Gedenken an die Reichspogromnacht 1938

Schülerschaft der Heinrich-Böll-Schule und AG Opfergedenken reinigten Stolpersteine im Stadtgebiet

Dr. Dietrich Heither, Leiter der Heinrich-Böll-Schule (links) und der Erste Stadtrat Karl Heinz Spengler (rechts) richteten im Rahmen der Gedenkveranstaltung jeweils kurze Reden an die Schülerinnen und Schüler.

Auch in diesem Jahr wurde der Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November zum Anlass genommen, um sich in Hattersheim mit der Geschichte der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Die Stadt unterstützte am Mittwoch vergangener Woche, 9. November, zunächst den Besuch des Theaterstücks „remembeRING“ durch Schülerinnen und Schüler der Heinrich-Böll-Schule. In diesem Stück schildert die Theatermacherin und Schauspielerin Liora Hilb anhand der Geschichte eines Ringes, der den Weg vom Vernichtungslager Auschwitz nach Tel Aviv fand, die Historie ihrer eigenen Familie. Sie nimmt dabei Bezug auf familiäre Überlieferungen und zugleich auf Gespräche mit Jugendlichen über ihre heutige Sicht auf den Holocaust und auf das jüdische Leben im gegenwärtigen Deutschland.

Nach dem Theaterbesuch nahmen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit der Hattersheimer AG Opfergedenken am Standort der ehemaligen Synagoge in der Erbsengasse 26 an einer Gedenkveranstaltung teil. Der Erste Stadtrat Karl Heinz Spengler zeigte sich erfreut darüber, dass so viele junge Menschen an dieser Gedenkveranstaltung teilnehmen wollten. Er rief in Erinnerung, dass der 9. November 1938 ein "Tag der Brandschatzung, des Raubes und des Totschlags" war. Spengler zitierte den Philosophen Theodor W. Adorno: "Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung." Dies sei der notwendige Anspruch an Bildung und Unterricht - und in diesem Geiste steht auch klar und deutlich die langjährige Kooperation zwischen der Stadt Hattersheim am Main, der städtischen AG Opfergedenken und der Heinrich-Böll-Schule zum Zwecke der gemeinsamen Aufarbeitung der lokalen Geschichte während Zeit des Nationalsozialismus.

Es war das erklärte Ziel von Adorno, im Rahmen der Erziehung Mechanismen aufzuzeigen, die dazu führten, dass die Menschen am Völkermord an den Jüdinnen und Juden mitwirkten oder diesen tolerierten. Heute spreche man in diesem Zusammenhang von Erinnerungskultur, so Spengler. Man müsse den Schülerinnen und Schülern ein gesundes Geschichtsbewusstsein vermitteln und Bezugspunkte zur Gegenwart aufzeigen.

Karl Heinz Spengler brachte den jungen Menschen daraufhin die historischen Geschehnisse rund um die Reichspogromnacht näher: Am 7. November 1938 verübte ein junger jüdischer Mann namens Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft in Paris ein Attentat auf den Diplomaten Ernst vom Rath, an welchem dieser am 9. November verstarb. Diese Ereignisse wurden von den Nationalsozialisten als eine Verschwörung des „Weltjudentums“ gegen das Reich empor stilisiert und zum Vorwand für die Inszenierung der sogenannten „Reichskristallnacht“. Insgesamt wurden während des Pogroms im November 1938 über 1.400 Synagogen und Betstuben zerstört. Zahllose jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden verwüstet und geplündert. Etwa 30.000 jüdische Männer wurden verhaftet und rund 26.000 von ihnen in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Man schätzt die Zahl der Toten heute auf über 1.000.

Auch in Hattersheim wurden Jüdinnen und Juden Opfer des Pogroms, auch hier wurden Wohnungen und Geschäfte verwüstet und jüdische Männer verhaftet und in Konzentrationslager verbracht.

Die Erinnerung wach halten

Auch Dr. Dietrich Heither, der Leiter der Heinrich-Böll-Schule, richtete das Wort an die jugendlichen Teilnehmer der Gedenkveranstaltung. Er wies auf die Wichtigkeit hin, dass die Menschen, denen damals dieses Schicksal widerfahren ist, nicht namenlos bleiben. Auch die in Hattersheim verlegten Stolpersteine sollen im wahrsten Sinne des Wortes tatsächlich dazu führen, dass man mal ein wenig "über die Geschichte stolpert", über die damaligen Opfer nachdenkt und sich vergegenwärtigt, wie unvorstellbar groß das damalige Leid war, als im Zuge des Holocaust Millionen von Menschen den Tod fanden, fliehen mussten und Kinder von ihren Eltern getrennt wurden.

Die heutige junge Generation trage natürlich keine Schuld an den damaligen Ereignissen, so Dr. Heither. Aber man trage sehr wohl die Verantwortung, das Wissen über die Verbrechen in der NS-Zeit aufrecht zu erhalten, daraus zu lernen und sich dafür einzusetzen, dass sich solche verbrecherischen und mörderischen Geschehnisse nicht wiederholen.

Im Anschluss an die beiden Reden hatten die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, Blumen als Zeichen der Anteilnahme und der Erinnerung an die damaligen schrecklichen Ereignisse in Hattersheim vor der ehemaligen Synagoge abzulegen, bevor sie sich schließlich aufmachten, um einige der insgesamt 81 in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Hattersheimer Stadtgebiet verlegten Stolpersteine zu reinigen. Auch in diesem Jahr rief die AG Opfergedenken alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich an dieser Aktion zu beteiligen. Dies sei auch deshalb notwendig, da nicht alle Stifterinnen und Stifter der Gedenksteine mehr selbst in der Lage sind, die Steine zu pflegen.

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