Auch Komponisten wissen Italien zu schätzen

Erstes Gallus-Konzert beleuchtete die Spuren von Händel und Hasse im "Land, wo die Zitronen blühen"

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Während in der Kirche am Sonntag die ersten Töne der neuen Saison der Gallus-Konzerte erklang, ging auf Flörsheims Dächern und Straßen der erste Schneeregen des nahenden Winters nieder. Zeit für die Deutschen, von den milden Temperaturen und den echten Sommern zu träumen, wie viele sie im einstigen Lieblings-Urlaubsland der Deutschen erlebten. „Bei dem Wetter tun Grüße aus Italien gut“, sagte der Vorsitzende des die wieder vierteilige Konzertreihe veranstaltenden Förderkreises Main-Taunus, Bernd Blisch, vor Beginn des Konzerts.

Seit vielen Jahren hat Spanien in der Urlauber-Statistik der Deutschen zwar die Nase deutlich vorne, aber die emotionale Verbundenheit vieler Germanen zu „Bella Italia“ ist tiefergehend, nostalgisch und stark verwurzelt. Doch das ist kein Zustand, der erst mit den Touristenströmen entstand, als die westdeutsche Wohlstandsgesellschaft in den 1960er-Jahren erblühte. Das Gallus-Konzert zeigte dies deutlich auf, denn „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?“, wie der rund 80-minütige Auftritt des Klassik-Quartetts aus Julia Kirchner (Sopran), Michael Schneider (Flöte), Nicholas Selo (Violoncello) und Sabine Bauer (Cembalo) überschrieben war, zeichnete die enge emotionale Bindung an Rom und Italien von zwei Komponisten des deutschen Barocks nach: Georg Friedrich Händel (1685 - 1759) und Johann Adolf Hasse (1699 - 1783).

Dazu wurden auch Stücke zweier italienischer Komponisten präsentiert, mit denen die deutschen Kollegen während ihres Aufenthalts in Rom zusammenarbeiteten, Alessandro Scarlatti (1660 - 1725) und sein Sohn Domenico (1685 – 1757). Die Geschichten dahinter präsentierte zur Einleitung der fünf Blöcke jeweils Flötist Michael Schneider, auch mit dem Ensemble „La Stagione Frankfurt“ wiederholt Protagonist der Gallus-Konzerte und Mitglied des Künstlerischen Beirats des Förderkreises. Die Auswahl des berühmten Händel und des heute eher Kennern vertrauten Hasse als Beispielduo für die Beziehungen nach Italien ist keineswegs willkürlich.

Von niemand anderem als vom achtjährigen Wolfgang Amadeus Mozart ist eine Notiz auf dem Titelblatt seiner ersten Druckveröffentlichung bekannt, in der er es als seinen Traum verkündet, einmal so berühmt sein zu wollen wie Händel und Hasse – das hat dann ja geklappt. Der Aufenthalt in Rom, auch wenn er gerade im Falle Händels nur eine Station eines Weitreisenden war, hat das Werk der Komponisten zweifellos stark beeinflusst, aber auch Spuren in Italien hinterlassen.

Das erste, in voller Besetzung dargebrachte Stück war „Clori mia, Clori bella“ von Alessandro Scarlatti, ein Wegbegleiter Händels während dessen Italienreise (1706 bis 1710), entstand 1699 in Rom und schildert das Klagen eines namenlosen Liebhabers, der seinen Schmerz den Wellen des Tiber anvertraut. „Ich verabscheue dich so sehr wie ich dich geliebt habe“, soll die Verflossene (Clori) ihm an den Kopf geworfen haben. Da kann man schon mal ein dahnfließendes Wässerchen mit einem selbstmitleidigen Leid zuquatschen.

Der aus Halle/Saale stammende Händel schrieb seine „Sonate a-moll“ als Flötenstück, das erst nach seiner Weiterreise nach England (1710) entstand, laut Schneider aber seine Erfahrungen aus Italien aufarbeitet. Der Komponist, in Rom bald als „Il caro Sassone“ (der liebenswürdige Sachse) bekannt, hielt sich in seinen vier Jahren auch in anderen Hochburgen der klassischen Musik wie Florenz, Neapel, und natürlich Venedig auf. Er sammelte Mäzen und Förderer von höchsten Stellen ein, darunter sogar einen Kardinal, was angesichts des protestantischen Hintergrunds Händels erstaunlich klingt - und es doch nicht ist, wie Schneider erklärte „er spielte katholische Musik“.

Das zweite aufgeführte Händel-Stück „La Lucrezia“ hat der Komponist in Italien geschrieben, kommt offiziell als Kantate daher, ist aber eine verkappte Oper. Der Grund für das Manöver: In Rom herrschte seit 1677 (und noch bis 1717) ein von Papst Innozenz XI. eingeführtes Opernverbot, um dem groben Sittenverfall in den Häusern Einhalt zu gebieten. Sein Nachfolger Innozenz XII. ließ sogar drei der stillgelegten Gebäude abreißen.

Inhaltlich ist „La Lucrezia“ hartes Brot, denn bei dem mit Cembalo und Violoncello umgesetzten Stück besang Sopranistin Kirchner in vielen Versen die hochdramatische Erklärung der Römerin aus dem 6. Jahrhundert vor Christus, die begründet, warum sie sich das Leben nahm – um der Schande einer Vergewaltigung durch den Königssohn Tarquinius zu entgehen. Ihre Entscheidung, vielmehr ihr Tod, obwohl ihr versichert wurde, keine Schuld am Geschehen zu haben, führte zu einem Aufstand. Und soll so Lucrezia dazu beigetragen haben, das Königtum in Rom zu beenden und 509 v. Chr. in die Römische Republik (bis 27 v. Chr.) zu überführen, erläuterte Schneider.

Domenico Scarlatti hat mit Händel das Geburtsjahr gemein und starb zwei Jahre vor dem Hallenser. Seine „Sonate h-moll“ ist ein Cembalo-Stück, eines seiner wenigen ruhigeren. „Er war ein begnadeter Tastenspieler“, sagte Schneider, „er hat das Instrument zu neuen Grenzen geführt“. Nach Berichten Händels lieferten die Gleichaltrigen sich während seines Italien-Aufenthalts Wettkämpfe – Scarlatti am Cembalo, Händel an der Orgel. In der Gallus-Kirche war die Sonate ein Solo für Sabine Bauer.

Zum Schluss präsentierte das Quartett in voller instrumentaler Besetzung Johann Adolf Hasses „Cantata per flauto“, ein Stück in B-Dur. Der 14 Jahre nach Händel in Bergedorf, heute Stadtteil im Südosten Hamburgs, geborene Hasse kam erst knapp 20 Jahre nach Händel nach Italien (1722), hinterließ in Italien vor allem in Neapel Spuren. Er war der letzte deutsche Schützling des 1725 gestorbenen Alessandro Scarlatti und heiratete kurz vor der Rückkehr nach Deutschland die Opernsängerin (die Häuser waren inzwischen längst wieder offen) Faustina Bordoni. Ab 1733 wurde er Hofkapellmeister in Dresden. Hasse hat das Pech, dass seine Opernwerke im italienischen Stil heute nicht ganz so originell daherkommen wie die Händels. Zu seiner Zeit aber war er, wie Mozarts Kritzelei belegt, kein bisschen geringer angesehen.

Als Zugabe trug das Quartett eine Arie Alessandro Scarlattis vor. „Il giardino d’amore“ (der Garten der Liebe) entstand 1708, als Händel sich also in seinem Umfeld aufhielt. Auch die Deutschen besuchen bis heute ganz gerne solche italienische Liebesgärten, noch lieber allerdings die Strände und schiefen Türme. Es ist daher sicherlich nicht so, dass sich selbst Liebhaber der klassischen Musik der Verwebungen der deutschen Komponisten mit ihren zeitgenössischen italienischen Kollegen bewusst sind. Doch sie haben gegenseitig Spuren in den Werken hinterlassen, lässt sich bei Händel wie Hasse eindeutig nachweisen.

Es war ein wertvoller Teil des zur Premiere der neuen Reihe leider nicht besonders gut besuchten Konzertes, dass Schneider die Verbindungen und Auswahl der Komponisten jeweils erläuterte. So nahm das Publikum eine Menge Informationen zum Vertiefen mit auf den Heimweg durch das bis auf weiteres kaltfeuchte Flörsheim.

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