Es klingt zunächst einmal unglaublich fahrlässig, was SPD und GALB in der letzten Sitzung der Gemeindevertretung vergangene Woche mit ihrer Mehrheit beschlossen, nämlich einem entsprechenden Antrag des Gemeindevorstandes zu folgen, das Schutzschirm-Angebot des Landes nicht anzunehmen. CDU und BFW ließen in der heißen Debatte zwei Tage vor dem Stichtag für die Anmeldung in Wiesbaden auch keinen Zweifel daran, dass sie das Verhalten der Mehrheit als Katastrophe für Bischofsheim ansehen.
Als „Offenbarungseid“ bezeichnete BFW-Sprecher Bernd Steffens das Votum des Gemeindevorstands und der Mehrheit. „Die Bischofsheimer wissen eben alles besser“, zeterte er. Sabine Bächle-Scholz (CDU) betonte, dass es nicht darum gehen könne, ob das Schutzschirm-Programm nun das beste aller möglichen sei. „Wir suchen nach einer Regelung, die all unseren Wünschen entspricht – aber die gibt es nicht.“
Es gebe unabhängig vom Rettungsschirm eine klare Vorgabe an die Gemeinde, bis 2016 einen ausgeglichenen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung vorzulegen, erinnerte Bächle-Scholz an die Erfordernisse der Schuldenbremse. „Wir bekommen folglich vom Land Geld dafür, dass wir unsere Pflicht, die wir so oder so haben, erfüllen.“
Auch das letzte Instrument der Opposition zog allerdings nicht: Steffens verlangte eine namentliche Abstimmung. Doch es gab kein Ausscheren bei SPD und GALB, die Fraktionsmitglieder können damit leben, dass ihr Name mit dieser Entscheidung in Verbindung gebracht wird. Kurz zusammengefasst begründen Verwaltung, SPD und GALB die Ablehnung mit erwiesener Unmöglichkeit, die auf die Gemeinde unter dem Rettungsschirm zukommenden Eigenbeiträge auch nur ansatzweise zusammenzubekommen. Bürgermeisterin Ulrike Steinbach (SPD) hatte ihre Rathausmitarbeiter genau rechnen lassen und legte eine detaillierte Liste vor, die locker als Beweisführung für diese Behauptung durchgehen kann.
Der Konsolidierungsbeitrag der Kommune für die nächsten Jahre ist vom Land klar vorgegeben: 100 Euro pro Einwohner im Jahr 2013, 200 Euro im Jahr 2014, 300 Euro im Jahr 2015 sowie 400 Euro 2016, ehe er sich ab 2017 bei 408 Euro einpendeln würde. Nach Addieren aller bekannten Faktoren, über die die Gemeinde die Haushaltssituation in den kommenden Jahren beeinflussen könnte, kommt die Verwaltung auf ein Einsparpotenzial von nur rund 30 Euro pro Einwohner (also etwa 380.000 Euro). Zwar wären eigentlich 90 Euro pro Einwohner an höheren Erträgen zu erreichen, doch es gibt Gegenfaktoren, an denen die Gemeinde nicht vorbeikommt und die laut Verwaltung satte 59 Euro pro Einwohner ausmachen werden. So hat der ebenfalls stark defizitär wirtschaftende Landkreis, dem die eigene Aufsicht in Form des Regierungspräsidiums im Nacken sitzt, eine Erhöhung der Kreisumlage als unumgänglich angekündigt. Bei zwei Prozentpunkten mehr Kreisumlage (auf einen Hebesatz von 35,5 Prozent) wären das über 600.000 Euro, die die Bischofsheimer Kasse zusätzlich belasten – pro Jahr.
Dennoch: Die „nur“ 1,26 Millionen Euro, die Bischofsheim 2013 aufbringen müsste, wären vielleicht noch zu erreichen. Zum Beispiel durch eine Erhöhung der Grundsteuer B (für Eigenheimbesitzer) von derzeit 330 auf 680 Punkte. In diesem Jahr sind nämlich rund 1,2 Millionen Euro Einnahmen aus dieser Quelle eingeplant, so dass mehr als eine Verdoppelung notwendig wäre. Eine rein rechnerische Variante, natürlich könnte sich der Beitrag auch aus einer ganzen Reihe Streichungen und Erhöhungen an anderer Stelle zusammensetzen. Die allerdings hat Steinbach sich in ihrem Rechenbeispiel für die planerischen Vorgaben der späteren Jahre aufgehoben. Um die 300 Euro pro Kopf (3,8 Millionen Euro) für das Jahr 2015 aufzubringen, wären nämlich zusätzlich die Streichung so ziemlich aller freien Ausgaben und enorme Gebührenerhöhungen unausweichlich, erläutere Steinbach. Die dazu notwendigen Beschlüsse lesen sich so, als wollte die Gemeinde ihre Bürger zum Fortzug auffordern.
Neben der erhöhten Grundsteuer B von 680 Punkten müssten Beschlüsse wie die Vervierfachung der Kitagebühren (Kostendeckungsgrad derzeit 27 Prozent), die Schließung von Heimatmuseum und Bücherei, die Streichung aller Ausgaben im Bereich der Kultur- und Sportförderung und die Schließung des Jugendhauses folgen. „Ein Defizit von 407 Euro pro Einwohner durch den Beitrag der Gemeinde zum Rettungsschirm ab 2017 ist aber in keinem Fall auszugleichen, selbst ohne die steigende Kreisumlage nicht“, stellte Steinbach klar. In jenem Jahr wären 5,2 Millionen Euro aufzubringen.
Aber auch in den anderen der 106 Kandidaten können diese Zahlenspiele nicht wesentlich anders ausgefallen sein – sonst wären diese Kommunen ja keine Kandidaten geworden. Und dennoch kamen sie in der großen Mehrheit zu einem anderen Schluss als die Bischofsheimer Mehrheit. „Wir können darauf warten, dass ein Wunder geschieht und alle unsere Schulden vom Land übernommen werden“, sagte Bächle-Scholz, die die Verweigerungshaltung auch rein prinzipiell nicht versteht: „Ist die Forderung des Landes, dass wir Geld nur erhalten, wenn wir auch etwas für die Zukunft unserer Gemeinde tun, ungerecht?“, fragte sie.
Wäre die Meinungsbildung in Bischofsheim zum Thema Kommunaler Rettungsschirm anders ausgefallen, wenn die Landesregierung eine andere Farbe hätte? Eine hypothetische Frage, die die SPD im Zweifelsall damit beantworten wird, dass eine sozialdemokratisch geführte Landesregierung niemals ein solches Programm aufgelegt hätte, ohne das beweisen zu müssen. Fraktionschef André Rüggeberg fand die Darstellung der Verwaltung jedenfalls erhellend und so ganz im Gegensatz stehend zu dem, was die CDU, die den Antrag für den Beitritt zum Kommunalen Rettungsschirm gestellt hatte, in ihren Pressemitteilungen zu dem Instrument verlautbart habe. „Da haben Sie nämlich vergessen zu erwähnen, dass es nicht einfach ein Geschenk der Landesregierung ist.“
Projekte wie die Stegsanierung oder die Sanierung oder der Neubau des Bürgerhauses wären sofort aus dem Rennen, sämtliche Gebührenhaushalte müssten auf kostendeckende Beträge erhöht werden. „Es bliebe nur ein kümmerlicher Rest des lebendigen Lebens übrig, und wir wären von der Kommunalaufsicht regiert“, erläuterte der SPD-Fraktionschef.
Die interfraktionelle Arbeitsgruppe habe 500.000 Euro Einsparpotenzial ermittelt, zu wenig, wenn schon im ersten Jahr 2013 rund 1,2 Millionen Euro Beitrag der Gemeinde gefordert seien, sagte Wolfgang Bleith (GALB). „Im Jahr 2014 sind es dann schon 2,1 Millionen Euro, uns ist bei den Beratungen nichts zu Ohren gekommen, wie das zu erreichen wäre“, wollte der Fraktionschef sich nicht auf die Szenarien der Verwaltung einlassen. Dem Lob für das Land lasse die CDU keinerlei Einsparvorschläge folgen, kritisierte Bleith.
Unabhängig vom Thema Rettungsschirm müsse die Gemeinde daran arbeiten ihre Bilanzen zu verbessern, was die GALB – wie die Zeiten sich ändern – vor allem über den Wirtschaftsfaktor und Wachstum erreichen will, nämlich über die Wiederbelebung und Neuausweisung von Gewerbeflächen. Die Belastungserhöhung für die Bürger wie durch eine Anhebung der Grundsteuer und die Beiträge für die Kitas sieht Bleith als unausweichlich an, freilich nicht in dem für den Rettungsschirm rechnerisch notwendigen Ausmaß. „Besser wäre es, das Land erkennt an, dass es eine Erziehungsaufgabe des Staates gibt“, kritisiert er die Unterfinanzierung der Kommunen für die steigenden Aufgaben in der Kinderbetreuung.
Natürlich fanden die Bischofsheimer an jenem Mittwochabend nicht den Stein der Weisen. CDU-Fraktionschef Helmut Schmid sieht ihn nach dem Beschluss gegen den Rettungsschirm schon kommen, den Sparkommissar. Dass es der Gemeinde außerhalb des Schutzschirmes besser gelinge, Projekt wie die Stegerhaltung zu stemmen, sei stark zu bezweifeln. Die Auflagen des Kreises, die Ginsheim-Gustavsburg – kein Rettungsschirm-Kandidat – ereilten, seien ein Beleg, „das es genau andersherum ist“. In den Sommerferien könne die Verwaltung ja einmal hochrechnen, „wie lange es noch dauert, bis wir hier griechische Verhältnisse erreicht haben“.
Angesichts der Entwicklung blicke doch sowieso keiner mehr durch, wie die Geldläufe bei dem Schutzschirm eigentlich genau funktionierten, betonte Andreas Soliga (SPD). Nur eines sei klar: Das Geld, das in den Schutzschirm gehe, sei Geld, das die brav arbeitenden Menschen verdienen, „die zahlen die Steuern“. Letztlich wandere „das ganze Schutzschirmgeld in eine Bank“, ahnt er mit unverhohlenem Frust.
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