Deutung des Datenschatzes

Ergebnisse der NORAH-Studie liegen vor / Antenbrink fordert Konsequenzen

Das Rhein-Main-Gebiet brummt – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Für alle drei Verkehrslärmarten (Flug, Straße und Schiene) stellte die NORAH-Studie fest, dass sie teilweise Auswirkungen auf die physische und psychische Lebensqualität der Betroffenen sowie auf die Gesundheit haben.
(Foto: Fraport AG)

FRANKFURT/FLÖRSHEIM (pm/hb/noe) – Im „Forum Flughafen und Region“ (FFR) soll, wie durch die Namensgebung bereits nahelegt wird, der Dialog zwischen der Region und der Luftverkehrswirtschaft ermöglicht respektive gepflegt werden. Unter dem Dach des FFR, dessen Vorstand aus den drei Mitgliedern Anke Giesen (Fraport Vorstand), Oliver Quilling (Landrat Kreis Offenbach) und Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner (Generaldirektor der ESA) besteht, wirkt vor diesem Hintergrund das Informationszentrum „Umwelt- und Nachbarschaftshaus“ (UNH). Jenes teilte der Presse Ende der letzten Woche mit, dass die Lärmwirkungsstudie NORAH (Noise-Related Annoyance, Cognition, and Health) nunmehr abgeschlossen wurde. Am 29. Oktober stellten die Autoren der NORAH-Studie in Frankfurt die Ergebnisse der bisher umfassendsten Untersuchung der Wirkungen von Verkehrslärm der Öffentlichkeit vor. Fast fünf Jahre lang haben acht wissenschaftliche Institutionen und ein Ingenieurbüro die Auswirkungen von Flug-, Straßen- und Schienenlärm auf den Menschen erforscht. Die Untersuchungen fanden am Flughafen Frankfurt und in der Rhein-Main-Region sowie an den Vergleichsstandorten Köln/Bonn, Berlin und Stuttgart statt. Erstellt wurden eine Lebensqualitätsstudie, eine Studie zu Krankheitsrisiken, eine Schlafstudie, eine Blutdruckstudie und eine Kinderstudie; letztere wurde bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht.

 

Stärkere Belästigung
Das UNH fasst zusammen: „Beim Herzinfarkt konnte nur in einer Teilgruppe ein statistisch signifikanter Zusammenhang mit Fluglärm gefunden werden, beim Schlaganfall gab es keine klare Tendenz. Eindeutige Zusammenhänge gab es hingegen mit Straßen- und Schienenlärm. Ein Zusammenhang zeigte sich zwischen dauerhaftem Verkehrslärm und dem Auftreten von Depression und Herzschwäche. Dieser Zusammenhang gilt für alle drei untersuchten Verkehrsarten, also Straße, Schiene und Flugverkehr. Bei Depression zeigte Fluglärm den höchsten Effekt, bei Herzschwäche der Schienenlärm. Eine Erhöhung des Blutdrucks durch lang andauernden Fluglärm konnten die Wissenschaftler ebenfalls nicht nachweisen. Dieses Ergebnis widerspricht Hinweisen aus einigen bisherigen Studien. Die hohe Studienqualität festigt dieses Ergebnis jedoch: Es beruht auf weitaus mehr Blutdruck-Messungen und genaueren akustischen und Befragungsdaten. Insgesamt sind die von NORAH nachgewiesenen gesundheitlichen Risiken durch Fluglärm geringer als bisher angenommen.“

Generell fühlten sich die Anwohner des Frankfurter Flughafens durch Fluglärm mit gleichem Dauerschallpegel stärker belästigt als in früheren Studien, heißt es in der Pressemitteilung des UNH. Auch an den untersuchten Vergleichsflughäfen liege die Belästigung deutlich über den EU-Standardkurven, die zum Beispiel für die Umgebungslärmrichtlinie der EU verwendet werden. Im Vergleich zu den Flughäfen Köln/Bonn und Stuttgart fühlten sich Menschen in Frankfurt bei gleichem Lärmpegel stärker belästigt. Die Belästigung sei nach Eröffnung der Landebahn Nordwest im Jahr 2011 zunächst angestiegen und 2013 geringfügig abgesunken. „Die Wissenschaftler sprechen von einem 'Change Effekt' im Zusammenhang mit dem Ausbau des Flughafens“, erklärt das UNH. „Sie konnten auch nachweisen, dass Fluglärm die Menschen stärker stört als Straßen- oder Schienenlärm. Ein differenziertes Bild ergibt sich auch bei den Wirkungen auf den Schlaf: Die NORAH-Schlafstudie zeigt, dass Anwohner des Flughafens seit Einführung der nächtlichen Kernruhezeit 2011 (Nachtflugverbot) besser durchschlafen. Dennoch fühlen sie sich morgens häufiger müde – bei gleichem Lärm. Personen, die dem Flugverkehr gegenüber eher kritisch eingestellt sind, schlafen schlechter als Luftfahrtbefürworter.“

Umfassende Qualitätssicherung
„NORAH ist ein Meilenstein der Lärmwirkungsforschung. Viele Zusammenhänge wurden nie zuvor in der hier realisierten Breite und Tiefe untersucht“, so FFR-Vorstandsmitglied Johann-Dietrich Wörner. Alle Ergebnisse seien durch das einstimmige Votum des Wissenschaftlichen Beirats Qualitätssicherung abgesichert, der die Studie fortlaufend begleitet und überwacht habe. Wörner weiter: „Zunächst einmal finde ich es beruhigend, dass die von vielen befürchteten schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Flugverkehr im Rhein-Main-Gebiet nicht zu erkennen sind. Entscheidend sind hierfür nicht nur direkte gesundheitliche Wirkungen, sondern auch die Beeinträchtigung der Lebensqualität und das hohe Maß an Belästigung, das in der Studie festgestellt wurde. Dabei – das zeigt die Studie deutlich – geht es nicht nur um Fluglärm. Verkehrslärm insgesamt stellt ein relevantes Thema dar, so dass auch bei der Straße und Schiene der Lärmschutz eine entsprechende Beachtung bekommen muss.“

Insgesamt schaffe die Studie in vielen Bereichen Klarheit, zeige aber auch noch vorhandenen Forschungsbedarf auf. Dies gelte zum Beispiel für die bisher eher lückenhafte akustische Datenbasis im Bereich Straßen- und Schienenverkehr. Der Vorstand des FFR appelliert an alle Interessierten, Politiker wie Bürger, „Luftfahrtbefürworter wie -gegner“, mit den „hochkomplexen Ergebnissen sorgsam umzugehen und jede extreme Interpretation sowie voreilige Schlussfolgerungen“ zu vermeiden. Wörner: „Das Konsortium hat über 2.500 Seiten Ergebnisberichte vorgelegt. Wir müssen jetzt gründlich analysieren, welche Konsequenzen wir aus diesem Datenschatz ziehen können und müssen.“

Wertvolle Grundlage
Konsequenzen forderte Flörsheims Bürgermeister Michael Antenbrink bereits am Dienstag in einer Stellungnahme: „Dass man nach der Veröffentlichung der Ergebnisse aus der NORAH-Studie nicht zur Tagesordnung übergehen kann, wie uns viele derzeit glauben machen wollen, verdeutlicht allein schon der deutliche Anstieg der Zahl von Menschen, die sich durch Fluglärm belästigt fühlen.“ Antenbrink bezeichnet die NORAH-Studie als „wertvolle Grundlage für die weiteren Bemühungen zum Schutz der Menschen“ in der Region vor unzumutbarem Fluglärm und wertet die Studienergebnisse als „eine nicht zu übersehende Aufforderung an die Politik, für ein wirksameres Fluglärmschutzgesetz und eine rechtssichere, verlässliche Lärmobergrenze zu sorgen“.

Laut Studie führt die Zunahme der Belästigung durch Fluglärm zu einer geringeren psychischen und körperlichen Lebensqualität. „Die Studie gibt damit einen mehr als deutlichen Hinweis darauf, dass zum Schutz der Gesundheit der Fluglärm in unserer Region nicht weiter unbegrenzt zunehmen darf“, so Antenbrink. „Die NORAH-Studie hat eine Wirkungskette von der Lärmbelästigung über eine damit verbundene psychische Belastung hin zu einer Gesundheitsschädigung nicht ausgeschlossen, eher im Gegenteil.“

Angesichts der Tatsache, dass fast 350.000 Menschen stark vom Fluglärm betroffen seien, müssten die verantwortlichen politischen Kräfte – nicht nur des Landes Hessen – dem Erkenntnisgewinn der Studie gemäß handeln. „Es wäre für die vom Fluglärm Betroffenen weder nachvollziehbar noch akzeptabel, wenn die Erkenntnisse der NORAH-Studie nicht bei der Novellierung des Fluglärmschutzgesetzes, die derzeit vom Bundesrat vorbereitet wird, berücksichtigt würden“, so Antenbrink. Es sei unter anderem klar geworden, dass die Höhe des Dauerschallpegels wohl kein „verlässlicher Indikator für die Gesundheitsgefährdung“ ist. „Hier sollte sich das Augenmerk jetzt stärker auf die tatsächlichen Maximalpegel und die Zahl der Flugbewegungen richten“, fordert Antenbrink. „Aber die Belästigung durch den Luftverkehr ergibt sich nicht nur aus der Lärmbelastung. Wenn Fluglärm gegenüber Straßen- oder Schienenlärm als deutlich belästigender wahrgenommen wird, muss dies Gründe haben.“

 

Noch keine Bewertungen vorhanden


X