Am vergangenen Sonntag erinnerte die Stadt Hattersheim am Main in Kooperation mit der AG Opfergedenken an die Geschehnisse rund um den 9. November 1938. Das Datum ging als organisierter Höhepunkt der damaligen Novemberpogrome in die Geschichte ein. Im gesamten Deutschen Reich wurden Synagogen, jüdische Läden, Wohnungen und Häuser zerstört, viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden Opfer von Gewalt, Einschüchterung und Verhaftung. Die euphemistisch so genannte „Reichskristallnacht“ war der endgültige Punkt, an dem die ohnehin schon ausufernde Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich in die Phase der systematischen Verfolgung - und schließlich Vernichtung - überging.
Stadtverordnetenvorsteher Georg Reuter hielt im Pfarrheim St. Martin einen Vortrag zur Geschichte des jüdischen Lebens in Eddersheim und zu den Verbrechen, die von den Nationalsozialisten damals auch in Eddersheim an der jüdischen Bevölkerung verübt worden sind. Begleitet wurde die Gedenkfeier von musikalischen Beiträgen der Hattersheimer Musikschule, gefolgt von einem gemeinsamen Marsch zu den Stolpersteinen in der Propsteistraße, wo vom Schicksal der Opfer, die dort einst zu Hause waren, berichtet wurde. Schließlich wurden die Stolpersteine gereinigt, und die Gäste waren eingeladen, auch weitere Stolpersteine zu säubern oder sich im Pfarrheim St. Martin zum gemeinsamen Austausch wieder zusammenzufinden.
Familie Hubert
In Hattersheim wurden erstmals vor 15 Jahren Stolpersteine verlegt, bis 2015 wuchs die Zahl auf 81 Stück an. Ursprünglich wurde das Stolperstein-Projekt vom Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen, der bis heute in ganz Europa bereits circa 116.000 Stolpersteine und -schwellen verlegt hat, überwiegend in Deutschland. Das Projekt stellt damit das größte dezentrale Mahnmal der Welt dar.
In Eddersheim sind es 19 Stolpersteine, die an sechs Orten an das Schicksal von Opfern des Nationalsozialismus erinnern. Die jüdische Gemeinschaft war dort, ebenso wie in Hattersheim und Okriftel, recht klein; im Jahre 1933 lebten dort elf Personen, die (per Definition der Nazis) als Jüdinnen und Juden galten. Ab 1933 hatten sie fortan unter wachsender Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung zu leiden.
So auch die in der Propsteistraße 3 lebende Familie Hubert. Rosa Huber entstammte einer der ältesten jüdischen Familien in Eddersheim, der Familie Klein. Ihr Ehemann Max Hubert hatte 1903 in der Mainstraße einen kleinen Schuhmacherbetrieb eröffnet. Die beiden hatten zwei Kinder: Klara und Moritz. Beide besuchten die Eddersheimer Volksschule. Klara war später als Buchhalterin im Familienbetrieb tätig, Moritz eiferte seinem Vater nach und wurde auch Schumacher.
Schon 1933, im Jahr der "Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten, litt das Geschäft der Familie immer stärker infolge von Boykott und Einschüchterung. Zahlreiche ehemalige Stammkunden kamen nicht mehr, die Angst vor Repressionen ging um. Sohn Moritz fand als Jude keine Arbeit mehr und war fortan aushilfsweise im elterlichen Betrieb tätig.
Das Ende des Schumacherladens der Familie Hubert brachten schließlich die Novemberpogrome 1938. Einen Tag nach der "Reichskristallnacht" wurde das Haus überfallen, das Lager wurde geplündert und zerstört. Die Familie zog wenige Wochen später gezwungenermaßen nach Frankfurt um.
Moritz Hubert wurde während des Pogroms verhaftet und ins KZ Buchenwald eingewiesen. Am 28. November 1938 wurde er dort wieder entlassen - mit einer entscheidenden Auflage: Er sollte umgehend aus Deutschland ausreisen. Dies glückte - und rettete ihm schließlich das Leben. Noch im Januar 1939 wanderte Moritz Hubert in die USA ein.
Einen Monat später heiratete seine Schwester Klara Hubert den Steuerberater Ferdinand Lehmann Hermann. Dieser reiste im Juni 1939 nach England aus. Klara emigrierte in die USA, 1940 wurde das Paar dort wieder vereint.
Die Eltern Rosa und Max Hubert hatten hingegen keine Chance zur Auswanderung. Mit dem Verkaufserlös des Hauses in Eddersheim wurde deren Ausreise aus dem Deutschen Reich finanziert. Entrechtet und isoliert lebten Rosa und Max in Frankfurt und wurden gezwungen, den gelben Stern zu tragen.
Am 15. September 1942 wurden Rosa und Max Hubert von Frankfurt ins Ghetto Theresienstadt verschleppt. Rosa Hubert starb dort am 31. Dezember 1942. Max Hubert am 23. März 1944.
Novemberpogrom 1938
Schicksale wie das der Familie Hubert zeigen auf, dass das Jahr 1938 auch in Eddersheim eine folgenschwere Zäsur in der deutsch-jüdischen Geschichte bedeutete. Im November 1938 eskalierte die Gewalt, und alle elf damals in Eddersheim lebenden Jüdinnen und Juden wurden Opfer von Übergriffen.
In Eddersheim begann das Pogrom am Abend des 10. Novembers. Zwei gewalttätige Gruppen, eine war zuvor wohl gezielt aus Frankfurt mit dem Zug angereist, attackierten das Haus der Familie Klein in der Bahnhofstraße sowie das Heim der Familie Hubert in der Propsteistraße.
Eine Zeugin berichtete nach dem Krieg über die Vorkommnisse in der Propsteistraße 3: "An einem Abend im November 1938 hörte ich auf der Straße Krach und Geschrei. Ich ging mit meinen Kindern auf die Straße, nach dem Anwesen von Hubert. Dort habe ich eine größere Menge Leute gesehen, welche Möbel, Deckbetten und sonstige Gegenstände zertrümmerten und von dem Fenster auf die Straße warfen."
Digitale Spurensuche – Lehrpfad „Steine erzählen Geschichte(n)“
Biographien und Berichte wie diese hier sind im neuen digitalen Lehrpfad „Steine erzählen Geschichte(n)“ auf eindrückliche Weise erfahrbar. Direkt vor Ort schildern sie die Eddersheimer NS-Geschichte auf eindrückliche Art und Weise. Dieses Angebot wurde anlässlich des Erinnerungstages vom Referat Kultur der Stadt Hattersheim am Main entwickelt und kann auf dem eigenen Smartphone oder Tablet über die App „Actionbound“ genutzt werden. Texte, historische Aufnahmen und weiterführende Informationen tragen dazu bei, ein Bewusstsein für die hiesige dunkle Vergangenheit zu schaffen und das Gedenken an die damaligen Verbrechen und Schicksale aufrechtzuerhalten.
Die Tour kann über die Suchfunktion in der App „Actionbound“ gefunden oder über einen QR-Code gestartet werden, der auf www.hattersheim.de/digitalestadtfuehrungen zu finden ist.

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