Was ältere Leute erzählen

„Aufgelesen“ von Dieter Press

Geschichtliches

über die Gemeinde Bischem

Nach der Reichstagswahl am 5.

März 1933, die die Nationalsozialisten gewannen, wehten auch – wie in der vorigen Ausgabe des Lokal-Anzeigers zu lesen war – wenige Tage später in Bischofsheim die Hakenkreuzfahnen auf dem Rathaus, der Schule, der Post, dem Bahnhofsgebäude und der Gewerbeschule. Unter Polizeiaufsicht mussten Funktionäre der KPD und SPD von vielen Toren, Häuserfronten und an der Dreschhalle ihre aus der Wahlzeit stammenden Plakate und Wahlaufrufe ablösen und abwaschen.


Nazis vor jüdischen Geschäften

Mit den Worten: „Habt Ihr schon so etwas gesehen?“, kam am 1. April 1933 ein hiesiger Landwirt in die alte Dorfschmiede gerannt, wo sich, wie jeden Abend, einige Bischemer Bauern zu Gesprächen trafen. „Wenn man beim Berthold Kahn oder in sonst einem jüdischen Laden etwas kaufen will, da wird man fotografiert!“ Vor diesen Geschäften hatten sich nämlich Nationalsozialisten mit Fotoapparaten postiert, um als Abschreckungsmittel Bilder von Käufern zu machen, denn die Parole: „Kauft nur in deutschen Geschäften!“ wurde nicht von allen befolgt, weil man in jüdischen Geschäften damals gut und preiswert kaufen konnte.


1. Mai wurde Feiertag

Ja, es muss schon eine sehr bewegte Zeit gewesen sein, die nach der Reichstagswahl 1933 nicht nur über Deutschland, sondern auch über Bischofsheim hereinbrach. Die Nationalsozialisten hatten vollständig die Macht übernommen. Schon am 1. April wurden in Hessen sämtliche SPD-Bürgermeister ihrer Ämter enthoben. In unserem Nachbarort Ginsheim trat an die Stelle von Ortsvorsteher Laun der Ginsheimer Friedrich Eitel. In diesen aufregenden Tagen gab’s plötzlich auch eine erfreuliche Nachricht in unserem Gebiet: Die Autosteuer für neue Automobile wurde gänzlich abgeschafft, was zur Folge hatte, dass die Firma Opel 2000 neue Arbeitskräfte einstellen konnte, da die Nachfrage nach Autos enorm wuchs. Und dann rückte der 1. Mai heran. Dieser Tag wurde zum bezahlten Feiertag erklärt, und als er da war, prangte Bischofsheim in einem nie gesehenen Flaggenschmuck. Mehrere Wagen Tannengrün trafen am Bahnhof ein und wurden zur Ausschmückung an die Bevölkerung verteilt. Und dann bewegte sich ein Festzug durch die Bischemer Ortsstraßen, an dem alle Berufsgruppen teilnehmen mussten. Jedem Arbeiter und jedem Angestellten wurde zur Pflicht gemacht, mitzumarschieren, denn der arbeitsfreie Tag wurde ja bezahlt. „Wer nicht kommt, gilt als Saboteur und bekommt kein Geld“, so lautete die Parole. Und so geschah es, dass tatsächlich ganz Bischem auf den Beinen war. Am Abend des 1. Mai war kostenloser Tanz in den drei damaligen Sälen, die total überfüllt waren. Auch die Musikanten hatten zu spielen, ohne eine Bezahlung zu erhalten. Und sie spielten, denn auch sie wollten nicht als Saboteure gelten.


Vereine „gleichgeschaltet“

„Kurbelt die Wirtschaft an!“, lautete nach dem 1. Mai 1933 eine neue Parole – auch in Bischofsheim. „Kauft etwas, irgendwas, irgendwo. Lasst Eure Küche streichen, lasst Euer Dach reparieren, gebt ein Telegramm auf, lasst Euch die Haare schneiden, aber tut etwas, denn die Erwerbslosen müssen von der Straße!“ Dann gab’s eine Veränderung bei den Ortsvereinen: Sie wurden „gleichgeschaltet“, wie es hieß. Die Vereinsvorsitzenden nannte man nunmehr „Vereinsführer“, die eine große Verfügungsgewalt im Verein hatten. Die entschwundene Demokratie machte sich bis in den kleinsten Verein hinein bemerkbar. Am 11. Mai 1933 wurde das gesamte Vermögen der SPD beschlagnahmt. Bei einer Hausdurchsuchung am gleichen Tag bei mehreren Parteimitgliedern konnte auch das „Eiserne Buch“, das sich mit dem Ersten Weltkrieg befasste, aufgefunden werden.


Krankenwagen weggeholt

Große Aufregung gab’s in ganz Bischofsheim, als bekannt wurde, dass auch der noch gänzlich neue und sehr wertvolle Krankenwagen der Arbeiter-Samariter-Kolonne durch Mainzer SS-Leute ganz einfach abtransportiert wurde. Jegliche Beschwerde an höherer Stelle war vergebens; man war einfach machtlos gegen solche Übergriffe. Machtlos war auch der Bischemer Gesangverein Eintracht, als am 11. Juni 1933 dessen gesamtes Barvermögen sowie ein wertvoller Flügel, mehrere Schränke mit ehemals errungenen Preisen von Gesangswettstreiten und beträchtliches Notenmaterial durch die Polizei beschlagnahmt wurden. Den gleichen Weg ging auch das Vereinsvermögen des Bischofsheimer Arbeiter-Turn- und Sportvereins. Dass sich dadurch Verbitterung in den betroffenen Kreisen breit machte, war verständlich. Verständlich war auch, dass da eines Tages viele Einwohner „hetzerische Flugblätter“, wie sie genannt wurden, in ihren Höfen vorfanden. Die Verteiler wurden von den Nazis damals nicht ermittelt. Zu ihrem Glück, denn das Konzentrationslager in Osthofen wäre gewiss für längere Zeit ihr Aufenthaltsort geworden.  (Wird fortgesetzt!)

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