Die verirrten Hirten

Drei Autorinnen stellten am vergangenen Montag ihr Buch zum Thema Machtmissbrauch in der katholischen Kirche vor

Vorstellung des Buches „Die verirrten Hirten“ im Gemeindesaal St. Vitus. Von links nach rechts: Susanne Schuhmacher-Godemann, Monika Humpert, Kristina Brähler, Simone Schupp und Carol Wanske.

Der Gemeindesaal von St. Vitus in Kriftel hätte noch weitaus mehr Interessierte aufnehmen können, aber die etwa 20 Personen, die am letzten Montag die Veranstaltung der Katholischen Erwachsenenbildung Main-Taunus besuchten, zeichneten sich alle durch eine sehr rege Diskussionsfreudigkeit aus. Da es bei der Veranstaltung ebenfalls um das Thema „aktuelle Rolle von Frauen in der Katholischen Kirche“ ging, ist es schön, dass auch ein Mann an dem Abend als Zuhörer begrüßt werden konnte.

Eine freudige Überraschung erwartete die Gäste gleich zu Anfang: Angekündigt waren nur zwei Autorinnen, Kristina Brähler und Susanne Schuhmacher-Godemann, es gesellte sich aber noch Monika Humpert hinzu. Letzte übernahm die Einführung und erklärte, wie es zu dem Buch mit dem Titel „Die verirrten Hirten“ gekommen war. Die insgesamt fünf Autorinnen (die Diplom-Kauffrau Marianne Brandt und die Diplom-Volkswirtin und Journalistin Andrea Tichy waren nicht anwesend) gehören der Initiative Maria 2.0 an, die im Mai 2019, also vor fünf Jahren, ins Leben gerufen wurde. Auslöser war die MHG-Studie zum Missbrauch in der Katholischen Kirche, die 2018 veröffentlicht wurde. Es handelte sich hier um ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das von mehreren Universitäten durchgeführt wurde (das Kürzel „MHG“ steht für die Orte Mannheim, Heidelberg, Gießen). „So kann es nicht weitergehen“, war der Gedanke der Gründerinnen von Maria 2.0. Sie riefen zum Kirchenstreik auf, versammelten sich, traten öffentlich auf, demonstrierten, sangen, beteten. Die Autorinnen engagieren sich vor Ort in der Gruppe Maria 2.0 Frankfurt. Die einzelnen Gruppen seien in einem „freischwingenden Netz“ verbunden, erklärte Rechtsanwältin Monika Humpert, Sprecherin und Gründungsmitglied der Gruppe. „Durch die Missbrauchsstudie war das Fass voll, viele Forderungen kamen wieder hoch. Es wurde klar, dass das männerbündische System in der Katholischen Kirche den Weg frei gibt für Missbrauch“, schilderte sie die Situation. Ein Gespräch mit dem Bischof von Limburg brachte Verständnis von seiner Seite aus.

Nun, nachdem der Synodale Weg zu einem Ende gekommen ist, wollen die Frauen ihre Forderungen konstruktiv voranbringen. Den Ausschlag zu dem Buch gab schließlich die Nachricht, dass Maria 2.0 mit dem evangelischen Leonore Siegele-Wenschkewitz-Preis ausgezeichnet worden war. Das Preisgeld von 500 Euro wurde sofort in das Buchprojekt gesteckt. Zunächst war die Idee, Betroffene zu fragen, wie sie Missbrauchsfälle in ihrer Gemeinde erlebt haben, aber die Reaktionen waren sehr verhalten. Daraufhin beschlossen die fünf Autorinnen, dass jede von ihnen die Themen aufgreifen sollte, die ihr wichtig erschienen. Ziel des Buches sollte sein, dass die Missbrauchsfälle nicht im Schweigen verschwinden, sondern Gespräche angeregt werden und schließlich global für einen guten Kinderschutz in der Kirche gesorgt wird. Die fünf Frauen haben Informationen aus Büchern und Artikeln zusammengetragen und um ihre eigenen Sichtweisen ergänzt. Eine Übersicht über die verschiedenen Missbrauchsgutachten der deutschen Bistümer wird ebenfalls gegeben.

Die Diplom- und Sexualpädagogin Kristina Brähler las aus dem dritten Kapitel des Buches vor. Dessen Titel lautet: Der schwierige Umgang mit dem Missbrauch(ten). Bei der Recherche war klar geworden, dass in der Katholischen Kirche hauptsächlich männliche Personen Täter waren und es bis zur Aufdeckung oftmals ein sehr langer Weg ist. Der Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit muss in der Prävention liegen. Wenn ein Opfer von dem Missbrauch spricht, reagiert der Zuhörer oft ähnlich emotional wie der Betroffene, was die Situation schwierig macht. Die Täter sind teilweise charismatische Menschen („der kann doch so gut predigen“), was zur Verdrängung der Tatsachen führt.

Die Lesung stieß bei dem Publikum auf sehr große Resonanz. Nachdenklich gestanden einige, dass sie in ihrem Beruf oder Ehrenamt niemals daran gedacht hätten, dass vor ihnen vielleicht ein Kind gesessen habe, das von Missbrauch betroffen gewesen sei. Die Opfer hätten oft eine Sehnsucht nach Beziehungen, deswegen falle es ihnen so schwer, sich Eltern oder nahen Personen anzuvertrauen, erklärte Kristina Brähler. „Einige können einfach nicht den Deckel lüften“, ist ihre Feststellung. Von einer Anwesenden wurde die Frage in den Raum gestellt: „Kann ich der Kirche mein Kind anvertrauen?“ Die Mitautorin und Theologin Susanne Schuhmacher-Godemann, die als Pastoralreferentin im Vincenzhaus in Hofheim arbeitet, gab zu, dass etwas zerbrochen und der Ruf der Kirche geschädigt sei. Sie sieht hier die Verantwortung zum großen Teil bei den Strukturen der Katholischen Kirche, die an Zölibat und Ablehnung von Frauen in Weiheämtern festhalten. Für sie persönlich ist die Gleichberechtigung der Frauen in der Katholischen Kirche ein großes Anliegen, für das sie sich einsetzt. Hierzu las sie einen kurzen Text aus dem Buch vor.

Monika Humpert betonte, dass ein Veränderungsprozess in Gang gesetzt worden sei. „Im Bistum Limburg wird an jeder Schraube gedreht“, war ihre Aussage, „und es ist auch schon einiges bewegt worden, auch in puncto Frauen in verantwortungsvollen Ämtern. Für sie selbst sei die Katholische Kirche die Heimat ihres Glaubens. Dabei wies Humpert noch auf ein Kapitel des Buches hin, das den Titel „Warum wir in der katholischen Kirche bleiben“ trägt und Argumente gegen den Kirchenaustritt liefert.

Zum Abschluss bedankten sich Simone Schupp, Leiterin der Katholischen Erwachsenenbildung Main-Taunus und die Organisatorin des Abends, Carol Wanske, mit Blumen und Erdbeeren bei den drei Autorinnen für Ihre Ausführungen. Obwohl es sich bei dem Thema des Abends um ein schwer zu verkraftendes handelt, konnten die drei Referentinnen und die Diskussion zeigen, dass an besseren Wegen für die Aufarbeitung und die Zukunft gearbeitet wird – wenn auch zunächst nur sehr zaghaft. Auf jeden Fall setzen die Autorinnen mit dem Buch Impulse gegen das Wegschauen und die Leser und Leserinnen werden zum Nachdenken und Handeln sensibilisiert.

Das Buch „Die verirrten Hirten“ ist im Quell Verlag erschienen und im Buchhandel für 12,90 Euro erhältlich.

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