Etwas zu fordern wäre einfach zu krass

Stadtverordnetenversammlung beschließt "Appelle" an die Fraport - Land soll Einfluss geltend machen

Die Fluglärmbelastung in der Region ist durch den Einbruch bei den Flugbewegungen und der damit verbundenen Schließung der Nordwest-Landebahn (im Bild) aktuell deutlich niedriger als gewohnt. Die Flörsheimer Parteien diskutieren, ob dies der geeignete Zeitpunkt ist, die Positionen der städtischen Gremien zum Flugbetrieb erneut vorzutragen.

Die Ruhe ist himmlisch, und gerade die Flörsheimer können gar nicht genug von der momentanen Stille am Himmel bekommen. Aber wie wird sich der Betrieb auf dem Frankfurter Flughafen entwickeln, wenn die Corona-Pandemie so weit im Griff ist, dass sich der Business- und Tourismusverkehr wieder zum früheren Ausmaß entwickelt? „Momentan wird von allen Seiten alles in Frage gestellt“, begründete Peter Kluin (GALF), warum er die Stunde für günstig hält, sich über die künftige Rahmenbedingungen des Flugverkehrs auf dem Airport zu unterhalten.

Die Stadtverordnetenversammlung hatte in ihrer konstituierenden Sitzung einen Antrag abzuarbeiten, den seine Fraktion schon gegen Ende der alten Sitzungsperiode eingereicht hatte und sich nicht weniger zum Ziel setzt als die Ausweitung des Nachtflugverbots, die Schließung der Nordwest-Landebahn und eine Neukonzeption des im Bau befindlichen Terminals 3. Der Antrag verursachte die erste Sitzungsunterbrechung der neuen Amtsperiode des Gremiums, ehe er trotz einer Aufteilung der Antragspunkte nahezu einmütig verabschiedet wurde.

Was will die GALF konkret erreichen? Im Grund nichts Neues, wie Kluin selbst anführte. Die Forderungen seien ambitioniert, aber so wie aufgeführt von der Stadtverordnetenversammlung schon einmal beschlossen worden. Die Fraktion führte die Flörsheimer Positionen also im wesentlichen aufgrund der aktuellen, die Umsetzbarkeit realistischer erscheinen lassenden Situation nur noch einmal in einem neuen Antragspapier zusammen. Der Magistrat soll beauftragt werden, diese Ziele durch ein Einwirken auf die Landesregierung zu verfolgen.

Das Bundesland Hessen als größter Aktionär des Flughafenbetreibers Fraport AG soll seinen Einfluss bei der Betreibergesellschaft konkret folgendermaßen geltend machen, um die „im Zuge der Corona-Pandemie dramatisch gesunkenen Passagierzahlen und Flugbewegungen sowie der anzunehmenden weltweiten Reduzierung des Flugverkehrs“ für lärmmindernde Veränderungen zu nutzen.

„Auf freiwilliger Basis“ solle die Fraport

  • das Nachtflugverbot von derzeit 23 Uhr bis 5 Uhr auf den Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr ausweiten,
  • die Nordwest-Landebahn dauerhaft stilllegen und für eine Wohnbebauung im Zuge des „Frankfurter Bogens“ zur Verfügung stellen,
  • die Baumaßnahme am Terminal 3 stoppen, um eine Neu-Konzeption vorzunehmen.

Die Argumente für die einzelnen Punkte musste die GALF sich auch nicht neu erarbeiten, sondern sind aus den Diskussionen der jüngsten Jahre bestens bekannt. So verweist das Papier schon im Antragstext auf die unter den Erwartungen mit den Ausbaustufen gebliebene Entwicklung der Flugbewegungen. Die im Planfeststellungsverfahren prognostizierten 701.000 Flugbewegungen würden seit der Eröffnung der Nordwest-Landebahn im Jahr 2011 „selbst am bisherigen Höchststand um nahezu 200.000 Flugbewegungen unterboten“. Vor zehn Jahren seien 487.000 Flugbewegungen registriert worden, zuletzt 513.000 (2019), dabei war Zweck der neuen Landebahn eine Verdopplung der Kapazitäten. Selbst vor der Pandemie zeigten die 462.000 Flugbewegungen des Jahres 2016, dass die tatsächlichen Daten die Erwartungen der Fraport nicht bestätigten.

Die Fraport selbst erwarte vor 2024 keine Rückkehr zum Normalbetrieb, führt die Begründung weiter aus. Weder bei den Urlaubsflügen, noch beim zweiten großen Standbein des Passagierverkehrs, den Geschäftsreisenden, sei eine Rückkehr zu alten Zahlen zu erwarten. „Die Unternehmen haben festgestellt, dass virtuelle Meetings leicht zu organisieren sind und Kosten einsparen“, erläuterte Kluin.

Terminal 3 werde „angesichts der rückläufigen Entwicklung im Flugverkehr“ nicht benötigt, ergänzt der Antrag – derzeit ist nicht einmal mehr das Terminal 2 in Betrieb.

Die FDP überzeugte nur der erste Teil des GALF-Vorstoßes – der mit dem Nachtflugverbot. Für die Themen Nordwest-Landebahn und Terminal 3 wollten die Liberalen die konkreten Forderungen des Antrages vermeiden und schlugen daher in einem Änderungsantrag vor, stattdessen Informationsgesuche gegenüber dem Land beziehungsweise dem Verkehrsministerium zu formulieren. Diese sollten darlegen, „ob und welche Maßnahmen bei dauerhaft rückläufigen Flugbewegungen geplant sind“. Auch zur Frage, ob die Nordwest-Landebahn geschlossen werden könne und welche Auswirkungen dies auf Flörsheim hätte, werden Aussagen erbeten. Zudem sollten Land und Ministerium darlegen, ob „bei weiterhin rückläufigen Flugbewegungen eine Überprüfung der Betriebserlaubnis durchgeführt werden kann“.

Letzteres darf man natürlich nicht so verstehen, dass die Liberalen auf einen Entzug der Betriebserlaubnis setzen. Vielmehr geht es hierbei um die fraglichen Bestimmungen in der Genehmigung wie den Nachtflugzeiten. Alle hätten gemerkt, „wie schön es sein kann“, gestand Thorsten Press (FDP) zu, dass die augenblickliche Situation ihren Vorteil für die Stadt habe. Allerdings hätte das Land als größter Eigentümer längst in dem Sinne der Flörsheimer Forderungen tätig werden können, „wer, wenn nicht das Land kann das machen?“, fragte der Fraktionschef.

Er gehe davon aus, dass vertragliche Bindungen die Möglichkeiten zu Veränderungen einschränkten. Press glaubt nicht, dass es in Frankfurt oder Wiesbaden besonderen Eindruck macht, wenn die Stadtverordnetenversammlung ihre Forderungen durch den Antrag erneut vortrage. „Wir konnten uns damals schon nicht auf Landesebene durchsetzen, um die Nordwest-Landebahn zu verhindern.“ Es sei zudem abzusehen, dass die Kommunen südlich des Flughafens bei einer Schließung der Bahn verlangen werden, dass wieder über die Flugrouten verhandelte werde, um ihre Mehrbelastung abzufangen.

Auch die Freien Bürger zeigten sich skeptisch, was die Erfolgsaussichten des GALF-Vorstoßes angeht. Alois Mhlanga sieht die Gefahr, „dass Türen verschlossen werden, die wir nachher nicht mehr aufbekommen“ und kündigte die Unterstützung des FDP-Änderungsantrags an. Die Forderungen der GALF seien in den Formulierungen der Liberalen auch enthalten, „aber in diplomatischerer Form“.

Daraufhin appellierte Kluin an FDP und dfb, „sich wenigstens bei unserem Antrag zu enthalten, damit er einstimmig beschlossen an das Land geht“. Ein wenig war die GALF bereit, dafür auf die beiden Fraktionen zuzugehen, indem sie beim einleitenden Text des Beschlussvorschlages statt von „Forderungen“ nur noch von „Appellen“ sprechen wollte, wie es Thomas Probst (dfb) vorgeschlagen hatte. Der Fraktionschef der Freien Bürger betonte „die Zeit der Stille zu genießen“, ging aber davon aus, dass Forderungen zu formulieren nicht der richtige Weg sei, weil die Stadt nichts durchsetzen könne.

Mit ihrem Zugeständnis nahm die GALF von ihrer offensiveren Formulierung Abstand, die etwa die SPD favorisiert hätte. „Die Stadtverordnetenversammlung kann ihre Forderungen durchaus vortragen, auch im Resolutionsstil“, bekannte Philipp Moritz, das deutlichere Wort zu bevorzugen.

Und auch die CDU wollte mit dem neuen Beschluss nicht hinter frühere Positionierungen der städtischen Gremien zurückfallen, „Wir haben unzählige Male gefordert, was der Antrag formuliert, jetzt sollen wir es zu einem Appell abschwächen“, sprach sich Fraktionschef Marcus Reif gegen die Linie aus, die FDP und dfb vorschlugen. Die Fraport werde das wohl kaum noch erst nehmen. „Es tut gut, nach zehn Jahren diese Forderungen zu erneuern“, sah Reif auch keinen Grund, den Vorstoß der GALF als überflüssige Wiederholung einzustufen. Es sei ein Ziel, die Centerbahn künftig stärker zu nutzen, um so die Nordwest-Landebahn schließen zu können.

Das Fazit der längsten Diskussion der Premierensitzung: Die Fraktionen hatten eigentlich keine entscheidenden inhaltlichen Differenzen zum Flughafen-Thema, wie schon in all den Jahren zuvor, stuften den GALF-Vorstoß aber unterschiedlich ein, was Sinnhaftigkeit und Geschick seiner Formulierungen angeht. Es gab also Gesprächsbedarf. Stadtverordnetenvorsteher Michael Kröhle (CDU) berief die erste Unterbrechung der neuen Sitzungsperiode ein, die tatsächlich zu einem Ergebnis führte.

So wurden die Einleitung und der erste „Appell“, wie es nunmehr heißt, einerseits (Nachtflugverbot) sowie die beiden weiteren Punkte (Nordwest-Landebahn, Terminal 3) andererseits getrennt abgestimmt. Während Teil eins alle Fraktionen zustimmten, fand Teil II die Gegenstimme von Werner Duchmann (FDP). Die beiden anderen Vertreter der Liberalen sowie die dfb-Fraktion enthielten sich. Zusätzlich einigten sich die Fraktionen darauf, Vertreter von Fraport und /oder Landeregierung einzuladen, im Haupt- und Finanzausschuss von ihren Zukunftsplänen für den Flughafenbetrieb zu berichten. "Damit hätten wie die erste schwere Geburt hinter uns", konnte Kröhle verkünden.

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