Warum wird heutzutage eigentlich nicht mehr so viel und gerne Vorgelesen? Mit dieser und vielen weiteren Fragen beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines ganz besonderen und neuen Angebotes des Familienzentrums Kriftel. Der Titel: „Spannend Geschichten erzählen“. Angesprochen werden sollten speziell Eltern und Großeltern. Ort des Geschehens war die Gemeindebücherei am Platz von Airaines.
Konzipiert hatten den Workshop die Profis Eva-Maria Momma und Ursula Hankel, beide ehemalige Grundschullehrerinnen in Kriftel. Momma leitet die Gemeindebücherei und bietet viele Leseerlebnisse für Kinder verschiedenen Alters an. Beide sind überzeugt: „Vorlesen beflügelt die Phantasie, es vermittelt Wissen, stärkt das logische Denkvermögen, fördert den Wortschatz und trainiert die Konzentration. Egal in welcher Sprache dem Kind vorgelesen wird, am besten schon ab dem Babyalter – es wirkt Wunder!“ Doch leider sei es trotz dieser vielen positiven Wirkungen nicht mehr so verbreitet, wie es einmal war. „Das Buch erreicht Stellen, da kommt der Fernseher gar nicht hin“, sagt Eva Momma und lacht.
Herunterleiern macht keinen Spaß
Die Zusammensetzung der Gruppe war, wie sie berichtet, „hochinteressant“: Großeltern wollten Tipps für ein besseres Vorlesen und geeignete Bücher erhalten, andere Interessierte arbeiten in pädagogischen Einrichtungen und lesen auch dort vor. „Ein Teilnehmer berichtete, er sei jetzt in Rente und würde gerne künftig in Kitas vorlesen“, so Momma. Hanna Dunkel, die selbst Autorin ist und für das Kulturforum regelmäßig Lesungen organisiert, war mit dabei, weil sie zwar schon „viel mit Menschen und Büchern zu tun“ hat, aber daran denkt, in Zukunft Seniorinnen und Senioren vorzulesen.
Nach einer ersten Gesprächsrunde ging es gleich mit Praxis los: Eva Momma und Ursula Hankel lasen abwechselnd aus dem Kinderbuch „Gemeinsam Lesen macht Spaß“ vor. Einmal hörte sich das sehr heruntergeleiert an, einmal in bester, betonter Vorlesemanier. Hier wurden die Unterschiede überdeutlich und die Zuhörenden können am eigenen Ohr erfahren, wie sie sich dabei fühlen und was allein die Betonung für Unterschiede macht.
Aktives Vorlesen ist das Erfolgsrezept
„Wir konnten im Gespräch gut erarbeiten, was wichtig ist, damit beide Seiten Spaß haben“, so Eva Momma. Das „aktive Vorlesen“ sei dabei das Erfolgsrezept: langsames, kindgerechtes Vorlesen, das Einbauen von Pausen. „Wichtig ist es, zwischendurch den Kindern die Bilder zu zeigen, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, sie miteinzubeziehen“, so die Kursleiterinnen. So sei es sinnvoll, zwischendurch dem Kind Fragen zum Gelesenen zu stellen, zum Beispiel, was ihm aufgefallen ist, wie sich wohl die Protagonisten der Geschichte jetzt fühlen und ähnliches.
Auf Büchertischen lagen besonders empfehlenswerte Bücher bereit: für Klein- und Kindergartenkinder und für Kinder im Grundschulalter. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich Bücher ansehen und eines aussuchen, in einer gemütlichen Leseecke einen Abschnitt einüben und dann allen vortragen. „Das war toll, alle haben das Gelernte direkt angewendet und zuzuhören war für alle Beteiligten ein Genuss“, schwärmt Eva Momma.
Kleine Kinder brauchen Kuschelnähe
„Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig das Vorlesen für die kindliche Entwicklung und auch die Kommunikation zwischen Kind und Eltern- oder Großelternteil ist“, sagen die Grundschullehrerinnen. Beide haben an der Krifteler Lindenschule das Lesekonzept geschrieben und die Schulbücherei aufgebaut. So könne man beim Vorlesen und Zuhören gemeinsam entspannen, Abenteuer im Kopf erleben oder auch über schwierige Themen unbefangen ins Gespräch kommen.
Wichtig sei eine gemütliche Atmosphäre, damit sich die Kinder geborgen fühlen. Abends vor dem Zubettgehen sei ein guter Zeitpunkt. Ob Bett, Sofa, in einer Deckenhöhle mit Taschenlampe oder im Garten – es gibt viele schöne Orte, die das Vorlesen zu einem Abenteuer oder zu einem gemütlichen Abschluss des Tages machen. „Wichtig ist vor allem für die kleinen Kinder der Körperkontakt“, erläuterten die Fachfrauen. „Sie brauchen diese Kuschelnähe. Diese sollte man auch zulassen.“
Vorlesen in die digitale Welt überführen
Die digitale Welt sei es, die viele Eltern als Grund vorschieben, dass das Vorlesen nicht mehr gefragt sei, weiß Eva Momma: „Es ist aber möglich, das Vorlesen mit der digitalen Welt zu verbinden“, betont sie. Mittels einer Boardstory-App könne man sich das Bilderbuch in bewegten Bildern anzeigen lassen, den Ton ausschalten und dazu selbst vorlesen. Das mache es für die schon im Kleinkindalter an digitale Angebote gewöhnten Kids spannender. „Man holt sie in der digitalen Welt ab, fährt aber mit ihnen mittels des Vorlesens ins ruhige Fahrwasser zurück“, sagen die Kursleiterinnen. Den Zugang zu der App haben einige Schulen, aber auch mit einem Leseausweis der Gemeindebücherei kann man auf ausgesuchte Boardstories zugreifen.
Infos gibt es bei der Gemeindebücherei Kriftel unter Telefon 06192/41777.