Satzungen für den Fall der Fälle

Gremien beschließen Obdachlosensatzung samt Gebührensatzung

Auch das ehemalige Hotel des Herrnberg-Areals war von der Stadt als Obdachlosenunterkunft in Teilen angemietet. Inzwischen verteilt die Stadt ihre Wohnungslosen auch wegen des geringeren Konfliktpotenzials auf kleinere Einheiten.

Obdachlose in einer kleinen Stadt wie Flörsheim? Das ist kein augenscheinliches Problem, denn die Betroffenen suchen sich in der Regel die anonymen Großstädte aus, die auch besser eingerichtet sind auf die Notversorgung von Menschen ohne Dach über dem Kopf. Und doch führt die Stadt nun zwei neue Satzungen zur Regelung des Umgangs in den Unterkünften ein, die auch Flörsheim vermehrt für Obdachlose bereithalten muss.

Der Sozialausschuss und die Stadtverordnetenversammlung verabschiedeten sowohl die „Satzung über die Unterbringung von Obdachlosen in Unterkünften der Stadt Flörsheim am Main (Obdachlosensatzung)“ als auch die „Satzung über die Erhebung von Gebühren in Obdachlosenunterkünften der Stadt Flörsheim am Main“, was nicht weniger heißt, als dass das Leben unter der Obhut des Ordnungsamtes nun rechtlich geregelt und mit einem Strafenkatalog für problematische Bewohner belegt wurde. Die Gremien stimmten den Vorlagen einstimmig zu und sahen in der Stadtverordnetenversammlung auch keinen Diskussionsbedarf über die Satzungsentwürfe.

Im Sozialausschuss erläuterten Markus Gübert, Leiter des Amtes für Soziales und Wohnen, und Bürgermeister Bernd Blisch den Hintergrund des Schrittes. Mit „vier bis fünf Obdachlosen“ hatte die Stadt laut Bernd Blisch früher lediglich zu tun und konnte sie in einer einzelnen Einrichtung somit problemlos versorgen. Die Zeiten haben sich allerdings dramatisch geändert. Für die Unterbringung der wenigen Betroffenen reichten einst ein paar Räumlichkeiten an der Kläranlage, die aber im Zuge deren Erweiterung inzwischen abgerissen wurden.

Die Kapazitäten hätten allerdings längst nicht mehr ausgereicht. Anfang des Monats waren laut dem Bürgermeister 121 wohnungslose Personen in der Obhut der Stadt, bei denen es sich vor allem um anerkannte Flüchtlinge handelt. Den Status erlangt zu haben, ist für jede/n Flüchtling erst einmal die Erfüllung eines Wunsches, aber er bringt auch Probleme mit sich. Denn somit müssen sie die Flüchtlingsunterkünfte verlassen, haben aber in der Regel keine Chance, auf dem freien Wohnungsmarkt eine bezahlbare Unterkunft zu finden. Also bleiben nur die Obdachlosenunterkünfte der Stadt als Ausweg.

Diese Entwicklung nahm schon 2015 ihren Lauf. „Es gibt aber auch immer mehr Zwangsräumungen in Flörsheim, die Betroffenen müssen dann ebenfalls untergebracht werden“, erläutert die Erste Stadträtin Renate Mohr. Diese Unterkünfte werden über die ganze Stadt verteilt bereitgehalten, bevorzugt in Zweifamilienhäusern. Es gibt in Flörsheim daher keine Probleme, wie sie in vielen großen Einrichtungen üblich sind. Dennoch sah sich die Stadt aus rechtlichen Gründen nun dazu gedrängt, die Satzungen zu erlassen.

„Aufgrund der gestiegenen Fallzahlen müssen wir die Satzung einführen“, erläuterte Gübert, „Die legt die Spielregeln von unserer Seite fest.“ Die Stadt begründet die Einführung der Satzung mit fehlenden regulatorischen Vorgaben von der Landesseite. Das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) definiere allerdings lediglich die Zuständigkeit der kommunalen Ordnungsbehörden bei der Regelung der Spielregeln in den Unterkünften. Ansonsten werde im Landesgesetz noch klargestellt, dass Maßnahmen gegen Personen zu ergreifen seien, „von denen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ ausgehe – sprich, dass Störer von den Behörden aus den Einrichtungen zu entfernen seien. Bei Obdachlosen sei hier „von einer Gesundheitsgefahr für das eigene Leben auszugehen“.

Das ist zum Glück nicht die alltägliche Problemlage in den Unterkünften. Die Obdachlosensatzung jedoch „bietet der Stadtverwaltung sowie den betroffenen Personen Rechtssicherheit über das Handeln der Ordnungsbehörde“. Das ist eine interessante Darstellung, alleine schon deshalb, weil den „betroffenen Personen“ überhaupt keine rechtlichen Ansprüche auf die Platzzuweisung oder den Verbleib in einer bestimmten Unterkunft gewährt wird. „Ein Rechtsanspruch auf Unterbringung oder Verbleib in einer bestimmten Obdachlosenunterkunft besteht nicht. Die obdachlose Person kann jederzeit aus der Unterkunft herausgenommen werden, wenn eine Umsetzung aus sachlichem Grund erforderlich wird oder ein Fall von Obdachlosigkeit nicht mehr vorliegt“, legt § 5 der Satzung fest Die Satzung führt zudem Sanktionen bis hin zu Zwangsgeldern von maximal 1000 Euro ein, wenn gegen Paragraf 7, die „Benutzerordnung“, verstoßen wird. Jederzeit kann die Stadt somit durch eine/n Bewohner/in verursachte Probleme innerhalb einer Einrichtung durch die Herausnahme der Person lösen, dies auch, wie Absatz 2 festlegt, „unter Anwendung unmittelbaren Zwangs“.

All dies schreibe lediglich den Handlungsrahmen fest, nach dem sich die Stadt auch jetzt schon richte, betont Mohr. In den Flörsheimer Unterkünften werde ein deutlich höheres Ausstattungsniveau geboten als gesetzlich vorgeschrieben, nach dem nicht einmal fließend Warmwasser zum Standard zähle. So enthielten alle Wohnungen eine Waschmaschine, betonte der Bürgermeister in der Ausschusssitzung. Und das alles für einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von neun bis zehn Euro. Denn – das ist sicherlich nicht jedem bewusst – diese Unterkünfte sind keine selbstlose Gabe der Kommunen im Sinne von Mutter Teresa an die Mittellosen in ihrer Stadt. Den Obdachlosen werden für die Nutzung vielmehr täglich Gebühren berechnet.

Wer seine Verhältnisse in den Unterkünften regeln will, tut dies auch in den finanziellen Dingen. Denn auch hier verweist die Stadt in ihrem Entwurf der „Satzung über die Erhebung von Gebühren in Obdachlosenunterkünften“ unisono auf die fehlenden Vorgaben im Landesgesetz HSOG. Orientierung bietet dafür das „Gesetz über die kommunalen Abgaben“ (KAG). Hier wird vorgegeben, dass die Gebührensätze, die die Kommunen für die Nutzung ihrer Einrichtungen festlegen, dazu geeignet sind die Kosten zu decken, aber nicht zu übersteigen.

Daran orientiert sich die Stadt nun ziemlich strikt bei ihrer Satzung für die Obdachlosenunterkünfte, Die Satzung nennt derzeit eine Monatsgebühr von 392 Euro, die sich aus 316 Euro Unterbringungspauschale und 76 Euro Nebenkosten errechnen. Einmal im Jahr soll künftig überprüft werden, ob die Gebühr noch der aktuellen Kostenstruktur entspricht. Ist eine Abweichung von mindestens 25 Euro gegeben, ist eine Änderung der Satzung fällig.

Stadt und Obdachlose sind also echte Vertrags- und Geschäftspartner, die Miete ist im Voraus zu entrichten und hat an jedem Dritten des Monats pünktlich in der Stadtkasse einzugehen. Sonst kann der Vermieter schnell andere Saiten aufziehen. „Bei Zahlungsverzug erfolgt die Beitreibung der Forderungen nach den Vorschriften des Hessischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes“, stellt die Satzung klar. Beschlussvorlage wie Satzung selbst erläutern genau, wie sie ihre Unterbringungspauschale berechnen. „Bei der Kostenermittlung werden die jährlich anfallenden Kosten aller Obdachlosenunterkünfte im Satzungsgebiet sowie etwaiger Unterbringungskosten innerhalb und außerhalb des Satzungsgebietes addiert und durch die maximale Kapazität (Personenanzahl) dividiert“, erläutert die Satzung. „Dabei wird von einer Auslastung von 90 Prozent ausgegangen.“

Dass überhaupt von scheinbar Mittellosen, die sich keine Wohnung leisten oder nicht mehr leisten können Gebühren erhoben werden, ist durchaus funktionierende Praxis, wie Mohr erläutert. „Viele Obdachlose haben eine Arbeit“, betont die Erste Stadträtin. Aber alles ist auf eine möglichst kurze Verweildauer der Einzelpersonen oder Familien ausgerichtet. Wenn sie betont, „wir betreuen die Leute und laden sie häufig ein“, dann meint sie damit nicht, dass die Verwaltung regelmäßig Partys für diese Klientel schmeißt. Vielmehr wird in den Gesprächen freundlich nachgefragt, wie es denn um die eigenen Bemühungen der Wohnungssuche steht. Die Vorgabe lautet, dass die Unterbringung vorübergehend sein und spätestens nach einem halben Jahr enden sollte.

Dies erweise sich auch in der aktuellen Lage als realistisches Ziel, betont Mohr, „viele kommen über verwandtschaftliche Kontakte unter, manche auch in einer andere Kommune.

Was aber, wenn die Bewohner so gar keine Anstalten machen, ihr Problem zu lösen? Ein heikler Punkt der Satzung könnte Paragraf 4 werden, der als Antwort darauf eine Erhöhung der monatlichen Pauschale um 100 Euro androht, wenn ein Obdachloser eine angebotene, „zumutbare Wohnung ohne ausreichenden Grund ablehnt“. Hier sind gleich zwei Voraussetzungen genannt, über die man sich trefflich rechtlich streiten kann, nämlich was eine zumutbare Wohnung ist (und ob es hierbei um ihre Kosten oder die Qualität geht) und was als ausreichender Grund einer Ablehnung durchgeht.

Mohr sieht auch hier wenig Konfliktpotenzial, weil es dabei um ein eingespieltes Handeln der Behörde geht, die nun lediglich in einer Satzung festgelegt wurde. Sie soll nicht den angekündigten Einstieg der Stadt in eine rigide Haltung gegenüber ihren Obdachlosen darstellen. Aber sie gibt sich mit diesen Vorgaben die Möglichkeit, um im Falle des Falles mit auftretenden Problemen in den Unterkünften auf Basis einer rechtlichen Grundlage einschreiten zu können. Wer bei Maßnahmen der Stadt gegen sich aufgrund dieser Satzung einen Verstoß gegen seine Rechte sieht – darauf weißt der Schlussparagraf der Obdachlosensatzung hin – kann den Rechtsweg vor dem Verwaltungsgericht beschreiten.

Dass solch ein Schritt, rechtlich gegen die Stadt vorzugehen, durchaus auch als ein Sieg von David gegen Goliath enden kann, zeigte sich erst jüngst in Hattersheim, wo ein Obdachloser sich vom Frankfurter Verwaltungsgericht bescheinigen ließ, dass der ihm von der Stadt zugewiesene Wohnplatz nicht den Mindestansprüchen entsprach und er gegenüber der Kommune Anspruch auf eine menschenwürdige Unterkunft hat.

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