In diesem Jahr feiert die Stadt Hattersheim am Main, wie wir sie heute kennen, ein besonderes Jubiläum: Ein halbes Jahrhundert ist es mittlerweile her, dass sich vor dem Hintergrund der ihrerzeit kontrovers diskutierten und umkämpften hessischen Gebietsreform die drei Stadtteile Hattersheim, Okriftel und Eddersheim freiwillig zusammengeschlossen haben. Um diesen Anlass würdig zu begehen, fand unmittelbar vor der letzten Stadtverordnetenversammlung des Jahres am Mittwoch, 7. Dezember, im Okrifteler Haus der Vereine ein kleiner Festakt statt, der dem ehemaligen Hattersheimer Bürgermeister Norbert Winterstein (91) die Möglichkeit gab, 41 Jahre nach seinem Wechsel ins Rüsselsheimer Rathaus wieder vor den hiesigen Parlamentariern zu sprechen und die damaligen Geschehnisse zu rekapitulieren.
Winterstein stellte direkt zu Beginn seiner Rede fest, dass 1972 ein Vorgang endete, der bereits in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre begonnen hatte. Das eher staubtrocken anmutende Thema Verwaltungsreform war nicht gerade prädestiniert für blickfangende Schlagzeilen, jedoch umso mehr ein Dauerbrenner in den politischen Rubriken der Zeitungen. Die Notwendigkeit einer solchen Reform wurde erkannt, man war für neue Entwicklungen und Problemstellungen nicht mehr angemessen aufgestellt. Vorbei war die Zeit, als die Menschen fast ausschließlich in ihren eigenen Kleinstädten oder Gemeinden zur Schule gegangen sind, dort gearbeitet, soziale Kontakte gepflegt und auch eingekauft haben. Die Mobilität der Menschen hatte sich grundlegend verändert, der Alltag spielte sich in einem Radius weit über die Grenzen der eigenen Kommune hinaus ab.
Ein zweiter Punkt waren die immer sichtbarer werdenden Umweltprobleme, insbesondere die hiesigen Kiesgruben waren Winterstein zufolge eine "ganz schlimme Sache für den Main-Taunus-Kreis": Ein großer Krater, in dem Müll abgeladen wurde, und alle Gemeinden machten es sich damit arg einfach: "Da ist ein Platz, da kann man es machen, und das war's dann", so Winterstein.
Auch die Datenverarbeitung kam immer mehr zum Zuge, und damit brauchte man in den Verwaltungen plötzlich ganz anders ausgebildete Leute. Schließlich machte man ein Kernproblem aus, das der Bewältigung all dieser Aufgaben im Wege stand: Die Planungsräume waren bei den kleinen Gemeinden zu eng geworden, der Planungshorizont ging nicht über die Reichweite des eigenen Kirchturms hinaus - und kleine Gemeinden gab es im Main-Taunus-Kreis mehr als genug: Die damals 180.000 Einwohnerinnen und Einwohner verteilten sich auf stolze 46 Gemeinden.
Die beiden Großstädte Frankfurt und Wiesbaden witterten fette Beute und entwickelten ihrerseits Pläne, sich den Main-Taunus-Kreis kurzerhand einzuverleiben. In Frankfurt träumte man von der sogenannten "Regionalstadt", in Wiesbaden führte man schon Einzelgespräche mit den einzelnen Rathauschefs der Gemeinden und erörterte dabei auch deren weitere Karrieremöglichkeiten in der Fachverwaltung angesichts des bevorstehenden Wegfalls ihrer Bürgermeister-Posten nach der jeweiligen Eingemeindung - und gleichzeitig formierte sich im Main-Taunus-Kreis der Widerstand, der nun nach Strategien suchte, um sich selbst zu retten.
Nun hatte die Landesregierung proklamiert, dass man künftig gerne Gemeinden mit etwa 10.000 Einwohnern als Verwaltungseinheit hätte bzw. besser 20.000 im sogenannten "Speckgürtel" von Großstädten. Dies führte im MTK zu der Hoffnung, dass man die Auflösung des Kreises verhindern könne, indem man sich freiwillig zusammenschließt und so zu ausreichend großen Verwaltungseinheiten wird, die auch die neuen Kriterien erfüllen.
Dass im Zuge dieser Entwicklung Hattersheim und Okriftel fusionieren würden, war in den Augen von Winterstein ziemlich klar. Spannender war die Frage, ob sich hierzu noch Eddersheim oder Weilbach gesellen würde - letztendlich kam dann Eddersheim zu Hattersheim, Weilbach zu Flörsheim und Bremthal zu Eppstein, und Teil dieser Vereinbarung war der Bau eigener Grundschulen in diesen drei ehemaligen Gemeinden und nun Stadtteilen. "Ich sage Ihnen: Das war keine Liebesheirat, das war eine Vernunftheirat", stellte Winterstein fest und betonte, dass diese neue Beziehung nicht von Liebe, aber sehr wohl von Respekt geprägt war. Es sollte eine neue Verwaltungsstruktur aufgebaut werden, die allen dient, und das beim Erhalt der jeweils eigenen Identität. "Und ich glaube, dies ist gut gelungen", resümierte der frühere Bürgermeister schließlich.
Bürgermeister Klaus Schindling führte diesen Gedanken noch weiter und bekundete seinen Glauben daran, dass man heute sagen könne, dass aus dieser Vernunftheirat mittlerweile sogar teilweise eine liebevolle Ehe geworden sei: Es herrsche ein "gutes Miteinander bei aller Selbstbestimmtheit der einzelnen Dörfer und jetzigen Ortsteile."