„Echt… ehrlich… unverblümt…"

Vernissage und Buchvorstellung von Erhard Scherfer und Klaus Störch im Haus Sankt Martin am Autoberg

Gute Stimmung herrschte auf der Vernissage der Ausstellung und Buchpräsentation „Mein Leben – so anders“ von Erhard Scherfer und Klaus Störch. Hier bei der Begrüßung der Gäste (v.r.n.l.): Torsten Gunnemann, Anne Domachowski-Schneider, hinten Paul Pfeffer, Klaus Störch, Erhard Scherfer und Antje Kern.

„Endlich wieder eine Präsenzveranstaltung hier im Haus Sankt Martin!“ Mit diesen sichtlich erfreuten Worten an die zeitweise über 70 Gäste (ein neuer Besucherrekord dort) am Freitag, 3. Februar, im Gemeinschaftssaal der Caritas-Facheinrichtung in Hattersheim drückte Torsten Gunnemann, der Vorstand des Caritasverbandes Main-Taunus e.V., das aus, was man in den Gesichtern der Besucher lesen konnte: die Veranstaltungen der Reihe „Kunst und Kultur am Autoberg“, Markenzeichen des Hauses Sankt Martin, sind von vielen treuen FreundInnen in der Corona-Zeit fast schmerzlich vermisst worden. Die Vernissage zur Ausstellungseröffnung und zur Vorstellung des als wunderbarer Bildband gestalteten Ausstellungskataloges „Mein Leben - so anders“, einem Gemeinschaftsprojekt des Hofheimers Erhard Scherfer, einem langjährigen ehrenamtlichen Mitarbeiter im Haus Sankt Martin, und des Einrichtungsleiters Klaus Störch, war für alle ein wunderbarer Anlass wieder zusammenzutreffen.

„Die Facheinrichtung arbeitet seit ihrer Gründung vor 20 Jahren sozialraumorientiert, Kunst und die Kultur stellen hier ein wichtiges Instrument zur Integration von Menschen in sozialen Schwierigkeiten dar“, führte Gunnemann in seinen Eröffnungsworten aus, „kulturelle Teilhabe ist ein Menschenrecht. Kunst und Kultur schaffen Begegnung und Dialog.“ Dass im Haus Sankt Martin zu Beginn seines Jubiläumsjahres sogar eine Form für eine Veranstaltung gefunden wurde, die nicht nur – wie sonst ja oft - Raum für „feierliche Rückblicke und Festschriften“ seitens offizieller Gratulanten lässt, sondern in der auch Menschen, die im Laufe der Jahre Besucher dort waren, eingebunden werden konnten, freut den Caritasvorstand sehr. „Wir wollen mit dieser Ausstellung und mit diesem Katalog, dass die Menschen, die zu uns kommen, zu Wort kommen und ganz subjektiv von sich aus ihrer Perspektive erzählen. ‚Der Mensch steht im Mittelpunkt‘ ist ein Caritas-Leitmotiv, welches auch in Zukunft für unsere Arbeit maßgeblich sein wird.“

Dass der Ausstellungskatalog als wirklich sehr gelungener Bildband hergestellt werden konnte, ist nicht nur den Sponsoren Main-Taunus-Kreis, Naspa-Stiftung, Stadt Hattersheim und Lions-Club Hattersheim-Kriftel zu verdanken, sondern auch dem Engagement des Kelkheimer Verlegers Paul Pfeffer (Edition Pauer) und der Hofheimer Fotografin Antje Kern.

Mit dem berühmten Brecht-Zitat „Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ fasste Paul Pfeffer seine Motivation zusammen, warum er „keine Sekunde gezögert“ hatte, „der Idee, Menschen am Rande der Gesellschaft eine Stimme und ein Gesicht zu geben“. Dass er als Verleger auf das schön gestaltete Ergebnis auch sehr stolz ist, glaubte man ihm sofort.

Fotografin Antje Kern zitierte in ihrer Laudatio für Erhard Scherfer und Klaus Störch den Filmregisseur Robert Bresson, der seinen Künstlerkollegen und Freunden mit auf den Lebensweg gab: “Mach sichtbar, was vielleicht ohne Dich nie wahrgenommen worden wäre.“ Sie hob hervor, dass der ungewöhnlichen Tatsache, dass es als Ausstellungskatalog zu „Mein Leben – so anders“ ein richtiges, „gebundenes Buch - mit echtem Papier, also einen Gegenstand, den man heute eher als 'Auslaufmodell' bezeichnen könnte“, gibt, die beiden großen Gemeinsamkeiten von Scherfer und Störch zugrunde liegen: die Passionen beider für die Fotografie und für die Literatur führten zur Entstehung dieses „Kunst-Werks in Buchform“. Für Ausstellung und „Katalog“ wurden 16 wohnungslose, ehemals wohnungslose und armutsbetroffene Männer und vier Frauen, sich aus einer anderen Perspektive zeigend an jeweils selbst gewählten Orten portraitiert und zu persönlichen Themen interviewt. „Auf diese Weise unterstützten sich die Gemeinsamkeiten der Autoren - Fotografie und Literatur - und wurden zur Grundlage dieses Fotobandes“, erklärte Antje Kern, „So kann sich den Betrachtenden ein neuer, ungewöhnlicher Zugang zum Thema Armut und Wohnungslosigkeit erschließen.“ Dass die Umsetzung des erklärten Ziels von Scherfer und Störch, Öffentlichkeit herzustellen, über die Probleme wohnungsloser Frauen und Männer aufzuklären und für Verständnis und Empathie zu werden, so gut gelingen konnte, war allerdings nur möglich, weil sich die Porträtierten bereit erklärten, dieses Vorhaben zu unterstützen. „Sie sind alle Mitwirkende und Hauptdarsteller dieses Kunst-Werks“, stellte Antje Kern mit großer Anerkennung fest, „es erfordert einigen Mut die persönliche Lebenssituation öffentlich und sichtbar zu machen.“ Durch die kurzen Interviews im Bildband lernen die LeserInnen eine „komprimierte Lebensgeschichte, eine Art Essenz, die Interesse weckt“ der auf schwarz-weißen Portraits mit den harten Kontrast milderndem, Wärme bringenden, Sepia-Filter abgebildeten Menschen kennen. Nach Antje Kerns Ansicht ist „zurzeit ein Zerfall der Gesellschaft in deutlich unterschiedliche Milieus und Lebenswelten erkennbar, entsprechende Stigmatisierungen sind keine Seltenheit.“ Die verschiedenen Lebenswelten seien voneinander separiert und hätten den Zugang zueinander verloren. „Dieser unnatürlichen Form der Isolation entgegenzuwirken ist – meiner Meinung nach – eine Aufgabe unserer Gesellschaft“, findet die Fotografin, „Miteinander ins Gespräch kommen, einander sehen und wahrnehmen, ohne Vor-Urteile sind Not-Wendigkeiten dieser Zeit.“ So sei der präsentierte Fotografie-Band „brandaktuell“, er rege an, miteinander in Kontakt zu kommen und offen zu sein für andere Lebenswirklichkeiten.

Auf den Porträts, welche die Abgebildeten mit aufmerksamem Gesichtsausdruck und in direktem Augenkontakt zum Betrachtenden zeigen, sieht Fotografin Antje Kern nicht nur eine stimmige Verbindung zum Text, sondern auch „ein wunderbares Zusammenspiel von Model und Fotograf, in denen beiderseitige Wertschätzung und Atmosphäre wahrzunehmen ist.“ „Echt… ehrlich… unverblümt… in dieser Zusammenarbeit wird für mich die Haltung, die ich im Haus Sankt Martin am Autoberg immer wieder erlebe, sichtbar.“ Mit noch einer Anspielung auf ihr Bresson-Zitat ergänzt sie: „Und ich freue mich über alles, was heute hier ‚sichtbar‘ gemacht wird.“

Dass der Plan, Leute aus „verschiedenen Lebenswelten“ miteinander in Kontakt zu bringen, auch mit der „Mein Leben - so anders“-Ausstellung in der Caritas-Einrichtung Haus Sankt Martin wieder sehr gut aufging, wurde an den vielen, teils sehr intensiven Gesprächen deutlich, die an diesem Nachmittag noch unter den Porträtfotografien mit dem Fotografen und den darauf zu sehenden Menschen stattfinden konnten. Das Interesse der Ausstellungsbesucher wurde mit offenen Worten belohnt, die Porträtierten konnten es genießen, im Mittelpunkt zu stehen und Wertschätzung zu erfahren. Gegen eine Spende wechselten viele Exemplare des tollen Buches zur Ausstellung in neue Hände. Die Veranstaltung war mit musikalischer Untermalung durch Chris Savage sowie mit kleinem Sektempfang, Kaffee und Kuchen rundum gelungen, alle konnten sich dort wohlfühlen und gemeinsam eine schöne Zeit verbringen.

Informationen zur Dauer und zu den Öffnungszeiten der Ausstellung finden Sie unter www.caritas-main-taunus.de.

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