Ein halbes Jahrhundert Schule für alle

Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag der Hattersheimer Heinrich-Böll-Schule mit Festakt und Schulfest

Im Stadtanzeiger am 28. April 1972 wurde über das Richtfest an der neuen Hattersheimer Gesamtschule berichtet. Unser damaliges Foto zeigt die Gäste und Handwerker bei der Zeremonie, links Landrat Dr. Jost bei seiner Ansprache.

Die handfesten Arbeiten begannen am Mittwoch, 22. September 1971: Damals lud Landrat Dr. Valentin Jost ein zum Ersten Spatenstich zum Neubau der neuen Gesamtschule in Hattersheim an der Schulstraße. Und es war ein ambitioniertes, modernes Projekt: In diesem Gebäude sollte das neuzeitliche Schulsystem der Gesamtschule Wirklichkeit werden.

Die Bauarbeiten schritten gut voran, und in der letzten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung im Jahre 1971 wagte Bürgermeister Winterstein sogar die Prognose, dass die Bauarbeiten dank günstiger Witterungsbedingungen schneller als erwartet voranschreiten werden und zum Schuljahresbeginn 1972/1973 womöglich nicht nur die zunächst vorgesehenen 20 Klassenräume, sondern bereits alle 40 bezugsfertig sein werden.

Ganz so schnell ging es dann doch nicht: Anlässlich des Richtfestes vier Monate stellte Landrat Dr. Jost in Aussicht, dass die ersten Klassenräume pünktlich im Herbst nutzbar sein werden - der Rest sollte dann zum Jahreswechsel folgen. Kein Beinbruch; davon war man ja ursprünglich ohnehin ausgegangen.

Viel wichtiger war die Frage, ob die neue "Gesamtschule Hattersheim" denn die hohen pädagogischen Erwartungen erfüllen können wird. "Die Gesamtschule nimmt für sich in Anspruch, erzieherische Forderungen optimal zu verwirklichen, die für eine demokratische Industriegesellschaft von allen Seiten erhoben werden“ - so formulierte Dr. Jost seinerzeit den Anspruch. Es solle eine Schule entstehen, die allen Chancengleichheit und gleichzeitig dem Einzelnen eine Förderung entsprechend seinen Neigungen und Fähigkeiten ermöglichen soll.

Namensgebung erst nach 15 Jahren

Zu Beginn des Festaktes anlässlich des großen Jubiläums im Foyer der Schule am Donnerstag vergangener Woche begrüßte Schulleiter Dr. Dietrich Heither die etwa 240 geladenen Gäste, darunter unter anderem Staatssekretär Dr. Manuel Lösel, Landrat Michael Cyriax, Bürgermeister Klaus Schindling sowie Stadtverordnetenvorsteher Günter Tannenberger.

Heither rief in Erinnerung, dass erst 15 Jahre nach ihrer Fertigstellung, im Jahre 1987, die Gesamtschule ihren heutigen Namen "Heinrich-Böll-Schule" (HBS) erhielt. Sie war damit in Hessen die erste Schule, die nach dem Schriftsteller, der die deutsche Nachkriegsliteratur maßgeblich geprägt hatte, benannt wurde. Die Wahl auf diesen Namen fiel im Juni 1983 noch zu dessen Lebzeiten - die endgültige Beurkundung erfolgte dann erst 1987, zwei Jahre nach seinem Tod.

In seinem kurzen Abriss der Historie der HBS hob Dr. Heither auch die Errichtung der Gymnasialen Oberstufe 1992 hervor. "Wir begehen in diesem Jahr also folglich mehrere Jubiläen", stellte der Schulleiter fest.

Lob für Engagement und innovative Ideen

Dr. Manuel Lösel, Staatssekretär im Hessischen Kultusministerium, eröffenete den Reigen der Grußworte und stellte mit seinen lobenden Worten unter Beweis, dass die HBS in den letzten 50 Jahren sehr wohl den ihr ursprünglich entgegengebrachten Ansprüchen gerecht wurde. Gerade in Hinblick auf das Thema Inklusion sei es sehr wichtig, dass es Schulen wie die HBS gebe, an denen man sich orientieren könne, so Dr. Lösel. Beispielsweise war man an der Hattersheimer Schule schon rund um die Flüchtlingskrise 2015 sehr aktiv - so könne man von dem hier praktizierten Partnerschaftsmodell viel lernen, wenn Kinder mit und ohne Fluchterfahrungen "im Tandem" Zeit miteinander verbringen und so die Vermittlung der "Bildungssprache" unterstützt wird - denn ohne diese, mahnte Dr. Lösel an, habe man weder in der Schule, noch bei der Integration in die Gesellschaft eine Chance. Und vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und der dadurch hervorgerufenen Fluchtbewegungen sei dies gerade jetzt wieder ein besonders aktuelles Thema. Etwa 16.000 Schülerinnen und Schüler hat Hessen aus der Ukraine bislang aufgenommen. In der Schule mitkommen ohne sprachliche Barrieren: Dies müsse man allen Schülerinnen und Schülern gewährleisten, durch den Einsatz von Intensivklassen. Und wie das an der Heinrich-Böll-Schule in Form der "Tandems" umgesetzt wird - das sind Erfahrungswerte, über die man andere Schulen informiert, und solche erfolgreichen Ideen werden gerne adaptiert. Dies sei einer von vielen Punkten, für die man seitens des Kultusministeriums an einem solchen Jubiläumstag "Danke!" sagen kann, so der Staatssekretär anerkennend.

Fit für die Zukunft

Landrat Michael Cyriax attestierte der HBS, dass sie ihrem eigenen Grundgedanken stets gerecht wird. Auf der eigenen Homepage stelle man klar, dass man sich als Schule versteht, die für alle Kinder da ist. Alle Kinder sollen sich an der HBS wohlfühlen, sollen sich entwickeln dürfen und "gemäß ihren Begabungen und Neigungen groß werden dürfen", so Cyriax. Alle Beteiligten hätten in den letzten fünf Jahrzehnten die Heinrich-Böll-Schule zu dem gemacht, was sie heute ist: "Die Schule für Hattersheim", würdigte der Landrat den Stellenwert der HBS. Und für die Zukunft stellte Cyriax der Schule weitere ambitionierte Aufwertungen in Aussicht: Der Main-Taunus-Kreis werde im nächsten Jahr mit Erweiterungsplanungen beginnen. Hattersheim boomt im Main-Taunus-Kreis, "und deshalb muss diese Schule mitwachsen", so Cyriax. Bis zu 20 neue Klassenräume sollen demnach entstehen, in enger Abstimmung mit der Schulleitung und dem Team der HBS, und dies sei sicher auch die Basis dafür, dass die Schule auch in Zukunft gut wachsen und gedeihen könne, prognostizierte der Landrat abschließend.

Tobias Deitrich, der zuständige Dezernent des Staatlichen Schulamts für den Kreis Groß-Gerau und den Main-Taunus-Kreis, wies darauf hin, dass sich Schule im permanenten Wandel befindet und sich auch im Laufe der letzten 50 Jahre stark verändert habe. Von ehemals allzu großen Klassen (Dr. Heither erinnerte zuvor an eine durchschnittliche Hauptschulklassengröße von stolzen 36 Schülerinnen und Schülern) sei man mittlerweile längst weggekommen, und die Art des Lehrens habe sich gewandelt: Weg vom lehrerzentrierten Unterricht, hin zum Schüler im Mittelpunkt. All diese Entwicklungen habe die Schulgemeinde der HBS in den letzten 50 Jahren sehr gut angenommen und gemeistert, äußerte sich Dezernent Deitrich lobend. Gemeinsam habe man sich, auch in Zusammenarbeit mit dem Förderverein, den Aufgaben gestellt und werde dies sicherlich auch in Zukunft erfolgreich tun.

Sozialkompetenz und Bildung vermitteln

Bürgermeister Klaus Schindling schließlich griff einen besonderen Aspekt auf, den er als nicht selbstverständlich erachtet, aber gleichwohl als sehr wichtig: Die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kommune und Schule in Hattersheim. Drei unterschiedliche Arten des Schulabschlusses werden an der Heinrich-Böll-Schule angeboten, und dabei wird wertvolle Arbeit geleistet - und das nicht nur in Form der Vermittlung von Bildung, sondern auch beim Finden des weiteren Karriereweges und der Wahl des jeweiligen Berufswunsches. Indem man die jeweiligen Talente der Kinder und Jugendlichen erspürt und erkennt und diese auch angemessen fördert sorgt man dafür, dass die jungen Menschen später einen Beruf wählen können, der ihnen Freude bereitet und Erfolge beschert. Das Maß an Sozialkompetenz und Bildung, dass an der HBS vermittelt wird, hat Schindling zufolge "einen unschätzbaren Wert".

Im weiteren Verlauf der Feierlichkeiten widmete sich Dr. Bruno Schoch von der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen im Rahmen seiner Festrede "Böll - ein politischer Literat" der Frage, was vom Schulnamensgeber Böll für die Gegenwart zu lernen sei. Der ihm 1972 verliehene Literaturnobelpreis sei auch als Würdigung seiner moralischen Integrität zu verstehen gewesen, so Dr. Heither, und Anfang der 80er Jahre stieg der stets streitbare Schriftsteller zu einem der führenden Köpfe der Friedensbewegung auf. In seiner Rede bezeichnete Dr. Schoch den "antiautoritären und leicht anarchistischen Linkskatholizismus" von Heinrich Böll als "Gefühl und Selbstbewusstsein einer Generation", die nach den Frankfurter Auschwitzprozessen in den Sechziger Jahren begann, "das Schweigen zum Nationalsozialismus zu durchbrechen und bohrende Fragen zu stellen."

Den Abschluss der etwa zweistündigen Feierstunde bildete schließlich eine Gesprächsrunde zum Thema "50 Jahre Heinrich-Böll-Schule Hattersheim - Bildung im Wandel der Zeiten", moderiert von Katharina Hepf aus der Klasse10R1 und Jonas Siebert aus der Jahrgangsstufe Q2), an der unter anderem auch die früheren HBS-Schulleiter Klaus Müller (1994 bis 2001) und Karl Hildebrandt (2003 bis 2017) teilnahmen.

Fröhliches Schulfest am Freitag

Stand am Donnerstagabend die Schule selbst im Fokus, rückte das Schulfest am vergangenen Freitag die Schülerschaft in den verdienten Mittelpunkt: Von 13 bis 17 Uhr wurde das Gelände der HBS inklusive Schulgebäude quasi zu einer Art Vergnügungspark, vornehmlich für die Kinder und Jugendlichen. In Eigenregie sorgten Attraktionen wie eine Kletterwand in der Pausenhalle oder musikalische Darbietungen auf der Bühne vor dem Haupteingang für gute Laune, es gab Leckeres vom Grill oder Waffeleisen sowie ein multikulturelles Buffet, und zahlreiche künstlerische und sportliche Angebote sorgten ebenfalls für lebendige Abwechslung. Und da auch eine 50-jährige Schule noch nicht jeder in- und auswendig kennt, führte ein "Roter Faden" Interessierte von den Kunsträumen im Erdgeschoss bis zur großen Lernlandschaft im Gebäude der Gymnasialen Oberstufe. Interaktiv wurde dieser Rundgang aufgelockert durch begleitende "Geschichten zur Geschichte", die man via QR-Code auf dem Smartphone abrufen und parallel zum Rundgang lesen konnte.

Letztendlich entsprachen diese beiden "Feiertage" an der HBS auch der bisherigen Schulgeschichte über fünf Jahrzehnte hinweg: Sie waren eine erfolgreiche, runde Sache für alle Beteiligten - ein guter Startschuss für die nächsten 50 Jahre.

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