In manchen Bereichen muss die Stadt aktiver werden

Tobias Luger sähe als Flörsheimer Bürgermeister vor allem Bedarf an einer besseren Wirtschaftsförderung

Nicht jeder würde sich das Foto eines Schaltkastens als Wanddekoration aussuchen, aber Tobias Luger ist hier auch im Besprechungsraum seines Arbeitgebers T.O.M. zu sehen.

In einem Punkt ist der Bürgermeisterkandidat Der Freien Bürger (dfb) seinen drei Mitbewerbern weit voraus: Aus einer Weilbacher Familie stammend und 21 Jahre lang in diesem Stadtteil zu Hause, dann 15 Jahre in Flörsheims Innenstadt lebend, wurde Tobias Luger 2019 mit seiner Familie ein Bürger Wickers. Der Mann kennt seine Stadt von Geburt an also aus vielen Blickwinkeln. Das ist bei dem 40-Jährigen die Basis seiner von vielen, auch aus der Stadtpolitik, mit Überraschung aufgenommenen Kandidatur, auf der er im Erfolgsfalle aufbauen könnte.

Der dfb-Stadtverordnete ist offizieller Bewerber seiner Wählergruppe, ohne dieses Votum hätte er das Projekt wohl auch nicht angegangen. Für sein Alter hat Luger schon eine ganze Menge ausprobiert und erlebt auf beruflicher Ebene, geradezu eine Analogie zu seiner Wohnort-Wanderung durch die Stadtteile. 2001 begann er bei der Lufthansa eine Ausbildung zum Fluggerätemechaniker, wurde nach dem Abschluss allerdings nicht übernommen. Also holte er sein Abitur nach, gründete ganz nebenbei ein Gebäudereinigungs-Unternehmen, „weil ich meinen Eltern nicht auf der Tasche liegen wollte, ich habe immer auf eigenen Beinen gestanden“.

Von 2004 bis 2008 studierte Luger an der Mainzer Uni Betriebswirtschaftslehre. Im Gegensatz zu den allermeisten Studierenden brachte er durch seinen Betrieb bereits Praxiserfahrung in Sachen Unternehmensführung mit – ein klarer Vorteil. Im letzten Semester machte er mit einem Vortrag zum Themenbereich „Business Planning“ die Kronberger Niederlassung der Unternehmensberater von „Accenture“ auf sich aufmerksam und war für die nächsten fünf Jahre für das weltweit aktive Unternehmen ständig unterwegs. Ein sehr gut bezahlter Job, aber der Preis der ständigen Trennung von seiner Frau – Luger hat mit ihr zwei heute acht und elf Jahre alten Söhne – war ihm auf die Dauer zu hoch.

So wechselte er zu einem lokal verankerten Arbeitgeber, zu einer hiesigen Personalberatung, für die er einige Jahre dafür verantwortlich war, Strategien etwa gegen den Fachkräftemangel zu erarbeiten. Am Ende seiner Reise war Luger Vice President beim Personalvermittler Randstad und entwickelte einige Jahre globale Personalstrategien. Das hätte noch lange der berufliche Weg sein können, doch über die Freundschaft seines älteren Sohnes zum Sohn von Tim Göhlich lernte er den Chef des Betonschutz-Unternehmens T.O.M näher kennen. Der war gerade dabei sich selbstständig zu machen und war auf Personalsuche für seine zukunftsträchtige Firma.

„Es ist ein Unternehmen, in dem jeder gleich behandelt wird, auch, wenn er direkt aus Rumänien kommt und nichts hat“, erläutert Luger die Philosophie bei T.O.M., hinter der er gerade mit seinen ganz anders gelagerten Erfahrungen seiner vorigen Arbeitswelt steht, „diese Werte weiß hier jeder zu schätzen“.

Man käme nicht drauf, dass Luger über all die Jahre der Wanderschaft und häufigen Neuorientierung auch die Muße fand, die kommunalpolitischen Entwicklungen seiner Stadt aufzunehmen. „Politisch interessiert war ich schon immer“, betont er. Eine vorübergehende Mitgliedschaft in der Jungen Union mag dies belegen. Allerdings war Luger mit seinem Geschmack immer deutlich breiter aufgestellt, als es sich mit der Mitarbeit in einer bestimmten Partei verträgt. So bezeichnet er sich als Helmut-Schmidt-Fan und hört auch einen Gregor Gysi gerne reden, „die stehen für klare Stellungnahmen“.

Die Flörsheimer Kommunalpolitik rückte für Luger in den Fokus, als der erste Sohn in die Paul-Maar-Schule eingeschult wurde und er etwas entsetzt feststellte, dass es keinen sicheren Überweg für die Kinder an der Schule gab, „und den gibt es bis heute nicht“. Mehrere Mails an die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung gingen raus. Wer konkret auf ihn zukam, war Thomas Probst von den Freien Bürgern, vielleicht auch, weil man sich über den SV 09 „vom Sehen her“ schon kannte.

„Ich habe mich beim dfb ernst genommen und abgeholt gefühlt“, begründet Luger, wie diese Gruppierung es schaffte, ihn an sich zu binden. Das war vor ungefähr sieben Jahren. Luger war zusammen mit Christian Melchior einer der Jüngsten in seiner Wählervereinigung wie inzwischen auch in der Stadtverordnetenversammlung. Einige weitere Jüngere, die seither hinzustießen, wie der neue Fraktionschef Alois Mhlanga, sorgten dafür, dass die einstige Vereinigung reiferer Herren inzwischen eine gute Altersmischung aufweist. Aber auch gerade die Ur-dfbler wie das heutige Magistratsmitglied Klaus-Peter Harth überzeugten Luger, bei der richtigen Gruppierung zu sein, wie er betont, „ein alteingesessener Flörsheimer, der einfach nur das Beste will“.

Das erste kommunalpolitische Thema, mit dem er sich näher befasste, war die Verbesserung der Kitasituation, die Flörsheimer Eltern teilweise zwinge, Geschwisterkinder in unterschiedliche Einrichtungen unterzubringen. „Da muss sich einiges tun“, sieht er dieses Thema als weiter vordringlich in der Stadt an. Er möchte prüfen, ob sich durch das Kitapersonal entlastende Modelle wie Oma/Opa-Vorlesestunden und Angebote von Sportvereinen die Situation verbessern lässt, wie er es von anderen Kommunen kennt.

Luger ist bewusst, dass er bei der Wahl am 9. Juni gegenüber dem Bürgermeister und dessen erneut antretenden Vorgänger den Nachteil eines weitaus geringeren Bekanntheitsgrads wettmachen muss. Einen Wahlkampf, der dies über eine Materialschlacht ausgleichen soll, ist natürlich nicht geplant. Nicht nur, weil die Freien Bürger nicht über die finanziellen Ressourcen der beiden etablierten Parteien verfügen. Luger will viel in Eigenleistung erledigen, um die Arbeitsbelastung seiner etwa zehnköpfigen Gruppe fester Unterstützerinnen und Unterstützer nicht zu sehr zu strapazieren. „Ich möchte nicht, dass die Leute für mich um sechs Uhr morgens beim Bäcker stehen.“

Er will in der Stadt natürlich Präsenz zeigen während der heißen Phase, was als fleißiger Festbesucher in allen Stadtteilen aber nicht einmal mit zusätzlichen Terminen verbunden ist. Großveranstaltungen wie Wahlkampf-Grillfeste sind dagegen nicht geplant, „das wäre maßlos“. Dass er ein Problem mit seiner Bekanntheit vor allem bei der älteren Wählerschaft hat, ist ihm bewusst, „mich kennen eher die Jüngeren“. Er hofft eben, dass er es schafft, seinen „absoluten Willen, Flörsheim voranzubringen“ im Wahlkampf herüberzubringen.

Themen, die alle Generationen berühren, gebe es schließlich genügend. „Auch die älteren Flörsheimer haben ein Interesse daran, dass ihre Kinder hier bleiben.“ Das seien in vielen Fällen Bürger in seinem Alter, die in der Stadt keine größeren Wohnungen finden und sich deshalb in der Region umschauten. Er favorisiert ein Einheimischenmodell, dass die ansässigen Bürger bei der Wohnungssuche bevorzuge, zudem gebe es auch viel Leerstand, „in dem Bereich muss die Stadt mehr Verantwortung übernehmen“, betonte Luger. So etwa als Bürgende gegenüber Vermietern eintreten.

Ein Kernthema für ein funktionierendes Stadtleben sei die Förderung der Vereine, „die sind in jedem Ort das Herzstück, weil die Leute sich da ehrenamtlich engagieren“. Mitglied ist Luger beim TV Wicker und als ehemaliger „Germania Dreamboy“ auch beim FCV. Viel helfen könnte die Stadt den Vereinen mit der Einrichtung der Stelle eines Ehrenamtsbeauftragten, ist er überzeugt, etwa bei Themen wie dem Einholen von Fördermitteln.

Klar positioniert sich Luger für den Bau der Weilbacher Umgehungsstraße, „für die ich mich mit voller Kraft einsetzen werde“. Im vollen Bewusstsein, dass er der fünfte Rathauschef wäre, der das so verkündet. Was die Frage aufwirft, wie der dfb-Kandidat mit dem Erfüllen von Erwartungen umgeht, die gerade auch jetzt im Wahlkampf an ihn herangetragen werden. „Ich werde nicht allen Leuten versprechen, dass ich die Dinge umsetze, die für sie wichtig sind – aber ich verspreche, dass ich mich voll dafür einsetze.“

Das Thema, bei dem er einen großen Nachholbedarf sieht, ist die Aktivität und Struktur der Stadt in der Wirtschaftsförderung. Die Geschichte, warum T.O.M., als expandierender Betrieb auf der Suche nach einer Gewerbefläche, Flörsheim verlassen und in Hattersheim neu gebaut hat, hat er hautnah mitbekommen. „Da wird in der Verwaltung einfach nichts gemacht“, kritisiert Luger die fehlende Unterstützung aus dem Rathaus.

„Sein“ neuer Bürgermeister für die Belange des Unternehmens ist somit nun Klaus Schindling in Hattersheim. Die Nachbarstadt sei auch bei der kommunalen Messe Expo Real in München vertreten, Flörsheim seit dem Ausscheiden von Bürgermeister Antenbrink hingegen nicht mehr. „Ob das damals so gut war, weiß ich nicht, denn das hat uns Logistiker gebracht – aber er hat etwas gemacht, momentan passiert dagegen nicht viel.“

Klarer Ansatz für ihn wäre das Schaffen einer Wirtschaftsförderungs-Stelle, die sich um die Unternehmen in der Stadt kümmert. „Der Bereich ist für mich aber auch Chefsache, weil die Gewerbesteuer der größte Hebel für ganz viele Sachen ist“. Und der Schlüssel für einen funktionierenden Haushalt, ergänzt Luger und zitiert das sinkende Aufkommen dieser Steuer in den jüngsten Jahren. Ob Expansion vorhandener oder Zuzug neuer Unternehmen, „ich glaube schon, dass da etwas möglich ist“, sagt der dfb-Kandidat. T.O.M. habe sich zum Beispiel weniger am hohen Gewerbesteuersatz in Flörsheim gestört, „wir wollten wachsen“.

Um die Finanzen in den Griff zu bekommen oder zu behalten, ist das Gewerbesteueraufkommen für Luger erster Ansatzpunkt, daher wird das Bemühen um Ansiedlung neuer Unternehmen eine zentrale Bemühung in der Finanzpolitik eines Bürgermeisters Luger sein. Ansetzen will er aber auch beim Phänomen des starken Preisanstiegs bei den Bauprojekten der Stadt. „Ein Kostenblock, bei dem man manchmal mit den Ohren schlackert.“ So bei den sechs Millionen Euro für die Rathausvilla. Bei der Mainufersanierung schreibt er die Verteuerung unnötigen Verzögerungen zu. „Das Konzept der SPD, das schon lange vorlag, war nicht schlecht, man hat es aber nicht umgesetzt, weil es eben von der SPD kam, und das rächt sich jetzt brutal in mehreren Millionen Euro.“

Ja, die Flörsheimer Gremien. Luger hätte zwar als Bürgermeister eine CDU/GALF-Mehrheit gegen sich, die zudem beleidigt auf eine Wahlniederlage reagieren könnte. „Aus dfb-Sicht gibt es im Moment aber schon eine sehr solide Zusammenarbeit, weil wir auch keine strikte Ablehnungspolitik als Opposition fahren“, sagt Luger. „Dennoch gibt es ein sehr starkes Konkurrenzdenken, die Ära Antenbrink hat zwischen SPD und CDU eine große Kluft hinterlassen.“ Er sähe es als Bürgermeister als seine Aufgabe an, sozusagen als neutraler Vermittler, „dies wieder ein bisschen zusammenzuführen“. Beide Parteien hätten tolle Ideen und Anträge zu bieten, „aber da ist noch so viel Wut, dass man einfach die Anträge des anderen ablehnt“. Die Rückkehr Michael Antenbrinks ins Rathaus hielte er unter diesem Aspekt für keine gute Idee, „er ist die falsche Person für eine gütliche Vereinigung“.

Er hingegen sieht keinen Grund, warum er bei einer der Parteien und Fraktionen nicht willkommen sein sollte. „Ich glaube nicht, dass ich jemandem bisher so aufgestoßen bin, dass er sagt, mit dem Luger kann man sich nicht unterhalten.“ Er wolle auch jederzeit jedem Gremienmitglied eine offene Tür bieten und die Informationen geben, die er/sie braucht, „ohne politisches Taktieren“. Seine Hoffnung: „Wenn ich einen fairen Umgang an den Tag lege, werden die Leute auch fair mit mir umgehen.“

Er sei jemand, „der sagt, was er denkt und tut, was er sagt“, nimmt Luger für sich in Anspruch. Er sei aber auch bereit, seine Haltung zu einem Thema zu ändern, wenn bei einer Kritik die Argumente „nachvollziehbar, kontrollierbar, messbar und beurteilbar sind“.

Das Zukunftsbild eines Flörsheims am Ende seiner sechs Jahre im Amt orientiert er am ISEK als beschlossene Zielsetzung – auch, wenn die Freien Bürger von dem gesamten Projekt nicht überzeugt waren, „jetzt ist es beschlossen“. Er hat aber auch seine persönlichen Vorstellungen eines Flörsheims, das wieder etwas lebenswerter wäre. Er vermisst einen Anlaufpunkt in der Stadt – so, wie es für ihn einst das Eiscafé Drusius am Herrnberg war. Den müssten die Bürger wieder bekommen, nicht nur am neuen Mainufer. „Da hat sich Flörsheim in den vergangenen Jahren nicht positiv entwickelt.“ Seine Wunschvorstellung: Dass die Bürgerinnen und Bürger sich an den Wochenenden aufs Rad schwingen und auf einem Rundweg in jedem Stadtteil ein lohnendes Ausflugsziel finden.

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