Doch Reinhard Bersch hat sein Schicksal selbst gewählt, als er vor rund einem Jahr den Entschluss fasste, sich bei der Bürgermeisterwahl in Bischofsheim vergangenen März nicht um eine dritte Amtszeit zu bemühen.
Nicht nur den Arbeitslatz im Rathaus hat Bersch damit freiwillig mit 60 Jahren aufgegeben, sondern eine ganze Reihe weiterer Aufgaben, die ihn in den zwölf Jahren seiner Amtszeit vor Langeweile bewahrten. Teilweise kraft Amtes, teilweise gewählt war Bersch nicht nur Bürgermeister, sondern auch als Stellvertretender Verbandsvorsitzender des ASM, bei der Gesellschafterversammlung der Riedwerke, in der Fluglärmkommission, im Aufsichtsrat der Regionalpark GmbH, im Regionalverbund Frankfurt/Rhein-Main, der Gesellschafterversammlung der Kulturregion Frankfurt/ Rhein-Main und im Beirat der Kreisvolkshochschule Vertreter der Gemeinde.
„Viele dieser Ämter hängen an der Amtsperson und fallen daher automatisch mit dem Ausscheiden weg“, erläutert Bersch, der die unzähligen Sitzungen der Beiräte und Kommissionen natürlich teilweise in der Rathaus-Dienstzeit absolvierte. Die Gremien der Gemeinde werden die übrigen Posten nach und nach an „aktuelle“ politische Vertreter übergeben, Berschs Nachfolgerin Ulrike Steinbach dürfte bald schon auf eine ähnliche Liste an Nebenaufgaben kommen.
Nur die Leitungsrolle im Ortsgericht wird Bersch behalten, wenn er die volle Amtszeit ausfüllt, für die er gewählt wurde, sogar noch einige Jahre lang. Ansonsten werden dem Ruheständler Reinhard Bersch die vielen beruflichen Ämter kein bisschen fehlen.
Er wird mit Sicherheit nicht das Schicksal vieler „Macher“-Typen teilen, die mit der neuen Situation, nach Jahren im Mittelpunkt der Öffentlichkeit plötzlich nicht mehr ganz so im Vordergrund zu stehen, nicht klar kommen und echte persönliche Krisen durchleben. Das Leben geht für Reinhard Bersch nun ein paar Takte ruhiger weiter, wird aber durchaus mit täglichen Aufgaben angefüllt sein, für die es sich lohnt aufzustehen.
„Ich bin schließlich Mitglied in acht Vereinen“, betont Bersch. Und besonders sein Vorstandsamt bei der Stiftung „Evangelische Kirche für Sie“ will er künftig intensiver ausfüllen. Die Mittel, die aus der Stiftung in der Gemeindearbeit fließen, lohnen den Aufwand allemal, betont er. „Besonders die Jugendarbeit oder auch die Lohnkosten für die Sekretärin wären aus dem normalen Haushalt der Kirchengemeinde nicht mehr zu finanzieren“, erläutert Bersch.
Mehr Fahrrad fahren, mehr Sport treiben, vielleicht auch gezielt das Sportabzeichen anstreben, das sind klassische Freizeitpläne eines Ruheständlers, die auch Bersch teilt. „Und ich habe alleine bei meiner Verabschiedungsfeier 15 Bücher geschenkt bekommen, die gelesen werden wollen.“
Seinen anteiligen Jahresurlaub des ersten Halbjahres hat Bersch verfallen lassen, so viel Großzügigkeit musste sein. Auch wenn seine Frau Manuela weiterhin berufstätig ist, wird in den Urlaub fahren in Zukunft schließlich deutlich einfacher als zu den Zeiten, zu denen man sich an den Pflichtterminen als Rathauschef orientieren musste. Allerdings bleibt es zumindest vorerst dabei, dass die Bischofsheimer Festivitäten einen Rahmen vorgeben.
„Vor der Kerb werden wir für drei Wochen in die USA fliegen“, sagt Bersch – eine schon lange vorbereitete Reise zu Freunden, die in den Grand Canyon führt. Pünktlich zur Kerb werden die Berschs freilich ihrer Bischemer Bürgerpflicht nachkommen und sich in das Getümmel stürzen.
Die Reiseziele, die Reinhard Bersch ansonsten im Kopf hat, führen keineswegs über den großen Teich oder über andere weit entfernte Routen. „Wir werden verschiedene weiße Flecken in Deutschland und der näheren Umgebung aufsuchen“, plant der Ex-Bürgermeister. Die Nord- und Ostseeinseln gehören dazu, die Lüneburger Heide, das Ruhrgebiet mit seinen Attraktionen wie dem Essener Industriedenkmal Zeche Zollverein oder dem Bergbaumuseum in Bochum. Auch an Elbe und Weser entlang soll es mal gehen. Alles nach und nach, versteht sich.
Dass die Berschs einmal völlig flügge werden und Bischofsheim verlassen, wie es bei den Vorgängern der Fall war, ist kein Thema. „Wir ziehen hier nicht weg, wir kommen mal ins Museum“, glaubt Reinhard Bersch. Denn schließlich sind er wie seine Frau in der Gemeinde geboren und haben immer hier gelebt – eine absolute Rarität, die Bestandsschutz benötigt.
Seine Familie hat zu Berschs 60. Geburtstag im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass der Bastlergeist in der Taunusstraße nicht zu kurz kommt. Der rote Traktor, den sie ihm schenkte und im Hof seither an die landwirtschaftlichen Wurzeln des Elternhauses Bersch erinnert, will bald ausgefahren werden. „Funktionstüchtig ist er, aber er muss noch TÜV-fertig gemacht werden“, berichtet Bersch vom Stand der Dinge.
Dass er mit dem Auszug aus dem Rathaus die politischen Ränkespiele hinter sich lassen darf, gehört sicher zu den erfreulicheren Aspekten des Daseins als Ruhständler. Dennoch schließt Bersch eine unterstützende Tätigkeit für andere Personen, die in der Gemeinde politisch etwas bewegen wollen, für die Zukunft nicht aus. „Das ist für mich kein Tabu, wenn jemand meint, ich könnte ihm helfen.“
Nicht aufgeben wird er allerdings sein Prinzip, einen parteilosen Akteur in der örtlichen Politik nicht nur im Zweifelsfall als die bessere Wahl zu betrachten. „Das ist meine Überzeugung, seit ich angefangen habe über Kommunalpolitik nachzudenken“, betont Bersch.
Dabei stieg Reinhard Bersch erst unmittelbar mit dem Sprung ins Rathaus aktiv in die Politik ein. Seine Meriten und den notwendigen Bekanntheitsgrad für eine erfolgreiche Bewerbung verdiente er sich auf kulturellem Gebiet. Noch bevor er sich mit der Närrischen Achse und in der Kerb intensiv ins Kulturtreiben der Gemeinde einbrachte, galten seine Aktivitäten dem Jugendring und dem Organisieren von „Tanztees“, die allerdings etwas anderen Charakter hatten, als der heute betuliche Begriff vermuten lässt.
Größen der Pop- und Rockgeschichte wie die Rattles, Supremes und die Lords traten im damaligen Saalbau in der Taunusstraße vor jeweils über 500 Besuchern auf – kaum vorstellbar heute noch, was damals alles ging in Bischofsheim. Zumal es der Organisatoren-Gruppe trotz der großen Namen auf der Bühne gelang, dies alles fast ohne Gemeinde-Zuschüsse finanziell selbsttragend zu gestalten. „Wir bekamen lediglich ungefähr 1000 Mark Startkapital, um die notwendigen Vorauszahlungen leisten zu können“, erinnert sich Bersch.
Das war ab 1967, mit 17 Jahren, der Einstieg Berschs in sein gesellschaftliches Engagement für die Gemeinde. „Solche Aktivitäten sind in Bischofsheim derzeit etwas unterbelichtet“, bedauert er, dass es kein vergleichbares Engagement junger Leute mehr gibt.
Nur der Narrenkäfig, der vor elf Jahren mit 20 jungen Leuten startete und aus eigener Kraft zu dem entwickelte, was er heute in Bischofsheim repräsentiert, hat in seinen Augen in der jüngeren Vergangenheit nach demselben Prinzip erfolgreich etwas für die Belebung des kulturellen Angebots geleistet. Weniger speziell auf die Jugend ausgerichtet, aber doch auch imposant erfolgreich findet Bersch die Entwicklung der Vereine Sound of Musicals, beim Handharmonika-Spielring und bei den Modellbauern des ESV. Es gibt sie also durchaus, die engagierten Menschen in Bischofsheim.
Seine Nachfolgerin im Rathaus muss Bersch nicht dafür bedauern, dass sie den von ihr angestrebten Job nun übernehmen durfte. Leichter als er wird sie es wegen der finanziellen Lage der Gemeinde allerdings mit Sicherheit nicht haben, ist sich Bersch sicher. „Über die neuen Baugebiete könnte es gelingen, die Bewohneranzahl Bischofsheims wenigstens zum Stagnieren zu bringen“, fürchtet er einen Schwund an Einwohnern, der auch die Konsolidierung deutlich erschweren würde.
Für das potenzielle Gewebegebiet „Tagweide“ gebe es zwar, vor allem von der Firma Frankenbach, eine Nachfrage. „All dies wird aber nicht die Antwort auf die fehlende Finanzausstattung durch Bund und Land sein“, betont der Bürgermeister a.D. Die verbleibenden 1,9 Millionen Euro Gewerbesteuer machen sich auch deshalb so mickrig aus, weil einige der einst zahlenden Betriebe in Bischofsheim in den vergangenen Jahren ihre Eigenständigkeit verloren – die Gewerbesteuer fließt dort, wo die Hauptstandorte der Unternehmen sind.
Bersch kann sich trotz der aktuell wirtschaftlich guten Zeiten nicht vorstellen, „dass es in ein oder zwei Jahren grundlegende Verbesserungen gibt“. Immerhin habe Bischofsheim zuletzt nur in engen Grenzen Dinge angestoßen, die eigentlich nicht finanzierbar sind. Die noch unter ihm geplanten Investitionen in das Bürgerhaus und die Ratsstube, für die es Verlegungspläne gibt, verteidigt er. „Das sind notwendige Ausgaben, um die Funktion aufrecht zu erhalten.“
Seine Idealvorstellung für das Gelände der inzwischen abgerissenen, ehemaligen Theodor-Heuss-Schule wäre ein Nahversorgungsgeschäft auf dem Areal. In der oberen Etage könnte der Neubau einen Bürgersaal und eine Gaststätte bieten, „das könnte durch die Nachbarschaft zum Friedrich-Ebert-Platz ein wunderbares Ambiente ergeben“. Einen möglichen Investor für das Gelände konnte Bersch übrigens seiner Nachfolgerin benennen, sodass er eine realistische Chance sieht, dass die Brache an der Schulstraße bald nutzbringend neu bebaut werden kann.
In den jüngsten Jahren seiner Amtszeit fiel der offene Konflikt zwischen Bersch und großen Teilen der Gemeindevertretung um die Zukunft des Projektes „Soziale Stadt“ auf. Ausgerechnet die BFW, 2006 mit dem erklärten Ziel zur Wahl angetreten, den parteilosen Bersch parlamentarisch zu unterstützen, schoss scharf gegen das Bund-Länder-Programm, wie es die Frankfurter „Nassauische Heimstätte“ für das Gebiet Am Alten Gerauer Weg seit 2005 durchführt. „Ich war immer für die Soziale Stadt, weil dabei mit Unterstützung vieles möglich wird“, begründet er sein Festhalten an den Ausgaben, die teilweise nur 28 Prozent der Kosten eines Projekts ausmachten.
Das Scheitern der Umgestaltungspläne für die Darmstädter Straße bedauert Bersch im Rückblick weiterhin. „Auch da wäre nur ein Drittel Eigenleistung angefallen“, sagt er. Eine knappe Million Euro Fördermittel ließ die Gemeinde damals durch den Parlamentsbeschluss, die Pläne zu beerdigen, verfallen. „Unsere 400.000 Euro Beteiligung wären kein rausgeschmissenes Geld gewesen, wir hätten eine grundhaft erneuerte Straße bekommen“, betont Bersch. Und die Umgestaltung der Dammköpfe wäre auch noch drin gewesen. So ist das Thema Darmstädter Straße „eine offene Position, die mir sehr weh tut“, gibt Bersch zu.
Seinen größten eigenen Verdienst der jüngsten Jahre sieht er in dem Projekt der Erweiterung der Turnhalle des TV 1883. Denn der Verein hatte sich schon darauf eingestellt, seine Parkfläche im Turnerhof für den benötigten Neubau zu opfern. Das heute bebaute Rasengrundstück westlich der alten Turnhalle gehörte nämlich nicht dem Verein, sondern den Mainzer Stadtwerken. Mit Hartnäckigkeit gelang es, das Areal freizubekommen, zu einem vernünftigen Preis.
So kamen in seinen zwölf Bürgermeister-Jahren Erfolge und Misserfolge zusammen, die Bersch in der Gesamtbilanz akzeptabel findet. Und so war er mit sich im Reinen, als er Anfang des Monats das Bürgermeisterbüro zum letzten Mal verließ. „Wir machen jetzt ein Sabbat-Halbjahr, dann werden wir intensiver darüber nachdenken, was wir tun“, erklärt Bersch die Zukunftsgestaltung mit seiner Frau Manuela für noch nicht spruchreif. Aber, wie gesagt: Die Zukunft wird sich zu einem Großteil weiter in Bischofsheim abspielen, steht für beide fest.
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