In Vorbereitung auf die geplante Sonderausstellung „Vom Bappedeggel zum Kaddong – Die Geschichte der Rhein-Main-Wellpappe GmbH“, die ab 26. Oktober im Stadtmuseum in Hattersheim zu sehen ist, lud der Geschichtsverein Zeitzeugen und Geschichtsinteressierte zum Erzähltreff ins Stadtmuseum ein. Die Idee zu der Veranstaltung war es, Menschen, die in der Fabrik gearbeitet hatten, zu befragen und sie zu bitten, von ihrem Berufsalltag zu berichten. Dadurch sollten auch Fragen geklärt werden, die bei den Organisatoren während der Recherche aufgetaucht waren. Ebenso war Hilfe bei der Zuordnung der Exponate gewünscht. „Wir haben viele Dinge im Stadtarchiv recherchiert, aber zu einigem bräuchten wir noch Erklärungen. Außerdem ist es sicher schön, wenn sich Menschen wiedertreffen, die sich lange nicht gesehen haben“, erklärte Dr. Andrea Schneider, eine der stellvertretenden Vorsitzenden des Hattersheimer Geschichtsvereins, die Motivation zu der Veranstaltung. Weiter berichtete sie, dass es die erste Veranstaltung dieser Art sei und man hoffe, dass sie gut angenommen würde. Dieser Wunsch ging sofort in Erfüllung, denn schon zum Beginn um 18 Uhr waren die Stühle an den U-förmig aufgestellten Tischen mit mehr als 20 Personen besetzt.
Der Erzähltreff wurde vom 1. Vorsitzenden des Hattersheimer Geschichtsvereins, Hans Franssen, eröffnet. Er bemerkte, dass schon viele Museumsbesucher gefragt hätten „Wo ist die Wellpappe“, diese sei schließlich auch ein Teil der Hattersheimer Industriegeschichte. Da man in der Dauerausstellung zu wenig Platz habe, wolle man nun dem Thema eine Sonderausstellung widmen. Ulrike Milas-Quirin, ebenfalls stellvertretende Vorsitzende des Geschichtsvereins, ergänzte: „So richtig kennen wir die Geschichte der Fabrik nicht, deswegen sind wir dankbar, wenn Fachleute, die dort gearbeitet haben, uns Informationen geben.“ Um alle Besucher und Besucherinnen auf Stand zu bringen, gab sie einen kurzen Abriss zur Geschichte der Rhein-Main-Wellpappe GmbH. Die Fabrik wurde 1957 am Eddersheimer Weg (später Voltastraße) errichtet. In den Archiven war zu diesem Zeitpunkt von zwei Hallen die Rede. 1959 und 1962 gab es zwei Vergrößerungen, und 1967 noch eine Erweiterung, wie aus den Bauplänen hervorging. Hergestellt wurden Verpackungskartons für diverse Kunden. 1966 wurde die Firma an die Holfelder Werke AG verkauft. Erfolgreiche Jahre folgten. 1996 fand die Übernahme durch eine australische Gruppe statt. 1997 übernahm der niederländische Konzern KNP BT Packaging die Rhein-Main-Wellpappe. Aber schon 3 Monate später wurde die Schließung angekündigt, die dann unter großem Medieninteresse zügig durchgezogen wurde.
Produktion
Als kundige ehemalige Mitarbeiter der Rhein-Main-Wellpappe, die gerne über ihre damalige Arbeit berichteten, konnten Matthias Scherer, ehemaliger Schichtführer, Joachim Menzel aus dem Papierlager und Peter Nauheimer aus der Werkstatt begrüßt werden. Auch Anna-Maria Komac aus dem früheren Büro war anwesend, sowie Ingeborg Baumann, die ehemalige Chefsekretärin, die etwas später zu der Veranstaltung kam.
Zur Herstellung der Wellpappe erfuhren die Anwesenden, dass das verwendete Papier, das beispielsweise aus Brasilien, der DDR, Schweden oder Norwegen stammte per LKW angeliefert wurde. Zur Herstellung der Wellpappe wurden Papierrollen, die bis zu 2,30 Meter breit waren und zwei bis drei Tonnen wogen per Kran an die Maschinen gebracht und dort eingespannt. Die Welle wurde durch Walzen, die wie Zahnräder ineinandergriffen, erzeugt. Aber erst durch die Deckblätter wird die Wellpappe vollständig. Dazu muss die Welle mit dem Deckblatt verklebt werden. Zu Anfang wurde dieses per Hand gemacht, und zwar mit einem Kleber aus Maisstärke und Ätznatron. Von der Maisstärke seien viele Säcke verschwunden, da man damit hervorragend backen konnte. Auch die Vögel liebten die Maisstärke. Wenn aus dem Silo beim Abpacken etwas auf dem Boden fiel, fraßen sie so viel, dass sie nicht mehr fliegen konnten. Später wurde die Klebung mechanisiert. Zum Aushärten des Klebers wurden Heizplatten benutzt. „Die waren so heiß, dass man ein Spiegelei oder Würstchen darauf braten konnte“, erfuhren die aufmerksamen Zuhörer.
Zahlreiche Kunden
Viele Kunden konnten die drei Erzählenden nennen: Henkel, Ferrero, Milupa und die Bundeswehr sind nur einige. Die Sekthersteller bezogen den sogenannten Automatikkarton, dieser musste auf ein Zehntel genau gearbeitet werden und zu einhundert Prozent halten. Falls sich Kartons öffneten, mussten die Mitarbeiter der Rhein-Main-Wellpappe zur Schadensbehebung vor Ort kommen. „Da haben wir meistens ein paar Tafeln Schokolade mitgenommen“, hieß es. Die DDR war Abnehmer von Butterkartons. In diesen wurden Butterpakete von bis zu 50 Kilogramm transportiert. Die Kartons mussten also einiges aushalten. 1967 wurde eine Mustermacherei bei der Rhein-Main-Wellpappe eröffnet. Hier wurden Pläne für Kartons entworfen. Anschließend wurde ein Musterkarton dem Kunden vorgelegt. Auch die Druckerarbeiten wurden in der Wellpappe-Fabrik nach Kundenwunsch ausgeführt. Später wurde noch ein Labor für das Testen der Kartons eingerichtet.
Die Belegschaft
Menschen mit unterschiedlichen Berufen arbeiteten bei der Rhein-Main-Wellpappe, unter anderem fand man hier Schlosser, Elektriker, Drucker, Papiermacher aber auch viele Angelernte. Ausgebildet wurden Bürokräfte. Es wurde in Schichten gearbeitet, offiziell acht Stunden, aber oft auch zwölf Stunden, also rund um die Uhr. Dieses hing von der Auslastung ab, immer nach dem Motto „wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Auch Gastarbeiter, viele aus Spanien, arbeiteten in der Firma. Es ist belegt, dass 1964 ein Bauantrag für ein Wohnheim für diese Arbeiter gestellt wurde. Joachim Menzel hatte seine Frau Irene mit zur Veranstaltung gebracht. Sie erzählte über die damalige Zeit aus der Sicht der Ehefrau. Die junge Familie Menzel kam 1968 aus Mannheim nach Eddersheim in eine Betriebswohnung der Rhein-Main Wellpappe. In dem Haus lebten sechs Familien. Teilweise haben die Angehörigen Heimarbeiten für die Firma übernommen.
Das Ende
1998 wurde die Rhein-Main-Wellpappe geschlossen und alles bis auf die Grundstücke verkauft. „Nach dem Entschluss zur Schließung ging alles sehr schnell“, erinnerten sich die Erzähler. Die Abwicklung dauerte nur ein halbes Jahr. Man kann sagen, dass alles verschleudert wurde. Für kleines Geld konnte man Schränke mit Inhalt kaufen. Das eingenommene Geld floss in einen „Titanic Fond“ und wurde bei einem Fest verlebt. „Aufträge gab es damals genug“, berichteten die Erzähler, „wir sollten noch Sonntagsarbeit machen, da haben wir uns aber geweigert.“ Man kann sagen „es wurde wegen Reichtum geschlossen“, waren sich die Berichtenden einig. Aber die Abwicklung sei dank eines guten Anwalts recht positiv verlaufen. Für die damals 140 Beschäftigten gab es einen Sozialplan.
Nach dem Ausklang des offiziellen Teils des Erzähltreffs freuten sich die ehemaligen Kollegen der Rhein-Main-Wellpappe GmbH noch miteinander zu plaudern. Sie schauten sich die zahlreichen Fotos an, die der Geschichtsverein gesammelt hatte und erkannten viele Personen wieder. Weiter halfen sie Ulrike Milas-Quirin dabei, Typenschilder von Maschinen richtig zuzuordnen.
Für die Gäste beim Erzähltreff war es schön, so viel Informationen direkt aus erster Hand zu erhalten. Gespannt sind nun alle auf die Ausstellung, die am 26. Oktober beginnt. Da der erste Erzähltreff so erfolgreich verlief, kann man sich sicher noch auf viele weitere freuen, bei denen man sich über unterschiedliche Geschichtsthemen austauscht.
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