die Plauderrunde. „Als Gründe des Reformbedarfs sah man den Strukturwandel, der durch Bevölkerungswachstum, Abwanderung aus den Städten ins Umland, einen wachsenden Lebensstandard, das Bedürfnis nach besseren Wohn-, Freizeit- und Verkehrsangeboten gekennzeichnet war. Die daraus folgende Verknappung des Bodens sollte durch eine auch wissenschaftlich fundierte Planung möglichst optimal gesteuert werden. Zugleich wollte man die Effektivität der Verwaltung durch größere Verwaltungseinheiten in den Gemeinden und Landkreisen verbessern.“
Anwohner schalteten Todesanzeigen
Doch das kam nicht überall gut an: Verärgerte Anwohner schalteten Todesanzeigen – so war in einem eingespielten Radiobeitrag des Hessischen Rundfunks zu hören, der sich mit vielen Vorteilen, aber auch Nachteilen der Gebietsreform beschäftigte. Von 1969 bis Mitte 1971 wurde zunächst der freiwillige Zusammenschluss zwischen Gemeinden gefördert. „Die Zahl der hessischen Gemeinden ging in diesem Zeitraum von 2.642 auf 1.234 zurück“, so der Gemeindearchivar. „Im Main-Taunus-Kreis nahmen beispielsweise 1970 Hattersheim, Eddersheim und Okriftel diese Möglichkeit wahr. 1971 schlossen sich Flörsheim, Wicker und Weilbach zur Gesamtstadt Flörsheim zusammen.“ Norbert Hegmann konnte den schwierigen Weg dorthin aus eigener Erfahrung schildern.
In der zweiten Phase von 1972 bis 1977 folgte zwangsweise die gesetzliche Neugliederung auf Gemeinde- und Kreisebene. Gesetzespakete mit verschiedenen Neugliederungsvorhaben wurden in mehreren Schüben vom Hessischen Landtag diskutiert und verabschiedet. Im Juni 1974 ging es um die Zukunft Kriftels wie auch Sulzbachs, das sich ebenfalls entschieden gegen eine Eingemeindung nach Bad Soden wehrte.
„Es war ein emotionaler Kampf“, erinnert sich Edelbert Hoss. „Doch wir waren erfolgreich: Als die Nachricht nach Kriftel kam, dass wir selbstständig bleiben, läuteten die Glocken. Die Krifteler zogen spontan, begleitet von einem Fanfarenzug, in einem Fackelzug durch den Ort.“ Kriftel gehört damit zu den 31 von ursprünglich über 2.600 Kommunen in Hessen, die nach wie vor aus einer einzigen Ortschaft und einer einzigen Gemarkung bestehen, so wie sie historisch gewachsen sind.
Viele abenteuerliche Ideen
„Ende der 60er Jahre gab es viele abenteuerliche Ideen“, erinnert sich Hoss an aufregende Zeiten. „Das Frankfurter Messegelände sollte auf dem Hochfeld errichtet werden, Kriftel mal Wiesbaden, mal Frankfurt zugeteilt werden, dann wieder Hofheim. Letzteres wäre für uns noch am ehesten gegangen, da das Krankenhaus in Hofheim gelegen war und viele Krifteler dort geboren sind.“ Dennoch schwelte unter den Ortspolitikern die Angst davor, dass viele Pläne – wie die Erweiterung des Freizeitparks und des Josef-Wittwer-Hauses dann „passé“ seien. „Also war uns allen klar: Wir kämpfen!“ Dass auch Probleme und Herausforderungen der Zukunft besser als selbstständige Gemeinde zu bewältigen seien, an diese Einschätzung der damaligen Zeit erinnerte Ferdinand Dillmann.
Isolde Fischer, deren verstorbener Mann Friedel damals Vorsitzender der Krifteler Gemeindevertretung war und ein großes Netzwerk besaß, betonte das Engagement des damaligen Bürgermeisters Hans-Werner Börs, der gar nicht aus Kriftel stammte, sich aber „wie ein Löwe“ vor die Bürgerinnen und Bürger stellte. Er verwies damals auf die gesunde Finanz- und Wirtschaftsstruktur der Gemeinde, das hohe Steueraufkommen, die über tausendjährige Geschichte und die gute Zusammenarbeit mit der Nachbarstadt Hofheim. Die Gemeindevertretung beschloss daher am 19. Februar 1971, dass Kriftel selbstständig bleiben sollte.
Weihnachtsgeschenk aus Wiesbaden?
Die Neugliederungsvorschläge des hessischen Innenministeriums zur gebietlichen Neugliederung des Main-Taunus-Kreises und der Stadt Wiesbaden im Dezember 1973 wiederholten dennoch die bekannten Argumente, dass beide Kommunen eng verflochten seien und „schon jetzt eine fast geschlossene Siedlungseinheit“ bilden würden. Daher sei die Eingliederung Kriftels nach Hofheim „erforderlich“. Die lokalen Krifteler Nachrichten titelten bitter: „Weihnachtsgeschenk aus Wiesbaden“.
In Kriftel wurden nun alle Kräfte mobilisiert. Es bildete sich ein Arbeitskreis Gebietsreform unter der Leitung von Friedel Fischer, der aus Mitgliedern der SPD- und CDU-Fraktionen gebildet wurde. Eine in Auftrag gegebene Umfrage des Demoskopischen Instituts Allensbach ergab im März 1974, dass 95,2 Prozent der befragten Krifteler sich für die Selbstständigkeit aussprachen. Zur Stärkung der Argumentationsbasis ließ man im März 1974 vom Büro für Strukturforschung und Wirtschaftsplanung Dr. Nordmann in Wiesbaden ein Gutachten erstellen.
Plakataktion: Hände weg von Kriftel!
Ein deutliches Bekenntnis war die Plakataktion „Hände weg von Kriftel“ mit dem Igel als Symbolfigur, die Ende Januar 1974 startete. Überall im Ort prangten Schilder und Aufkleber mit einem Igel, der seine Stacheln aufrichtete. Am 15. März 1974 kamen rund 1.600 Krifteler zu einer Bürgerver¬sammlung in den Schwarzbachhallen zusammen, eine der größten bis dahin im Main-Taunus-Kreis. Zwei Tage nach der Versammlung votierten 98,3 Prozent der Krifteler in einem Bürgerentscheid für die Selbstständigkeit der Gemeinde
Auch der Kreistag des Main-Taunus-Kreises unterstützte am 12. März 1974 die Krifteler Position. Der Magistrat der Stadt Hofheim hatte bereits im Februar des Jahres entschieden, auf eine zwangsweise Eingemeindung Kriftels verzichten zu wollen. Die Sicht der Hofheimer stellte beim „Talk im Park“ anschaulich Wolfgang Sittig dar.
Am 9. Mai 1974 fand die erste Lesung des Neugliederungsgesetzes im Hessischen Landtag statt. Die Anhörung vor dem Ausschuss für Verwaltungsreform sollte am 6. Juni 1974 stattfinden. Für Kriftel fuhren Bürgermeister Börs und Friedel Fischer als Vorsitzender der Gemeindevertretung nach Wiesbaden; unterstützt wurden sie von Landrat Dr. Valentin Jost und Dr. Hermann Schmitt-Vockenhausen, dem Vorsitzenden des Kreistags. Im Ergebnis war man vorsichtig optimistisch. Die Enttäuschung war jedoch groß, als der Koalitionsausschuss von SPD und FDP am 11. Juni 1974 die Eingliederung Kriftels nach Hofheim befürwortete.
Entscheidung in Wiesbaden
Es kam zum Showdown am 19. und 20. Juni 1974, als die zweite Lesung der Neugliederungsgesetze terminiert war. Bürgermeister Börs und sein Kollege Karl Reinke (SPD) aus Sulzbach fuhren beide zur Landtagssitzung in Wiesbaden. Im Hintergrund gelang es offenbar Börs und Reinke, verschiedene Abgeordnete doch noch umzustimmen. In der parlamentarischen Aussprache teilte der Abgeordnete Gerhard Sprenger (SPD) mit, dass zu zwei Punkten doch noch „interfraktionelle Übereinstimmungen“ erzielt worden seien. Im Fall des Main-Taunus-Kreises bestünde „jetzt Übereinstimmung bei allen Fraktionen darüber, die Gemeinden Sulzbach und Kriftel selbständig zu lassen.“ Sprenger schlug daher vor, den Gesetzentwurf am nächsten Vormittag nochmals im Ausschuss für Verwaltungsreform behandeln zu lassen. In dieser lobte die Abgeordnete Dr. Sibylle Engel (FDP), dass der Wille der Betroffenen erhört worden sei. Um 19:38 Uhr verabschiedete der Hessische Landtag mit den Stimmen von SPD und FDP das Neugliederungsgesetz: Kriftel und Sulzbach blieben selbstständig.
Von oben nach unten gedacht
„Die Gebietsreform wurde damals von oben nach unten gedacht“, erläuterte Johannes Heger, der Geschäftsführer des Hessischen Städte- und Gemeindebunds. „Das Empfinden der Leute wurde oft nicht berücksichtigt, sie fühlten sich nicht abgeholt. Eine Kommune muss ein Identifikationspunkt sein!“ Auch im digitalen Zeitalter werde das Rathaus noch offene Türen bieten und wichtig bleiben: „Denn von Auge zu Auge über Anliegen zu sprechen, das lässt sich nicht ersetzen“, glaubt er.
Für einen fast komödiantischen Abschluss sorgten als „Überraschungsgäste“ die beiden aktuellen Bürgermeister Christian Vogt (Hofheim) und Christian Seitz (Kriftel): Vogt dankte augenzwinkernd für die Einladung zur „Eingemeindungsfeier“ und wurde scherzhaft ausgebuht, Seitz erinnerte an einen „Petra-Roth-Plan“, der Teile Hofheims an Frankfurt zuordnen wollte und an die Überlegungen sogar der Kreise Main-Taunus und Hochtaunus, zu fusionieren. „Glücklicherweise hat die kommunale Selbstverwaltung gesiegt“, betonten beide.
Die Zusammenarbeit von Kriftel und Hofheim sei eng und gut. „Ich spiele ja immer noch mit dem Gedanken, den Hessentag oder eine Landesgartenschau mal zusammen auszurichten“, so Vogt lachend. „Das gab‘s noch nicht und der Freizeitpark ist doch prädestiniert dafür!“ Dass dieser prädestiniert ist für ein Open-Air-Festival – das wurde dann nach dem Talk im Park mit dem Start des Musikprogramms an zwei gelungenen Tagen mehr als deutlich.