Bürgermeisterin Antje Köster beschrieb die rasante und in dieser Form unerwartete Entwicklung: vor zwei Wochen habe der Sozialdezernent des Main-Taunus-Kreises, Johannes Baron, zunächst um eine Auflistung der zur Aufnahme von Flüchtlingen geeigneten Liegenschaften gebeten. Die Stadt habe dieser Bitte entsprochen, zugleich aber auch unverzüglich den Landrat in dieser Angelegenheit kontaktiert. Jener sei daraufhin konkreter geworden und habe als Hintergrund angegeben, dass der Kreis kurzfristig 1.000 Flüchtlinge aufnehmen müsse. Die Stadt, so die Bürgermeisterin, habe zwei Liegenschaften, die sich allerdings nicht in kommunaler Hand befinden, genannt: erstens die ehemaligen Räumlichkeiten der seit nunmehr drei Jahren insolventen „Selbsthilfe im Taunus e. V.“ in der Voltastraße 9–11, in denen circa 200 Personen Platz finden könnten; zweitens die leer stehenden Bürogebäude am Hessendamm 1–3. Es sei, wie Köster betonte, mit Nachdruck darauf hingewiesen worden, dass sowohl die Stadthalle als auch die Sporthalle am Karl-Eckel-Weg nicht zur Verfügung gestellt werden könnten.
Not kennt kein Gebot
Die Sporthalle wird für den Sportunterricht der Heinrich-Böll-Schule und von mehreren Vereinen genutzt, unter anderem von den Handballerinnen der TSG Eddersheim, die in der 3. Liga West spielen und auf einen entsprechend geeigneten Trainings- und Spielort angewiesen sind. Die Stadthalle dagegen ist bekanntlich aus guten Gründen nicht mehr als Versammlungsort geeignet: Brandschutzauflagen werden nicht erfüllt, an dem denkmalgeschützten Gebäude herrscht an allen Ecken und Enden Sanierungsbedarf. Deshalb muss die Stadtverordnetenversammlung in das Okrifteler Haus der Vereine ausweichen, deshalb musste zum Beispiel auch der Hattersheimer Carneval Club das Feld räumen. Hinzu kommt, dass laut Erster Stadträtin die Sprinkleranlage und die Wasserleitungen nicht funktionsfähig sind und dass der vor kurzem im Bühnenbereich ausgebrochene Brand einen nicht unbeträchtlichen Schaden verursacht habe. Angesichts dessen sei es überraschend, dass die Stadthalle trotzdem als Bestandteil einer Notunterkunft infrage kommt, sagte Schnick. Allerdings seien zeitnah weitere „vertiefende Begehungen“ angekündigt worden.
Zwar soll die Stadthalle, wie bekannt gegeben wurde, nicht als Unterkunft, sondern als Versorgungsstation dienen – doch im Normalfall wäre auch das ein Ding der Unmöglichkeit. Es zeichnet sich allerdings bereits ab, dass die Tage des Normalzustands gezählt sind: die Stadt erwartet quasi stündlich, dass der Landrat angesichts der zu bewältigenden Flüchtlingskontingente den Katastrophenfall ausruft. In diesem Fall verlieren Vorschriften, etwa hinsichtlich des Brandschutzes oder der zu gewährenden Privatsphäre, ihre Gültigkeit; bislang verbindliche Auflagen können dann auf ein Minimum reduziert werden. Somit wäre der Weg für eine Nutzung der Stadthalle als Bestandteil der Notunterkunft frei.
„Überaus geeignet“
Sowohl die Stadthalle als auch die Sporthalle seien – wie mehrere vergleichbare Objekte im gesamten Kreisgebiet – am Montag von den zuständigen Vertretern des Kreises und des Katastrophenschutzes in Augenschein genommen worden, teilte Bürgermeisterin Antje Köster am darauffolgenden Tag mit. Sie selbst sei zum Zeitpunkt der Ortsbegehung noch in München gewesen, da sie gemeinsam mit der Ersten Stadträtin die Stadt Hattersheim bei der diesjährigen Expo Real (Internationale Fachmesse für Gewerbeimmobilien und Investitionen) vertreten habe. Noch am selben Tag habe sie sich mit dem Katastrophenschutz in Verbindung gesetzt und erfahren, dass beide Hallen „überaus geeignet“ wären, kurzfristig als Notunterkunft zu dienen. In einem Gespräch mit der zuständigen Behörde in der Landeshauptstadt sei zudem verdeutlicht worden, dass die Hallen innerhalb von 48 Stunden einsatzbereit sein müssen, sobald der Katastrophenfall ausgerufen und bei der Stadt Hattersheim Bedarf angemeldet wird.
Es liegt auf der Hand, dass die Stadt dies nicht alleine bewerkstelligen kann. Spätestens am Donnerstag sollte es laut Bürgermeisterin Köster ein Treffen mit dem Landrat geben, in dem Organisations- und Finanzierungsfragen geklärt werden. „Betreut würden die Unterkünfte vom Amt für Brandschutz und Rettungswesen zusammen mit den Hilfsorganisationen, den Feuerwehren und ehrenamtlichen Kräften. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung würden unterstützen“, heißt es in einer Pressemitteilung aus dem Landratsamt. Fest steht schon jetzt, dass mehr denn je ehrenamtliches Engagement gefragt sein wird – denn sowohl der Kreis als auch die Stadt sind personell limitiert. Demgemäß sei jede tatkräftige Hilfe höchst willkommen, betonten Bürgermeisterin und Erste Stadträtin unisono, die an den in Krisenzeiten bewährten Zusammenhalt der Hattersheimer appellierten: „Wir schaffen das!“ Von einer immensen Herausforderung für die Bürger und die haupt- und ehrenamtlichen Kräfte in der Betreuung sprach auch Landrat Cyriax. Die Situation müsse, da der Kreis dazu verpflichtet sei, Flüchtlinge aufzunehmen, gemeinsam gemeistert werden.
Gemeinsames Handeln bedingt aus Sicht der Bürgermeisterin eine frühzeitige Information der Öffentlichkeit. Aus diesem Grunde habe sie sich für ein möglichst zeitnahes Pressegespräch entschieden und – als erste Maßnahme – persönlich mit den Vorsitzenden der Vereine, die durch eine Belegung der Sporthalle betroffen sind, telefoniert. Die Vereinsspitzen hätten in fast jedem Fall mit einer Mischung aus Erschrecken und Verständnis reagiert, so Köster. Außerdem habe sie den Elternbeirat der angrenzenden Kindertagesstätte, den Stadtbrandinspektor, die Polizei, den Magistrat sowie die Fraktionsvorsitzenden des Stadtparlamentes von der Situation in Kenntnis gesetzt. Der Kreis signalisierte bereits, die heimatlos gewordenen Vereine bei der Suche nach tauglichen Trainings- und Spielorten zu unterstützen. Es gelte nun, für die Vereine möglichst rasch alternative Sportstätten zu finden, bekräftigte auch Bürgermeisterin Köster. Zu diesem Zwecke wolle sie bereits in der kommenden Woche einen Runden Tisch einberufen. Ein guter Anfang, doch den Gesprächen müssen rasch Taten folgen.