Die Bäume können nichts berichten

Erstmals veranstaltete die CjZ eine Shoah-Gedenkveranstaltung auf dem jüdischen Friedhof

Franz Kroonstuiver vom Veranstalter CjZ, Klezmer-Musiker Roman Kuperschmidt und Rabbiner Shlomo Raskin (v.l.) führten durch die Gedenkstunde auf dem jüdischen Friedhof.

Eigentlich symbolisiert die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 einen äußerst positiven Tag in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs: das Ende des Mordens an geschätzt mehr als 1,1 Millionen Menschen im gesamten Lagerkomplex bei der polnischen Stadt Oświęcim, wo ein gewichtiger Teil der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten ihr Werk tat. Als die Rote Armee an jenem Tag die insgesamt drei Lager erreichte und befreite, war der Schrecken über das Vorgefundene viel um groß, um dieses Ereignis zu feiern. Wohl aber etablierte sich viele Jahre später für dieses Datum ein Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, der in Deutschland seit 1996 bundesweit begangen wird, seit 2005, dem 60. Jahrestag der Befreiung, durch die Initiative der Vereinten Nationen auch als Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (CjZ) im Main-Taunus-Kreis gestaltete nun erstmals auf dem jüdischen Friedhof eine eigene Gedenkveranstaltung zu diesem Jahrestag und stieß damit angesichts von 50 Gästen auf dem jüdischen Friedhof auf eine gute Resonanz. „Es ist gut, dass so viele Leute an diesen heiligen Ort gekommen sind, um ein Zeichen zu setzen, dass diese Welt einen guten Weg nehmen soll“, bekundete Rabbiner Shlomo Raskin (Frankfurt).

Einen Gutteil der Teilnehmenden stellten die Schülerinnen und Schüler des Religionskurses der Klassen 8 a, c und f des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums mit Lehrer Bernhard Frank. Ein Schwerpunkt des Gedenkens auch deshalb: die etwa 1,5 Millionen Kinder unter den rund sechs Millionen Opfern der Shoah. „Die Befreiung von Auschwitz war nur ein Anfang, das Töten ging weiter“, verdeutlichte CjZ-Beisitzer Franz Kroonstuiver bei der Begrüßung auf der Wiesenfläche, dass in den mehr als drei Monaten bis zur Kapitulation noch viele weitere Verbrechen an der Menschlichkeit folgten. Aber immerhin, „es war ein Hoffnungsschimmer, dass das bestialische Töten aufhört, wie ein Licht am Ende des Tunnels.“

Bürgermeister Bernd Blisch ging auf das Flörsheimer Geschehen nach 1933 ein. Auch die hiesigen Juden entkamen nicht den Verfolgungen, der Rathauschef verwies auf die 33 Tafeln mit den Namen der Flörsheimer Opfer der Shoah in der Synagogenstraße, an der Außenmauer des Nachbargebäudes der spurlos verschwundenen Synagoge zu sehen. „Zum Glück waren darunter keine Kinder und Jugendliche“, sagte Blisch. Die 21-jährige Ilse Kahn, in Sobibor ermordet, war die jüngste Flörsheimerin unter den 1942 Deportierten. Das Schulkinderhaus der Paul-Maar-Grundschule trägt ihren Namen und erinnert so an die ehemalige Bürgerin.

Einher gingen auch in Flörsheim die Verfolgungen mit Angriffen auf religiöse Einrichtungen, nicht nur auf die Synagogen, auch der Flörsheimer Friedhof wurde bereits 1938 geschändet und anschließend bis 1945 als Gartenfläche genutzt. Nach der erneuten Weihe zum Friedhof im Jahr 1947 gab es sogar noch drei neue Beisetzungen auf dem Gelände, so auch von Ehrenbürger Jakob Altmaier (1889 – 1963). Blisch lobte das Engagement, das das Stauffenberg-Gymnasium über ihre AGs zum Thema Nationalsozialismus zeige, so auch bei der Begleitung der Stolperstein-Aktionen.

Die GSG-Achtklässler kooperierten für die Gedenkfeier auf dem Friedhof mit dem CjZ. Schülerinnen und Schüler trugen Texte vor, die die Verfolgungen dokumentieren, so ein „Amtsblatt“ vom November 1938. Nach und nach wurden während der weiteren Zeremonie mit Rabbiner Raskin, so dem Gebet „El male rachamim“, für die Opfer der Shoah insgesamt acht Kerzen entzündet und am Gedenkstein abgelegt.

Musikalisch wurde die Veranstaltung vom Klarinettisten Roman Kuperschmidt eingeleitet und beendet. Dies mit dem Stück „Hatikwa“ (Die Hoffnung), nichts Geringes als die israelische Nationalhymne, die auch zum Standardprogramm bei Shoah-Gedenkveranstaltungen gehört.

CjZ-Vorsitzender Willi Schelwies äußerte die Hoffnung, dass das Gedenken am 27. Januar ein stärkeres Gewicht bekommt als bisher, „das Datum ist noch nicht so im Bewusstsein“. Fast 77 Jahre nach dem Kriegsende wird es allmählich schwierig, Berichte über die Zeit der Verfolgungen aus erster Hand zu erhalten. Schelwies schilderte, wie eindrucksvoll für ihn und alle Beteiligten eine Studienreise unter Beteiligung der CjZ nach Majdanek/Lublin im Jahr 2015 gewesen sei. „Die, die mit den Zeitzeugen sprechen, werden neue Zeitzeugen“, zitierte er daher Inge Auerbacher, die am Vormittag im Bundestag bei der dortigen Gedenkstunde gesprochen hatte.

Etwas mehr Zeit, sich Erinnerungen berichten zu lassen, nicht nur über die Jahre der Verfolgung, hätten die heutigen Generationen, wenn sich die Natur etwas gesprächiger zeigte, wie Shlomo Raskin bedauerte. „Schade, dass die Bäume nicht sprechen können“, sagte der Rabbiner mit Blick auf die landschaftliche Umgebung des Friedhofs. „Sie könnten darüber berichten, wie das jüdische Leben in Flörsheim einst war.“

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Kommentare

Gedenkfeier

Vielen Dank, dass Sie so ausführlich berichten.
In Zeiten des zunehmenden Antisemitismus ist dies ein wichtiges Zeichen.
Wir sind es den Toten schuldig, dass wir sie nicht vergessen.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Pabst



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