Ein zentrales Argument der Befürworter von N116 sind die Gewerbesteuereinnahmen aus den Rechenzentren. Es wird von den Befürwortern immer wieder betont, dass NTT ein Interesse hat, die Europazentrale in Hattersheim langfristig anzusiedeln, aber versprechen kann man das nie.
Können wir Hattersheimer uns jetzt schon auf goldene Bürgersteige freuen?
Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, anhand öffentlicher Informationen ein Bild zu verschaffen. Ausgangspunkt der kleinen Recherche sind die im Bundesanzeiger veröffentlichten Geschäftsberichte von NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main.
Interessant ist dabei die Gesellschaftsstruktur von „NTT Hattersheim“:
Geschäftszweck der Unternehmen NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main
Aus dem Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 2021/2022 (veröffentlicht im Bundesanzeiger) kann man unter Punkt 1 den Geschäftszweck der NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main entnehmen:
- NTT Global Data Centers EMEA GmbH ist Betreiberin von gebäudetechnischen und sicherheitstechnischen Anlagen in Rechenzentren. In diesem Rahmen mietet sie Flächen der im Besitz deutscher Schwestergesellschaften befindlichen Data Center in großem Umfang an und vermietet diese an Kunden weiter.
- Die Energiebeschaffung erfolgt über ein anderes Konzernunternehmen: Beteiligung NTT Global Data Centers Power Supply GmbH & Co. KG, Hattersheim am Main; An diesem ist sie mit 99% beteiligt. Die NTT Global Data Centers EMEA GmbH veräußert diesen Strom an ihre Mieter-Endkunden.
- Schließlich mietet die Gesellschaft die Stromnetze in den Data Center der NTT GDC FRA1 GmbH & Co. KG, Hattersheim am Main und NTT GDC FRA3 GmbH, Rüsselsheim am Main und verpachtet diese zum operativen Betrieb weiter an ihre 100%-ige Beteiligung e-shelter power grid GmbH, Hattersheim am Main.
- Darüber hinaus erfüllt die NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main, im Rahmen des NTT GDC EMEA Konzerns die Rolle des Asset Managers für NTT GDC Immobiliengesellschaften sowie die Bereitstellung von Services für andere zentrale Funktionen.
Was bedeutet nun diese Struktur hinsichtlich des steuerrechtlichen Gewinns in der Gewinn- und Verlustrechnung?
Die Antwort ist: Der Gewinn und somit auch die Gewerbesteuereinnahmen für die Stadt Hattersheim können maßgeblichen durch die Festsetzung interner Verrechnungspreise zwischen diesen beteiligten Gesellschaften beeinflusst, bzw. willentlich gesteuert werden:
Zu 1.: Steigen die intern vereinbarten Mietpreise für die Rechenzentren an, so fällt der Gewinn der NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main. Die Gewinne landen dann bei den Konzernschwestergesellschaften.
Zu 2.: steigen die internen Verrechnungspreise für Energie an, schmälert auch dies den Gewinn der NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main.
Zu 3.: steigen die Mietkosten für die interne Bereitstellung der Stromnetze, so schmälert auch dies den Gewinn der NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main und somit die Gewerbesteuereinnahmen für Hattersheim.
Zu 4.: Auch hier entstehen Gewinne/Verluste aus innerbetrieblichen Leistungsverrechnungen zwischen Konzerngesellschaften.
Das Ergebnis ist: Der Gewinn der NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main und somit die Gewerbesteuerzahlung ist beliebig steuerbar!
Hier stellt sich nun die Frage: Welche Gesellschaft erwirtschaftet welchen Gewinn und durch welche Geschäftstätigkeit?
In der Gewinn- und Verlustrechnung der NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim am Main aus dem Geschäftsjahr 2021/2022 ist ersichtlich, dass die NTT Global Data Centers Power Supply GmbH & Co. KG, Hattersheim am Main einen Umsatzanteil von ca. 41% an dem Gesamtumsatz erwirtschaftet. Erst an zweiter Stelle stehen die Erträge aus Betreiberentgelten und Mieten mit einem Umsatzanteil von ca. 35%. Das heißt mit anderen Worten, lediglich etwas mehr als ein Drittel des Umsatzes wird durch das Betreiben von Rechenzentren erwirtschaftet.
Sieht man sich nun den Jahresabschluss des internen Stromlieferanten (nämlich der NTT Global Data Centers EMEA Power Supply GmbH & Co. KG, Hattersheim am Main) an, so sieht man auch den abgeführten Gewinn in Höhe von ca. 20 Mio. Euro an die Komplementärin / Mutter: Die NTT Global Data Centers EMEA GmbH, Hattersheim. Der Gewinn vor Steuern der Mutter beträgt ca. 26 Mio. Euro. Somit beträgt der Gewinnanteil aus der Strombelieferung satte 76%! Das NTT Konstrukt verdient das meiste Geld mit dem Stromhandel und nicht mit dem eigentlichen Bereitstellen von Rechenzentrums-Dienstleistungen.
Was sagt das nun über die Gewerbesteuereinnahmen für Hattersheim aus?
- Die Gewerbesteuereinnahmen für Hattersheim sind durch dieses Konstrukt von NTT in höchstem Maße über die Gestaltung interner Verrechnungspreise steuerbar.
- Je nach wohlwollen von NTT kann der kommunale Haushalt gesteuert werden.
- Dieses wiederum führt zu einem Abhängigkeitsverhältnis der Stadt Hattersheim ggü. NTT - auch bei zukünftig veränderten politischen Mehrheiten.
- Es ergibt sich eine zunehmende Volatilität der kommunalen Gewerbesteuereinnahmen infolge der einseitigen Gewerbeansiedlung in Bezug auf Rechenzentren (insbesondere der Ansiedelung von NTT- Gesellschaften).
- Um finanziellen Druck auf die Entscheider der Stadt Hattersheim ausüben zu können, reicht es aus, mit der Abwanderung einer kleinen Gesellschaft zu drohen – nämlich der NTT Global Data Centers EMEA Power Supply GmbH & Co. KG.
Wie volatil können die Gewerbesteuereinnahmen bzgl. des NTT Konstruktes ausfallen?
Um dies abschätzen zu können, muss der Strombedarf eines Rechenzentrums abgeschätzt werden:
Die Firma IBM hat auf der Web-Seite https://www.datacenter-insider.de/die-energie-bilanz-von-rechenzentren-faellt-negativ-aus-a-328335/?p=2 eine Kalkulation aufgestellt: Die IBM-Fachleute gehen bei einer hohe IT-Leistung (… und NTT wirbt damit) davon aus, dass 1.000 Quadratmeter Fläche eines Rechenzentrums 26.280.000 kWh Strombedarf pro Jahr haben. Multipliziert man diese Größe mit der Fläche von FRA 4 (Rechenzentrum an der Voltastraße; bei einer von NTT angegebenen Fläche von 14.200 Quadratmetern (Quelle: https://services.global.ntt/de-de/services-und-produkte/global-data-centers/globale-standorte/emea/frankfurt-4-data-center), kommt man zu einem jährlichen Strombedarf von 373.176.000 kWh. Eine gigantische Spielmasse für eine Gewinnsteuerung zwischen den einzelnen NTT Gesellschaften! (Übrigens: das geplante Rechenzentrum FRA 5 im Gewerbegebiet Nord am Friedhof soll eine ähnliche Kapazität besitzen).
Würde nun „NTT Power Solutions“ den internen Strompreis um nur 10 Cent erhöhen, wäre das ein Betrag von 37 Mio. Euro, welcher sich negativ auf den Gewinn der „NTT Global Data Centers EMEA GmbH“ auswirken würde. Das wäre mehr als der gesamte Gewinn der Muttergesellschaft. Es würde also gar keine Gewerbesteuerzahlung erfolgen.
Ein weiteres Argument der Befürworter ist, dass sich NTT an der Errichtung eines Wärmenetzes beteiligen würde. Auch hier ist absehbar, dass NTT diese Ausgaben in der Gewinn- und Verlustrechnung als Aufwand verbuchen wird. Diese Beträge reduzieren ebenfalls den steuerrechtlichen Gewinn, sodass dann in den ersten Jahren ebenfalls keine Gewerbesteuer durch NTT gezahlt wird.
Zusätzlich darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Stadt Hattersheim nicht die vollen 100% Gewerbesteuereinnahmen für sich behalten darf – nein, ca. 50% muss die Kommune im Rahmen einer Gewerbesteuerumlage an Bund, Land und Kreis weitergeben. (Quelle: https://www.nwb.de/steuerrecht/grundzuege-der-gewerbesteuer-22092020). Somit hat Hattersheim 100% der negativen Folgen für das Mikroklima, den Lärm und den Dreck aus den Notstromaggregaten, aber nur 50% der zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen.
Eine zentrale Fragestellung für die Stadtverantwortlichen muss m.E. nach diesbezüglich sein:
Möchte die Stadt Hattersheim wirklich sich in ein dauerhaftes Abhängigkeitsverhältnis ggü. NTT begeben? Wäre es nicht sinnvoller, die Gewerbeansiedlung zu diversifizieren?
Mein Fazit ist:
Es reicht aus, eine kleine NTT Gesellschaft aus Hattersheim abzuziehen, um andere Gemeinden mit Gewerbesteuerzahlungen zu umwerben, damit wieder neues Bauland für Rechenzentren erschlossen wird. Und letztendlich wird es Hattersheim keine goldenen Bürgersteige geben.
Ich erachte es auch als unverhältnismäßig, dass Hattersheim 100% der Lasten durch die Rechenzentren trägt, aber nur 50% der Gewerbesteuereinnahmen erhält. Muss man dann wirklich in Hattersheim Rechenzentrum Nr. 13, 14 und 15 mit aller Gewalt durchsetzen?