Am Mittwochabend vergangener Woche startete der Hattersheimer Geschichtsverein in das neue Museumsjahr 2025. Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins, Ulrike Milas-Quirin, konnte zur Auftaktveranstaltung eine namhafte Archäologin präsentieren: Dr. Andrea Hampel, die Leiterin des Denkmalamts der Stadt Frankfurt am Main. Dort hat sie Archäologie, Historische Ethnologie und Kunstgeschichte studiert, seit 1991 ist sie für das Denkmalamt tätig. Spezialisiert ist sie auf die Bodendenkmalpflege - und passend dazu lautete auch der Titel ihres Vortrags „Frankfurt sehen und sterben – Napoleons Soldaten in Frankfurt am Main“. 2015 wurde in Frankfurt-Rödelheim im Vorfeld einer Baumaßnahme in der dortigen Breitlacherstraße ein Gräberfeld entdeckt.
Ulrike Milas-Quirin wurde vor ziemlich genau einem Jahr dank eines Zeitungsartikels auf Dr. Andrea Hampel und ihre Vorträge zu diesem Thema aufmerksam und war nun sehr glücklich darüber, sie auch im Hattersheimer Stadtmusem begrüßen zu dürfen. Verknüpfungspunkte mit diesem Thema gibt es auch hier: Die Via Regia war eine wichtige Handels- und auch Militärstraße. Und 2013 wurde bei archäologischen Grabungen in der Nähe der Heinrich-Böll-Schule ein napoleonisches Feldlager entdeckt. Fundstücke dieser Grabungen sind auch im hiesigen Stadtmusem zu finden, wie der Hutbeschlag eines Chasseurs oder eine französische Münze.
Dr. Andrea Hampel ging sodann näher auf ihre Entdeckungen ein. So bestand die Fundstelle in Rödelheim aus einer Vielzahl von Gräbern. 2015 wurden insgesamt 35 Grabgruben auf dem Areal ausgegraben. Die Fundstelle war dem Denkmalamt auch schon länger bekannt: 1979 wurde dort der erste Kanalanschluss für einen Parkplatz der Firma Rewe gemacht, und schon damals ist man auf verschiedene Grabstätten gestoßen. Der Fund wurde dokumentiert, und schon damals war klar, dass die Gräber neuzeitlich einzuordnen sind, eine weitere archäologische Bearbeitung fand seinerzeit jedoch noch nicht statt.
Zurück zu den Ausgrabungen 2015: Die überwiegende Mehrheit der Grabgruben enthielt dort einzelne, übereinander gestapelte Särge, bis zu sechs an der Zahl. Dass es sich hierbei nicht um einen regulären Friedhof gehandelt haben kann, konnte man auch ohne anthropologisches Gutachten schon während der Ausgrabungen anhand der Skelette erkennen: Diese machten alle einen sehr robusten Eindruck, und der Anteil der männlichen Leichen war erheblich höher als auf einem durchschnittlichen kommunalen Friedhof.
Obwohl man in erster Linie nur Skelettreste gefunden hatte, war dennoch klar, dass hier Särge zum Einsatz kamen: In all diesen Gräbern konnten eine Vielzahl von typischen Eisennägeln gefunden werden, ebenso wie vereinzelte Holzreste.
Die 35 Grabproben teilten sich auf in 24 der besagten Sarggräber, neun Massengräber sowie zwei stark zerstörte Gräber, die nicht eindeutig kategorisiert werden konnten. Die Massengräber lagen am südlichen Rand des Gräberfeldes. Man geht anhand sehr guter Dokumentationen aus Rödelheim aus dieser Zeit davon aus, dass damals die beiden Totengräber erkrankt und nicht mehr arbeitsfähig waren und zudem so viele Menschen gestorben sind, dass man einfach keine Särge mehr vorhalten konnte. Anfangs bestattete man die Leichen in den Massengräbern noch alle in der gleichen Richtung - in Sachen Nutzung des zur verfügung stehenden Raumes nicht sehr ökonomisch, so dass man zu einer Stapelung "Kopf über Füße" überging. Bis den Beteiligten die ganze Situation völlig über den Kopf gewachsen war und die Toten offensichtlich nur noch würdelos von oben ins Grab geworfen wurden. Geborgen wurden bei den archäologischen Ausgrabungen insgesamt 82 Tote in Einzelgräbern und 131 Leichen in Massengräbern.
Datiert werden konnten die Gräber vor allem anhand von Fundstücken, wie beispielsweise diversen Knöpfen. Einer dieser Knöpfe konnte beispielsweise eindeutig dem zweiten Regiment der Grande Armée zugeordnet werden, das nachweislich an der Schlacht bei Hanau 1813 teilgenommen hatte, im Rahmen der Befreiungskriege gegen die französische Besatzung. Hanau gehörte damals zum Großherzogtum Frankfurt. Die Franzosen konnten diese Schlacht für sich entscheiden, damit war für Napoleon der Weg frei nach Frankfurt.
Es ist eine günstige Fügung, dass solche Knöpfe als Anhaltspunkte überhaupt entdeckt werden konnten, denn aus damaligen Berichten ist zu entnehmen, dass die Toten eigentlich allesamt nackt beerdigt und deren Kleidungsstücke verbrannt werden werden sollten, um Seuchen vorzubeugen.
Keine heldenhaften Soldaten in hübschen Uniformen
Das Sterbealter in diesem Gräberfeld lag hauptsächlich zwischen 20 und 27 Jahren. Die meisten sind an Mangelerscheinungen und Krankheiten gestorben, und die Anthropologen weisen in ihren Berichten darauf hin, dass sich alle in einer schrecklichen körperlichen Verfassung befanden. So war Napoleon sehr stolz darauf, dass seine Armee in kurzer Zeit sehr weite Wege zurücklegen konnte. Das bedeutete zuweilen 40 Kilometer Marsch pro Tag, bei im Normalfall 30 Kilogramm Marschgepäck. Dies führte zu einer hohen Anzahl von Belastungsbrüchen in den Füßen und im Schultergürtel. Das Marschgepäck war auch deshalb so schwer, weil jeder Soldat sein eigenes Essen tragen musste. "Das war auf dem Rückweg ein bisschen leichter, weil es nichts mehr zu essen gab", stellte Dr. Hampel trocken fest.
Auch mangelnde Hygiene war ein großes Problem: "100 Prozent der untersuchten Individuen hatte Karies, und zwar wirklich nicht zu knapp", so die Archäologin. Auch die Folgen von Stresssymptomen wie massivem Zähneknirschen konnten diagnostiziert werden. Und natürlich weisen einige der Toten auch Zeichen von Verletzungen aus Schlachten auf, wie das Fehlen essentieller Teile des Kopfes.
Wie aus Soldaten Dünger wurde
Nun stellt sich auch die Frage, warum man nicht viel öfter auf derartige Gräber stößt. Im Zuge der Napoleonischen Kriege sind hunderttausende Soldaten gefallen, ebenso sind zigtausend Pferde gestorben. Dennoch konnte Dr. Hampel aus dieser Zeit bislang lediglich das Grab in Rödelheim untersuchen. Wo sind die ganzen sterblichen Überreste geblieben? Mit dieser Frage sowie der interdisziplinären Auswertung der Funde hatten sich Wissenschaftler im Rahmen eines Symposions im August letzten Jahres beschäftigt.
Belgische Kollegen stellten sich im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Schlacht von Waterloo diese Frage ebenfalls. Allein dort sind damals 53.000 Soldaten zu Tode gekommen, und die Forscher konnten partout keine Toten finden.
Auch das hatte Napoleon zu verantworten: Im Rahmen des Handelsembargos gegen England gelangte kein Rohrzucker mehr nach Europa. So kam man auf den Anbau von Zuckerrüben als Alternative, und es wurde nach geeignetem Dünger gesorgt, weil die Nachfrage plötzlich explodierte. Und der aus den Rüben gewonnene Zucker sollte bitte ebenso weiß sein, wie man das vom Rohrzucker gewohnt war. Rübenzucker ist eigentlich sehr dunkel, kann aber raffiniert werden - durch Spodium, auch Knochenasche genannt. Die gewünschte Alternative war also gefunden.
Und so kam es dazu, dass ab 1830 in ganz Europa die Gräber der napoleonischen Soldaten ausgegraben wurden. Die Knochen wurden allesamt gemahlen und wanderten je zur Hälfte in den Dünger oder die Raffinade für den Zucker. Eine Praxis, die noch lange Zeit Bestand haben sollte, wie man dem Roman "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" aus dem Jahre 1923 entnehmen kann. In diesem antimilitaristischen Werk über die Zeit des Ersten Weltkriegs stellt eben jener Schwejk auch fest, dass man aus allen Knochen der im Krieg Gefallenen Spodium machen werde: "Und Eure Buben werden Kaffee trinken, der mit Zucker gesüßt sein wird, der durch Eure Gebeine gegangen ist."
Die Rödelheimer Bevölkerung hat damals, ebenso wie die französische Community in Frankfurt, großen Anteil am Fund genommen. Im Jahr 2020 wurde am Fundplatz eine Gedenktafel auf Betreiben des Rödelheimer Geschichtsvereins und der Bauherrschaft dort aufgestellt. "Eine sehr schöne Geste", findet Dr. Andrea Hampel.