Ohne viel nachzudenken gehen sie hin. Neben einem grünen Auto lag tatsächlich ein Mann, ein anderer kniete mit dem Telefon am Ohr neben ihm, erhielt offensichtlich Anweisungen, was er tun sollte. Hemd und Jacke hatte er dem auf dem Parkstreifen Liegenden schon von der Brust gestreift, setzte jetzt offenbar dazu an, das Herz zu massieren.
Sabrina Lohfink war zuerst bei den beiden Männern, erfasste die Situation, fragte spontan: „Kann ich helfen?“ Der Mann mit dem Telefon am Ohr sprach offenbar mit der Notrufzentrale und bekam von dort die Anweisung, er solle den am Boden Liegenden beatmen und sein Herz massieren. „Irgendwie hatte ich den Eindruck, er macht das mit der Herzmassage zu vorsichtig – im Nachhinein denke ich, vielleicht weil es ja um seinen Vater ging und er Angst hatte, ihm weh zu tun.“
Ihr Hilfsangebot wurde gerne angenommen, also übernahm sie sofort die Herzmassage. In dem Moment wusste sie gleich wieder ganz sicher, was dabei zu beachten war und wie sie vorgehen musste, das hatte sie ja alles erst ein halbes Jahr zuvor im Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein gelernt. Sie suchte den Solarplexus, maß mit den Fingern genau die Stelle ab, an der sie drücken musste, fing in Gedanken an, das Lied zu summen, welches man im Kurs als „Taktangabe“ für die Massage genannt bekommen hatte und drückte fest und rhythmisch im Takt immer wieder auf die Brust des bewusstlosen Mannes. „Dann habe ich einfach mit voller Kraft gepumpt, ich wusste noch: Besser eine Rippe gebrochen, als die Herz-Druckmassage nicht richtig gemacht.“ Inzwischen beatmete der Sohn seinen Vater.
Obwohl sich Sabrina Lohfink voll auf die Herzmassage konzentrierte, fiel ihr auf, dass ein Zahnersatz im Mund des am Boden liegenden Mannes sich gelockert hatte – wieder ohne groß nachzudenken, entfernte sie diese mögliche Luftwegs-Blockade und machte weiter. Dann traf der erste Krankenwagen mit zwei Sanitätern ein. Sie übernahmen die Beatmung mit einem Beatmungsbeutel, legten Sensoren an die Brust um die Herzfunktion zu überprüfen – und stellten fest, dass das Herz von alleine nicht schlagen wollte.
Offenbar waren auch die Rettungsprofis beeindruckt von Sabrinas Einsatz: Sie wurde gefragt, ob sie weiter das Herz stimulieren könne, bis der Defibrillator einsatzbereit wäre. Erst als das Gerät startklar war, konnte sie aufstehen. Inzwischen waren fünf Rettungskräfte vor Ort. „Aber genau hab‘ ich nicht mitbekommen, wie das alles war, wer Sanitäter und wer Notarzt war – ich weiß nur noch, dass man mir zwischen dem ersten und dem zweiten Einsatz des Defibrillators Gummihandschuhe aus dem Krankenwagen gegeben hat, bevor ich wieder angefangen habe das Herz zu massieren, weil ja alles voll mit solchem Gel war,“ erinnert sie sich noch an diese aufregenden Minuten.
Erst nach der wiederholten Defibrillator-Anwendung schlug das Herz wieder, der Mann wurde mit dem Krankenwagen weggefahren. Der Sohn steckte ihr noch schnell eine Visitenkarte zu und bat sie, sich doch bei ihm zu melden. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Freundin ein bisschen weinte – das waren eben auch für die Umstehenden sehr stressige Minuten. Und jetzt realisierte sie selbst auch, dass sie vielleicht ein Leben gerettet hatte, dass aber auch der Mann hätte sterben können unter ihren Händen. „Da hab‘ ich mir erst doch Gedanken gemacht, ob ich alles richtig gemacht habe und ob wir vielleicht doch mehr hätten beatmen sollen.“
Inzwischen hat sie den 92-jährigen Patienten aber im Bad Sodener Krankenhaus besucht, es geht ihm nach einer kurzen Zeit mit Beatmung und im künstlichen Koma wieder besser, er hat den Herzinfarkt – wohl hauptsächlich wegen ihres beherzten Eingreifens – überlebt.
Sanitäter, Ärzte und Angehörige sind voll des Lobes und sehr dankbar. „Ein Arzt in Bad Soden hat mir gesagt, dass 9 von 10 Menschen in so einer Situation einfach weitergehen und er hat mich gebeten, das alles so gut es geht öffentlich zu machen. Er meinte, wenn die Leute erfahren, dass sogar eine 18-jährige Schülerin mit dem, was sie im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hat, ein Leben retten kann, dann gehen sie vielleicht das nächste Mal nicht dran vorbei, sondern versuchen auch zu helfen.
Das weiß ich schon von meiner Mutter: „Die ersten Minuten sind in solchen Fällen die wichtigsten!“ Denn eventuell ist Sabrina Lohfink was das „Helfen“ angeht auch erblich vorbelastet: Vater und Mutter sind beide in der Krankenpflege tätig, schon als Grundschulkind hat sie ihre Mutter oft auf ihrer Station im Höchster Krankenhaus besucht und dort viel von ihr gelernt. „Es ist ganz seltsam, irgendwie habe ich das schon immer gewusst und gewollt, dass ich mal ein Leben rette. Manchmal komme ich mir selbst so ein bisschen „verpeilt“ vor, aber wenn es drauf ankommt, wenn was dringend ist, dann hab‘ ich eine Menge Energie, und mache ganz automatisch alles richtig.“
Mit dieser Energie würde Sabrina Lohfink nach der Schule nun auch gerne in eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester beginnen. Sie hat sich mit ihren sehr guten Bewertungen aus zwei Schul-Praktika beworben und ist schon zu Bewerberauswahl-Verfahren zugelassen. Man kann nur hoffen, dass sich die Krankenhäuser die Chance nicht entgehen lassen, solch eine engagierte Krankenschwester auszubilden. Bis sie ihre Ausbildung beginnen kann, wird die junge Okriftelerin bald schon mal als Erste-Hilfe-Trainerin in Hofheim arbeiten, um mit ihrer jetzt ja sogar praktischen Lebensrettungs-Erfahrung ihre Schüler dazu zu animieren, nicht wegzuschauen oder einfach vorbeizugehen, sondern zu helfen, wenn es notwendig ist.