„Wir werden uns das nicht bieten lassen“

Anwalt prüft rechtliche Schritte gegen Fraport / Neue Studie belegt Todesfälle durch Fluglärm

FLÖRSHEIM (drh) – 17 Wirbelschleppen-Vorfälle gab es bislang in Flörsheim. Der bislang dramatischste Vorfall am vergangenen Freitag in der Plattstraße versetzte zahlreiche Bürger in Angst und Schrecken und wurde daher auch exemplarisch in der Versammlung des Vereins Für Flörsheim am Montagabend in der Stadthalle behandelt. Eigentlich war der Versammlungstermin zur Vorstellung der Untersuchungsergebnisse von Prof. Eberhard Greiser geplant, doch die Brisanz der Vorfälle machte eine Thematisierung der Wirbelschleppen-Ereignisse unumgänglich.

 

Am Freitagabend riss die Wirbelschleppe eines Fliegers um 18.14 Uhr in der Plattstraße 39 mehrere Quadratmeter Ziegeln vom Dach. Die herabstürzenden Ziegel zerschlugen ein Eingangs-Vordach, beschädigten ein Fenster, verwüsteten einen Garten, verteilten sich auf Gehweg und Straße. Selbst ein am Boden stehender Pflanztrog wurde vom Sog der Wirbelschleppe umgerissen. Guido Schlüter, Schwiegersohn der Geschädigten, präsentierte am Montagabend seine Fotoserie zum Ereignis, das einen Feuerwehr- und THW-Einsatz bis 1.30 Uhr in der Nacht noch nach sich zog. „Dass hier niemand zu Schaden gekommen ist, war reine Glückssache“, meinte Hans Jakob Gall, der sich solch eine Zerstörungskraft auch nicht hätte vorstellen können, wenn er die Ausmaße nicht selbst gesehen hätte.
So sind die Ausbaugegner mehr denn je aufgebracht, verärgert und besorgt, spielten doch zur Ereigniszeit noch im Nachbargarten Kinder, die sogar die Farbe der vorüberfliegenden Maschine noch feststellen konnten. Auch Guido Schlüter ist sich sicher, dass er das verursachende Flugzeug anhand von Tatzeit und Flugrouten ausfindig gemacht hat. „Aller Wahrscheinlichkeit nach war es eine Air India des Typs Boing 777, das größte zweistrahlige Passagierflugzeug der Welt“, so Schlüter. „Wir brauchen eine einstweilige Verfügung, damit der Terror ein Ende hat. Es darf kein Ziegel mehr fallen“, forderte Carola Gottas, die dem Bürgermeister Michael Antenbrink gleichzeitig auch ein zu zaghaftes Vorgehen vorwarf. Antenbrink gab jedoch zu bedenken, dass jeder Schritt gut durchdacht sein müsse, dürfe sich Flörsheim doch keinerlei Verfahrensfehler erlauben, wenn man gegen Gegner wie Fraport und die Landesregierung kämpfe. Eine einstweilige Verfügung zum Stoppen des Flugbetriebes könne immense Schadensersatzforderungen nach sich ziehen und so vertraut der Rathauschef wie auch der Verein Für Flörsheim dem Sachverstand von Rechtsanwalt Dr. Martin Schröder, der über die Sachlage unterrichtet ist und notwendige Schritte einleitet.
Antenbrink möchte mit Schröder und den Geschädigten auch noch die Möglichkeit der polizeilichen Anzeige erörtern. Hans Jakob Gall zitierte eine Formulierung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes aus dem Jahr 2009, wonach der Erwartungswert für eine Wirbelschleppe bei einer Million Jahre liege. „Das ist ein Hohn und wir werden uns das nicht bieten lassen“, so Gall. Am 30. April wird Flörsheim einen neuen Schriftsatz zur Wiederaufnahme des Klageverfahrens einreichen, müsse Flörsheim doch als vom Fluglärm am stärksten betroffene Stadt des gesamten Landes gehört werden.
Auch bei der Montagsdemonstration im Terminal habe sich die Wut der Ausbaugegner gezeigt. „Wie viele Tote soll es geben?“ fragten die Menschen mit ihren Plakaten im Terminal. Und auch Prof. Greiser belegte in seinen Ausführungen, dass die Belastung durch Fluglärm Menschenleben fordert. Gemeinsam mit dem Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen und der Epi Consult GmbH errechnete Greiser die sozialen und ökonomischen Folgen von nächtlichem Fluglärm des Frankfurter Flughafens von 2012 bis 2021. Greiser verfasste eine wissenschaftliche Publikation und nicht ein Gutachten, um Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen, entspreche die Arbeit so doch anerkennenswerten Grundsätzen. Greiser untersuchte die Arten von Krankheitsfällen, das Eintreten von vorzeitigen Todesfällen und die durch Fluglärm entstehenden Krankheitskosten. Da es für die Region Frankfurt keine Daten gibt, griff Greiser auf bereits erfasste Daten der Region Köln-Bonn zurück, wo insgesamt die Daten von einer Million Menschen aus acht verschiedenen Krankenkassen zur Auswertung herangezogen wurden. Greiser nahm an, dass die Daten der Köln-Bonner Menschen auf Frankfurter übertragbar sind und stellte somit fest, dass ab dem 40. Lebensjahr das Erkrankungsrisiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Zucker, Psychosen, Schizophrenien, Depressionen und Krebserkrankungen durch Fluglärm steigt. Vor allem Lärm der ersten Nachthälfte erzeuge den auch für Weiterschlafende gefährlichen Lärmstress, der zu Bluthochdruck führe.
„Ältere Menschen haben wegen zunehmender Schwerhörigkeit ein geringeres Erkrankungsrisiko“, so Greiser, der für Demenz und Alzheimer beispielsweise eine Risikosteigerung um 300 Prozent errechnete. Pro Jahr würden 178 Menschen wegen des Fluglärms an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung erkranken. 267 Personen bildeten eine Zuckerkrankheit aus, 117 eine Psychose oder Depression, 211 eine Demenz und vier Menschen eine Krebserkrankung. „3.400 Menschen werden wegen des Fluglärms sterben“, prophezeite Greiser. Zudem würden Krankheitskosten in Höhe von 1,671 Milliarden Euro zu Buche schlagen, die letztendlich von allen Bundesbürgern getragen werden müssten. Greiser forderte daher, schnellstmöglich eine eigene Frankfurter Studie zu fertigen, könnten dann in eineinhalb Jahren noch genauere Ergebnisse vorliegen. Greiser belegte zudem das bewusste Umgehen des Nachtfluggesetzes, gebe es doch immer wieder Starts, die es nach aktueller Rechtslage nie hätte geben dürfen. „Eine andere Landesregierung kann hier eine Menge tun“, meinte der Professor.
Die Frage, ob man seine Kinder unter diesen Belastungen aufwachsen lassen könne, beantwortete Greiser damit, dass dies ein Abwägen erfordere. Familiäre Bindungen, Freundschaften und finanzielle Aspekte spielten bei der Entscheidungsfindung eine Rolle und zudem glaube er, dass dieser Flugbetrieb auf Dauer nicht haltbar sei.
Die Flörsheimer Ausbaugegner erhielten in der Versammlung unterstützende Worte von Menschen, die aus Sachsenhausen, Raunheim, Eddersheim und sogar aus Bayern gekommen waren. Sie alle möchten mit den Flörsheimern für die Region kämpfen und bekundeten ihre Solidarität. 
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