Was ältere Leute erzählen

„Aufgelesen“ von Dieter Press

Geschichtliches

über die Gemeinde Bischem

Am 27. Februar 1933 – also wenige Tage vor der Reichtagswahl – stand das Reichstagsgebäude in Berlin in Flammen.

Man beschuldigte die Kommunisten, aber es waren auch Stimmen zu hören, die darauf tippten, dass es die Nazis selbst gewesen sein könnten, denn dann hätten sie einen Anhaltspunkt, um alle sozialdemokratischen und kommunistischen Zeitungen verbieten zu können.


Gewaltiger Fackelzug der Nazis

Nun setzte wieder ein heftiger Wahlkampf ein, der in den letzten Stunden heftige Formen annahm. Eine Rundfunkrede jagte die andere und sowohl die Eiserne Front als auch die Nationalsozialisten hatten für ihre Wahlversammlungen in Bischofsheim nur erste Kräfte als Redner herbei geholt. Als jedoch freitags vor dem Wahlsonntag (5. März 1933) gegen Mitternacht noch ein gewaltiger Fackelzug mit Nationalsozialisten durch die Hauptstraße an der alten Dorfschmiede vorbeimarschierte, dachten die Bischemer: „Dieser kommende Wahltag wird entscheidend – nicht nur für Deutschland, sondern auch für unsere Gemeinde.“ Eine freudige Überraschung erlebte man noch einen Tag vor der Wahl: ein von der hiesigen Arbeiter-Samariter-Kolonne gekaufter und von der Bevölkerung durch viele Sammlungen gestifteter neuer, moderner Krankenwagen traf in Bischofsheim ein. Er stand von nun an der Bevölkerung für Krankentransporte zur Verfügung.


93 Prozent Wahlbeteiligung

Wie im ganzen Deutschen Reich, so war auch in Bischofsheim die Wahlbeteiligung äußerst rege und nicht weniger als 93 Prozent der Wahlberechtigten gingen zur Urne. Von den großen Parteien erhielten in Bischofsheim die Nationalsozialisten 1662 Stimmen, die Sozialdemokraten 1071, das Zentrum 386 und die Kommunisten 355 Stimmen. Im Reich zogen von der Gesamtzahl von 647 Reichstagsabgeordneten 288 Nationalsozialisten, 119 Sozialdemokraten, 81 Kommunisten, 73 Zentrumsabgeordnete und 52 Abgeordnete von der Schwarz-Weiß-Rot-Partei sowie einige Abgeordnete von Splitterparteien in den Reichstag ein.


Hakenkreuzfahne wehte über Bischem

Diese Wahl war der Auftakt einer umwälzenden Epoche. „Umschwung in Deutschland“ – „Darmstadt in fieberhafter Erregung“ – „Neuordnung in allen Ländern“, so lauteten die Schlagzeilen in den Zeitungen. Und was geschah in Bischofsheim? Nachdem durch den Wahlausgang auch in Hessen die Polizeigewalt in nationalsozialistische Hände übergegangen war, nachdem in Mainz bereits die Hakenkreuzfahne auf dem Stadthaus wehte, wurde am 7. März 1933 die Bischofsheimer Ortsverwaltung in Kenntnis gesetzt, dass um 3 Uhr nachmittags auf dem Rathaus ebenfalls die Hakenkreuzfahne gehisst werde. „Unter Vortritt einer Musikkapelle erschien eine größere Abordnung S.A.-Leute“, ist nachzulesen. Sowohl am Rathaus, gegenüber der evangelische Kirche, als auch an der Gewerbeschule, wo auch damals die Polizei stationiert war, wurde jeweils die neue Fahne aufgezogen. Die alte Reichsfahne „Schwarz-Rot-Gold“, die über 14 Jahre lang bei allen besonderen Anlässen vom Rathaus geweht hatte, wurde mitten auf der Straße vor dem damaligen Rathaus, dem heutigen Heimatmuseum, verbrannt. Im Laufe des nächsten Tages wurden auf allen öffentlichen Gebäuden (Schule, Post und Bahnhof) die neuen Fahnen angebracht.

Es scheint eine ganz andere Zeit zu kommen, sagte man nicht nur in Bischofsheim, sondern überall im Land. „Wenn alles nur mal gut ausgeht!“ – war allenthalben mit bangem Unterton zu hören.


Polizisten ohne „Dauerwellenerzeuger“

Dass man in Bischofsheim die Häuser beflaggt und einen Fackelzug veranstaltet, an dem alle Ortsvereine teilnehmen, wenn in Berlin der Reichstag zusammenkommt, das hatte man hier noch nicht erlebt. Auch ein Platzkonzert, das von zwei Bischemer Kapellen („Lyra“ und „Frieß“) aus dem gleichen Anlass auf dem Schulplatz stattfindet – war noch nie der Fall gewesen. Wie nachzulesen ist, haben die Musiker sogar unentgeltlich gespielt. Aber noch andere Besonderheiten sah man in diesen denkwürdigen Tagen. Die Polizeibeamten, seither stets mit einem Gummiknüppel bewaffnet, erschienen plötzlich ohne diesen sogenannten „Dauerwellenerzeuger“. Weiter sah man da eines Tages, wie viele Bischofsheimer Funktionäre der KPD und der SPD mit Eimern an der Dreschhalle am Ortsausgang nach Ginsheim und vor vielen Toren und Häuserfronten standen, um unter polizeilicher Aufsicht alte, noch aus der Wahlzeit stammende Plakate und Wahlaufschriften abzuwaschen.  (Wird fortgesetzt!)

Noch keine Bewertungen vorhanden


X