Erst Lesung, dann Promi-Besuch

20 Jahre Kunst und Kultur am Autoberg: Klaus Störch las Texte aus 30 Jahren / Armin Rohde signierte ersteigerte Fotografien

mpk

In diesem Jahr feiert die Reihe "Kunst und Kultur am Autoberg" ihr 20. Jubiläum - und der Leiter des Hauses Sankt Martin, der Hattersheimer Facheinrichtung für Wohnungslose, und Initiator der Hattersheimer-Hofheimer Tafel Klaus Störch feierte am 7. April seinen 65. Geburtstag. Angesichts dieser beiden Anlässe hatte Störch am vergangenen Freitag ins Haus Sankt Martin am Autoberg zur Lesung „Eingreifendes Denken – Texte aus 30 Jahren“ eingeladen. Die Veranstaltung war als kleines Dankeschön für gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren gedacht und verschaffte einen Überblick über das publizistische Wirken des Geburtstagskinds.

In den besagten (über) 30 Jahren ist viel entstanden: Drei Büchern zu den Themen Soziale Arbeit und Wohnungslosigkeit, gemeinsam mit Erhard Scherfer ein Foto-Band mit Interviews sowie über 150 Artikel, Aufsätze und Rezensionen, die unter anderem in der Zeit und der Frankfurter Rundschau veröffentlicht wurden. Ebenso wie das Veranstaltungsprogramm „Kunst und Kultur am Autoberg“ sind die Texte Produkte des ehrenamtlichen Engagements von Klaus Störch.

Etwa 35 Gäste waren der Einladung ins Haus Sankt Martin gefolgt und bekamen überwiegend Texte zu sozialen Themen zu Gehör, mit Schwerpunkt auf Hattersheim und dem Main-Taunus-Kreis. Los ging es jedoch mit einem autobiografischen Aufsatz zu Störchs Arbeitssuche als Diplom-Pädagoge. In "Auf Tournee ohne Gage" beschreibt Störch eine wahrhaftige Odyssee. Über 60 Bewerbungen schickte er seinerzeit auf die Reise, die in gerade einmal fünf Einladungen zu Bewerbungsgesprächen mündeten. Eine "hervorragende Quote", wie eine Sachbearbeiterin der akademischen Fachvermittlung beim Frankfurter Arbeitsamt damals meinte. Von Erfolg gekrönt waren diese Gespräche allesamt jedoch nicht. Mit einer gewissen Verzweiflung und Ratlosigkeit bewarb sich Störch sodann auch als Sozialversicherungsfachangestellter - und hätte sofort anfangen können. Seinen möglichen Starttermin wählte er so, dass ihm vor Arbeitsantritt noch etwas Zeit für weitere Bewerbungen im Bereich der sozialen Arbeit blieb. Und siehe da: Schließlich fand er einen ersten Arbeitsplatz als Schwangerschaftsvertretung, zunächst für die Dauer von achtzehn Monaten, in einer Einrichtung für alleinstehende Wohnungslose in Offenbach.

"Hilfe in Hattersheim. Hartz IV kommt in die Provinz"

Im Februar 2005 stellte Klaus Störch fest, dass im Haus Sankt Martin seit dem vorherigen Oktober die Nachfrage an Beratungen rasant gestiegen war. Auffällig dabei: Es waren nicht mehr nur die Wohnungslosen und die von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen, welche die Beratungen und die anderen Angebote nutzten. Zunehmend waren es die Langzeitarbeitslosen aus Hattersheim und den umliegenden Kommunen, die um Hilfe nachfragten. Die Aussicht auf Aufklärung, Hilfe beim Ausfüllen von Formularen und auch das kostenlose Frühstücksbüfett lockte die Menschen an.

"Die meisten fürchten, dass ihnen die Unterstützung von 345 Euro im Monat nicht reicht. Die Aussicht, jeden Job annehmen zu müssen, selbst wenn sich daraus niemals ein Existenz sicherndes Einkommen erzielen lässt und sie weiter den Zwängen der Arbeitsverwaltungen ausgesetzt sind, halten sie für entwürdigend", schrieb Störch damals.

Und er berichtete von Einzelschicksalen. Wie beispielsweise vom 47-jährigen Ronny K., der seit über drei Jahren arbeitslos war. Jener Ronny gehörte zu den über 150.000 Menschen, die 2004 gemeinnützige Arbeit für einen Euro geleistet hatten. Er sortierte auf dem städtischen Bauhof Elektroschrott. Seine Wut war groß: "Hier werde ich regelrecht ausgebeutet. Früher gab's auf dem Bauhof noch richtige sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, und heute arbeiten da nur noch Langzeitarbeitslose." Die für ihn naheliegende Lösung: Er wollte die "gute alte DM zurück", und außerdem müsste das "Ausländerproblem gelöst werden". Den sozialen und gesellschaftlichen Frieden förderte man mit dieser Politik nicht gerade.

"Jede Tafel ist eine Anklage. Die Hattersheimer Tafel"

Klaus Störch blickte auch zurück zur Anfangszeit der Hattersheim-Hofheimer Tafel.

Mit Einführung der sogenannten Hartz-IV-Gesetze Anfang 2005 stieg die Nachfrage nach Lebensmitteln merklich, vor allem von Menschen aus der Siedlung. Deshalb begann man im Herbst 2005 mit der Lebensmittelausgabe im Haus Sankt Martin. Man kalkulierte zunächst mit 20 bis 25 Haushalten, die regelmäßig zur Ausgabe kommen.

Jedoch: Die Nachricht von der Lebensmittelausgabe verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Im November 2005 standen bereits mehr als 60 Familien in einer langen Schlange bis auf die Straße, um sich in einem kleinen Kellerraum der Wohnungsloseneinrichtung zusätzlich mit Lebensmitteln zu versorgen. Ab März 2006 wurden dann Bedürftige aus Hattersheim und dem Main-Taunus-Kreis mit wichtigen Lebensmitteln wie Fleisch, Milchprodukten, Obst und vor allem Gemüse versorgt.

Auch hier zeigte Störch Einzelschicksale auf, wie einen 56-jährigen ehemaligen Rechtsanwalt, der wegen Alkoholismus seine Zulassung verloren hatte und nun, seit Jahren abstinent, mit Hartz IV auskommen musste. Jener attestierte dem Angebot der Tafel eine enorme Verbesserung seiner Lage und klagte gleichzeitig an: "Wer hat eigentlich eine Ahnung davon, dass ein ALG-II-Empfänger lediglich 4,02 Euro täglich für Ernährung und Getränke zur Verfügung hat?" Aufgeschlüsselt bedeutete dies: 88 Cent für das Frühstück und jeweils nur 1,57 Euro für Mittag- und Abendessen.

Sozialarbeiter Frank Dußler erklärte seinerzeit anlässlich der offiziellen Eröffnung der Hattersheimer Tafel: "Jede Tafel in Deutschland ist eine Anklage." Tafeln seien eine Reaktion auf die zunehmende Armut in einem der reichsten Länder der Welt - und dabei keinesfalls die Lösung des Problems. Ein Fest könne man erst dann feiern, wenn Suppenküchen und Tafeln endgültig der Geschichte angehören.

"Eine Lanze für den Sozialismus"

Störch beendete seine Lesung mit einem Text, der 1990 in der Zeit erschienen ist. Nach der Wende, nach dem Mauerfall: "Für die Konservativen in diesem Lande ist wieder alles in Ordnung. Der real existierende Sozialismus hat sich im Wettstreit der Systeme als unterlegen erwiesen. Der Weltgeist hat auf Umwegen endlich zu seinem Selbstbewusstsein gefunden. Demokratie und Menschenrecht werden umstandslos mit dem Kapitalismus gleichgesetzt und damit zum letzten Wort der Geschichte erklärt."

Die Kehrseite der Medaille: Damit befand sich auch die demokratische Linke in der Defensive, denn der Begriff "Sozialismus" war nun "bis zur Unkenntlichkeit besudelt" und für viele Menschen das "Synonym für Misswirtschaft und Unterdrückung".

Für die sozialistische Linke stellte sich diese Problematik freilich anders dar: Sie sah den Begriff "Sozialismus" weiterhin differenzierter und unternahm nun den Versuch zu bestimmen, was Sozialismus eben nicht sei: Nämlich "kein Zielzustand, kein abstraktes Ziel, kein Lehrgebäude und keine reine Utopie". Vielmehr wird Sozialismus charakterisiert als "Methode der Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse, als Ausdruck unverwirklichter Möglichkeiten, als Negation derjenigen Bedingungen, die seiner Verwirklichung entgegenstehen".

Und Störch führte damals weiter aus: "Auf jeden Fall ist der Sozialismus ein wesentliches Moment der europäischen Geschichte, eine Seite der Wirklichkeit der europäischen Kultur und Gesellschaft der Moderne. Nicht nur ist Sozialismus kein bloßes Ziel, sondern er ist auch keine bloße Methode. Vielmehr ist er Teil, Seite, Moment einer Wirklichkeit und deshalb als wirklicher, nicht erst als zu verwirklichender zu begreifen."

Besuch von Armin Rohde

Die Lesung von Klaus Störch war nicht das einzige Highlight, das in der vergangenen Woche im Haus Sankt Martin stattfand. Von Ende Januar bis Anfang März hatte der Schauspieler Armin Rohde insgesamt 16 Fotografien ausgestellt. Der Titel der Ausstellung: „Ich seh‘ dich auch". Der Finissage zu deren Abschluss wohne der Bochumer Künstler bereits per Video-Schalte live bei.

Die damalige Versteigerung zugunsten der Hattersheimer Wohnungslosenhilfe entpuppte sich als überaus lohnend: Stolze 5.320 Euro kamen am Ende für den guten Zweck zusammen, und Rohde stellte damals bereits in Aussicht, im Haus Sankt Martin auch nochmal persönlich vorbeischauen zu wollen.

Gesagt, getan: Am Samstag kam Rohde nach Hattersheim, um mit den Käufern seiner Bilder ins Gespräch zu kommen und die ersteigerten Bilder zu signieren. Auch die Erste Stadträtin Heike Seibert, vor wenigen Wochen noch als Auktionatorin aktiv, kam vorbei, um den Künstler zu begrüßen, und so entwickelte sich ein fröhlicher Nachmittag voller angeregter Gespräche bei Sekt, Kaffee und Kuchen.

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