Musikalischer Bogen über 70 Jahre Vereinsgeschichte

Jubiläumskonzert der Akkordeonfreunde Flörsheim in der Stadthalle

nab

Mit einem festlichen und zugleich sehr persönlichen Konzert haben die Akkordeonfreunde 1955 Flörsheim ihr 70-jähriges Bestehen gefeiert. Rund 150 Gäste füllten die Stadthalle am Sonntagabend, um einen musikalischen Rückblick auf sieben Jahrzehnte Vereinsgeschichte zu erleben und einen Blick nach vorn zu werfen. Der Abend machte eindrucksvoll deutlich, wie lebendig ein Orchester sein kann, das in den vergangenen Jahren mehr als einmal vor dem Neuanfang stand.

Gleich zu Beginn machte Vorsitzende Dagmar Ried deutlich, was dieses Jubiläum für den Verein bedeutet. "Wir wollen heute nur eine einzige Geschichte erzählen", sagte sie bei der Begrüßung. "Unsere Geschichte - und die erzählen wir nicht mit Worten, sondern mit Musik." Ein herzliches Willkommen richtete sie an die vielen musikalischen Gäste, vor allem an die Mitwirkenden des Jubiläumsorchesters. Ohne sie, so Ried, "wäre ein Konzert in dieser Größe überhaupt nicht möglich gewesen".

Ried wandte sich besonders an Karin Dieser, die Witwe des Vereinsgründers Josef Dieser und langjährige Begleiterin des Vereins. Mit spürbarer Dankbarkeit erinnerte sie daran, wie sehr der Dirigent und Komponist die musikalische Identität des Orchesters geprägt habe. "Er war nicht nur unser Gründungsdirigent, sondern jahrzehntelang eine Inspiration – für viele von uns sogar ein Stück musikalische Heimat", sagte Ried.

Für das Konzert hatten die Akkordeonfreunde ein Jubiläumsorchester zusammengestellt, das aus dem Flörsheimer Orchester und befreundeten Akkordeonistinnen und Akkordeonisten aus der Region bestand. Schon in den Proben sei spürbar gewesen, wie viel Freude dieses Projekt bereite, erzählte Ried später. Der erweiterte Klangkörper eröffnete das Programm mit der "Ouvertüre Caprice" von Rudolf Würthner – einem Werk, das spielerische Virtuosität mit festlichem Glanz verbindet und gut zu den frühen Vereinsjahren passt, in denen Würthners Musik prägend war.

Mit Brahms’ "Ungarischem Tanz Nr. 4" knüpfte das Orchester an Repertoiretraditionen an, die bereits unter Rieds Vorgängern gepflegt wurden. Besonders eindrucksvoll gelang die Aufführung der "L’ Arlésienne"-Suite Nr. 2 von Georges Bizet. Die Flötistin Beatrix Weber und der Tenor Christoph Jörges erweiterten das Klangbild des Orchesters um zwei strahlende Klangfarben und sorgten für einen der ersten großen Höhepunkte des Abends. Dass dieses Werk für die Akkordeonfreunde eine besondere Bedeutung hat, erwähnte Ried bereits in ihrer Einführung: Die Akkordeonfassung wurde einst Josef Dieser zu seinem 60. Geburtstag gewidmet.

Nach der Pause gehörte die Bühne dem Wiesbadener Chor Chorage, der unter Leitung von Jürgen Hoffmann ein breites Spektrum präsentierte. Traditionelle Lieder, darunter „Kein schöner Land“, standen neben Popstücken wie "So lang man Träume noch leben kann" und "Don’t Stop Me Now". Die knapp 50 Sängerinnen und Sänger überzeugten mit feiner Dynamik, stimmlicher Breite und sichtbarer Begeisterung. Hoffmann, seit vielen Jahren musikalischer Leiter des Chors, führte sein Ensemble mit Leichtigkeit und Präzision durch ein Programm, das ebenso vielfältig wie stimmig wirkte.

Zum Abschluss präsentierten die Akkordeonfreunde zwei Werke, die seit vielen Jahren eng mit ihrer Geschichte verbunden sind: die Walzer-Suite "España" nach Emmanuel Chabrier und Jacob de Haans "Concerto d’Amore", das barocke Linien mit Pop- und Jazzklängen verbindet.

Ein besonders ruhiger, fast andächtiger Moment war der Erinnerung an Josef Dieser gewidmet. Das Orchester spielte eine seiner Kompositionen, das temperamentvolle "Alla Zingarese". Viele ältere Besucherinnen und Besucher dürften die Stücke aus früheren Konzerten gekannt haben. Ried betonte später: "Wir wollten ihm an diesem Abend unbedingt Raum geben. Ohne seine Vision gäbe es uns in dieser Form nicht." Das Publikum dankte mit langem Applaus und stehenden Ovationen.

Die Geschichte der Akkordeonfreunde reicht bis ins Jahr 1955 zurück. Damals gründete Josef Dieser den Verein als zweiten Akkordeonverein Flörsheims und leitete ihn fast vier Jahrzehnte lang musikalisch. Nach ihm übernahm Wolfgang R. Wagner die künstlerische Verantwortung und prägte das Orchester von 1994 bis 2012. Unter seiner Leitung widmeten sich die Akkordeonfreunde intensiv dem Werk Würthners und erzielten große Wettbewerbserfolge: 1996 und 1999 gewann das Orchester als erstes in der Geschichte der Rudolf-Würthner-Musikpreise zweimal in Serie den ersten Preis mit der Wertung "hervorragend". Auch Auftritte beim Deutschen Akkordeon-Musikpreis in Baden-Baden oder in der Akademie Remscheid machten das Ensemble überregional bekannt. 2002 stellte der Hessische Rundfunk das Orchester im Rahmen einer Radioaufnahme vor.

Der Weggang Wagners im Jahr 2012 bedeutete jedoch einen tiefen Einschnitt, dem ein starker Mitgliederschwund folgte. "Vor gut zehn Jahren standen wir kurz davor, als Orchester aufzugeben", erinnerte Ried. Nach dem Weggang des damaligen Dirigenten schrumpfte das Ensemble zeitweise auf vier Personen. "Es war eine schwere Zeit. Aber wir haben weitergespielt – im Quartett, Woche für Woche." Erst unter Birgit Heyne, die seit 2020 die musikalische Leitung innehat, gelang ein behutsamer Neuaufbau.

Heyne selbst unterrichtet in Frankfurt und Hofheim – passende Räume in Flörsheim fehlen noch. "Ein Angebot vor Ort würde die Nachwuchsgewinnung enorm erleichtern", machte Ried deutlich. Der Verein wünsche sich mehr junge Menschen, die Lust haben, sich musikalisch einzubringen.

Wer selbst Akkordeon spielt und Lust hat, in einer geselligen Runde gemeinsam zu musizieren, findet bei den Akkordeonfreunden eine offene Tür. Der Verein freut sich über Interessierte aller Erfahrungsstufen. Geprobt wird im wöchentlichen Wechsel; ein unverbindlicher Besuch ist jederzeit möglich. Weitere Informationen gibt es unter www.aff1955.de

Das Jubiläumskonzert war ein Dank an sieben Jahrzehnte Unterstützer – Dirigenten, Musiker und treue Zuhörerinnen und Zuhörer. "Dass wir seit 1955 bestehen, ist keine Selbstverständlichkeit", sagte Ried zum Abschluss. "Es ist das Ergebnis von Gemeinschaft, von Engagement und von der Freude am Musizieren."

Kommentare

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.
Sicherheitsprüfung
Diese Frage hat den Zweck zu testen, ob Sie ein menschlicher Benutzer sind und um automatisierten Spam vorzubeugen.
Bild-CAPTCHA
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.


X