Grüne Träume, grüne Ziele

24. Politischer Aschermittwoch der Grünen im Posthofkeller mit Kordula Schulz-Asche und Omid Nouripour

Der Bundesvorsitzende Omid Nouripour schilderte unter anderem von Erlebnissen während eines Besuchs in der Ukraine zwei Wochen zuvor.

Dicht gedrängt saß (und stand) das erwartungsfrohe Publikum am diesjährigen Aschermittwoch, 22. Februar, im Hattersheimer Posthofkeller, um nach langen drei Jahren endlich wieder die Traditionsveranstaltung der hiesigen Grünen miterleben zu können. Moderator Jörg Jurascheck griff auch genau eben jene drei Jahre auf, die kaum ereignisreicher hätten sein können, um im Laufe des Abends immer wieder markante Eckdaten seit Februar 2020 in Erinnerung zu rufen und mit einem passenden Kommentar zu versehen, von der einer Geisterstadt ähnelnden Frankfurter Zeil während des ersten Lockdowns bis hin zum quer im Suez Kanal liegenden Containerschiff "Ever Given", das zusätzlich zur Corona-Pandemie aller Welt noch einmal eindringlich vor Augen führte, welche Abhängigkeiten bezüglich Handel und Versorgung mittlerweile global herrschen, und wie fragil dieses Gebilde zuweilen sein kann. Und natürlich stand dieser Abend auch im Zeichen des russischen Überfalls auf die Ukraine, der sich zwei Tage später zum ersten Mal jähren sollte.

Über den ganzen Abend verteilt betraten mehrere namhafte grüne Polit-Größen die Bühne im gemütlichen Posthofkeller, zwischendurch aufgelockert durch ein leckeres Buffet und den Auftritt eines "Special Guests": "Königin Beatrix" - nicht ganz zufällig in Anlehnung an den berühmten Coup des verkleideten Hape Kerkeling vor dem Schloss Bellevue 1991 - hatte amüsante Anekdoten im Gepäck und riss mit ihrem sympathischen Auftritt das Publikum mit. Gekrönt wurde der adelige Auftritt schließlich mit einer umgetexteten Version von Rio Reisers "König von Deutschland", an der Gitarre begleitet von Chris Savage. Extra verteilte Textbögen ließen die Gäste zum begleitenden Chor werden.

Doch natürlich steht fast schon zwangsläufig die Politik im Mittelpunkt, wenn eine Partei zu einer derartigen Veranstaltung einlädt. So wagte sich zunächst die Vorsitzende des Kreisvorstands von Bündnis 90/Die Grünen, Bianca Strauss, ins Rampenlicht und beschrieb eindringlich, wovon die Grünen so träumen: Von einer Welt, in der Haferdrinks und vegane Wurst tatsächlich lecker sind, in der es genug Pflegekräfte für alte Menschen gibt, in der Faschisten nicht in Parlamenten sitzen und in der auch der Main-Taunus-Kreis schließlich einmal klimaneutral sein wird. Als Grüne träume man "in Generationen und in Jahrzehnten" - und die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich das lohnen kann: Als die Grünen gegründet wurden, war der Atomausstieg auch noch ein Traum.

Chancen einer vernünftigen Einwanderungspolitik

Die grüne Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche, in Berlin unter anderem Mitglied im Gesundheitsausschuss und im Unterausschuss für Globale Gesundheit, berichtete von einem sehr ernsten Thema: Was der demographische Wandel und der Fachkräftemangel für die Pflege bedeuten. Und diese Problematik droht sich zeitnah immens zu verschärfen: Bereits ein Drittel der heute beschäftigten Pflegefachkräfte ist Schulz-Asche zufolge 50 Jahre und älter: "Das heißt: Die werden in den nächsten 15 Jahren aussteigen." Die Bundestagsabgeordnete ist überzeugt davon, dass dieses Problem ohne eine vernünftige Einwanderungspolitik nicht gelöst werden kann.

Mathias Wagner, der Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecher der Grünen im Hessischen Landtag, war einerseits bereits deutlich erkennbar im Wahlkampfmodus unterwegs (am 8. Oktober finden in Hessen die Landtagswahlen statt), vergaß aber auch nicht den post-karnevalistischen Hintergrund der Veranstaltung und ließ bei seinem Auftritt auch das Amusement nicht zu kurz kommen. Mit erfrischender Selbstironie nahm er zuweilen auch seine eigene Partei auf die Schippe, und als es um Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ging zeigte Wagner sogar ein erstaunliches Talent zur Imitation. Und obwohl es bei einem Politischen Aschermittwoch auch bei den Grünen mal zu Hohn, Spott und Sarkasmus kommt, hatten diese jedoch stets Ziele auf Augenhöhe oder darüber im Visier. Eine Tugend, die in der politischen Kultur leider keine Selbstverständlichkeit ist.

Solidarität mit der Ukraine

Diese Tugend beherzigte auch Omid Nouripour, der durchblicken ließ, dass die Arbeit in der Berliner Regierungskoalition alles andere als einfach und nicht immer leicht verdaulich ist. Auch Nouripour schwor seine Partei auf bevorstehende Wahlkämpfe ein, denen er aus grüner Sicht außerordentlich optimistisch entgegenblickt.

Bedrückend waren seine Schilderungen aus der Ukraine, die er zwei Wochen zuvor besucht hatte. Besonders inspirierend waren für ihn dort acht Ehrenamtliche, die sich dafür engagieren, die 65.000 freiwilligen Frauen in Reihen der ukrainischen Streitkräfte mit allem Nötigen zu versorgen, von Hygieneartikeln bis hin zu passenden Uniformen. "Und wenn sie zehn Pakete rausschicken, kommen mittlerweile fünf zurück, weil die Frauen nicht mehr am Leben sind", machte Nouripour den tragischen Ernst der Lage deutlich. Und er zitierte Wladimir Klitschko, den er ebenfalls vor Ort getroffen hat und der zu Beginn des Krieges häufig gefragt wurde, ob er bereit sei für sein Land zu sterben: "Ich bin nicht bereit, für mein Land zu sterben. Ich bin bereit für mein Land zu leben. Und das ist der Unterschied zwischen der Diktatur und der Demokratie." Diese Überzeugung, diese Entschlossenheit erachtet Nouripour als weiteren Grund, warum Deutschland der Ukraine beistehen sollte - "und wir uns nicht von Putin oder 'Zarenknecht' davon abhalten lassen."

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