Der Historiker Mario Becker referierte an der Weingartenschule über die römische Kaiserzeit
„Wir sind schockiert, wie es da so zuging“, so die Reaktion eine Schülerin der 9. Klasse der Weingartenschule. Diese Meinung teilte wohl die Mehrzahl der etwa 170 Schülerinnen und Schüler, die dem anderthalbstündigen Vortrag von Mario Becker über die römische Kaiserzeit in der Aula der Schule beigewohnt hatten. Der ehemalige Museumspädagoge der Saalburg und Dozent für Geschichte und Archäologie an der Universität Frankfurt vermittelte auf mitreißende Art und Weise, dass an der Spitze des römischen Kaiserreichs über Jahrhunderte hinweg Intrigen, Verrat und Exzesse an der Tagesordnung waren und nicht immer die stabilsten Geister die Geschicke des Staates lenkten.
Die Leiterin des Gymnasialzweigs, Nicola van de Loo, hatte im Vorfeld verheißungsvolle Andeutungen gemacht und einen ungewöhnlichen Vortrag über die Kaiser und die Kultur der alten Römer angekündigt. Als anschauliche Kulisse für Dozent Becker dienten einige Gegenstände und Utensilien auf der Bühne: ein Kettenhemd, ein römischer Gladiatorenhelm, ein Speer, ein Schwert, ein Schild und Stoffballen.
Becker kam schnell und unmissverständlich zur Sache: Die römischen Kaiser hatten ihm zufolge „einen Dachschaden und waren schwer gestört“ – mit solchen Urteilen weckt man natürlich die Neugier. Aber wie konnten sie dennoch über 300 Jahre lang ihr riesiges Imperium ausbauen und verwalten? Militärgewalt war hierfür schon mal ein wichtiges „Argument“. Die römischen Legionen zeichneten sich durch beispiellose Disziplin und Schlagkraft aus. Ein Zenturio lenkte seine Hundertschaft im Kampf quasi so präzise wie Videospieler heutzutage ihre Streitkräfte via Mausklick kontrollieren.
Sprache als einendes Element
Aber auch eine gehörige Portion Cleverness und geschickte Politik waren gefragt: Indem man besiegten Feinden die römische Staatsbürgerschaft anbot, machte man aus Gegnern priviligierte Mitbürger. Hautfarbe, Herkunft und (je nach Kaiser – immer wieder gab es zum Beispiel auch Christenverfolgungen) auch die Religion war den Römern dabei egal.
Die Zuhörerschaft zeigte sich fasziniert, während Mario Becker höchst expressiv gestikulierend sein Wissen vermittelte. Auch dem Dozenten war die eigene Begeisterung für die Thematik deutlich anzumerken, und dieser Enthusiasmus wirkte ansteckend. Verblüffende Parallelen zur Neuzeit taten natürlich ihr Übriges. So fanden erste Faceliftings auf Münzen und Büsten statt: der eigentlich hässliche und glatzköpfige Caesar bekam so geschönt ein formidables Aussehen mit üppigem Haupthaar.
Verständigungsschwierigkeiten gab es kaum im römischen Kaiserreich: Alle sprachen Latein. Ein erfolgreicher Baustein des römischen Integrationskonzeptes, erläuterte Becker. Darüber hinaus fanden sich vier tragende Säulen, die unsere heutige Europäische Union ebenfalls anstrebe: ein Bürgerrecht, eine Währung, eine Amtssprache und die Möglichkeit, innerhalb stabiler Grenzen die eigene Religion frei auszuüben.
Becker nahm seine jungen Zuhörer mit auf eine faszinierende Zeitreise und ließ mit Hilfe seines bilderreichen Vortrags auch die Abgründe der römischen Elite lebendig werden: vom verrückten Kaiser Nero, der seine Mutter ermordete, über den sexsüchtigen Kaiser Caligula, der sein Lieblingspferd zum Senator befördern wollte, bis hin zu dem böswilligen Claudius, der seine 15-jährige Nichte ehelichte, und Messalina, die mit dem halben römischen Senat das Lager teilte.
Bei seinen Ausführungen stand Becker dabei keine Minute still, und immer wieder schlug er weitere überraschende Verbindungen zu unserer modernen Welt: von Augustus zu Trump, vom Lorbeerkranz zu Napoleon, vom „Opus caementicium“ zu unserem Zement, von den Trajansmärkten zu unseren Einkaufszentren, von Cicero zu John F. Kennedy: Dessen berühmter Ausspruch wurde von Ciceros Rede an den Staat angeregt. Hieß es bei Cicero noch „Civis romanus sum“ („Ich bin ein römischer Bürger“), so lautete Kennedy Bekenntnis „Ich bin ein Berliner“. Ein wichtiger Beitrag zur Verhinderung einer weiteren Eskalation des Kalten Krieges, betont Becker. Inspiriert von einem römischen Anwalt und Philosophen - nicht von einem „durchgeknallten“ Kaiser.