Großer Wahlkampf-Bahnhof am vergangenen Montagabend in der Hattersheimer Stadthalle: Bundesinnenministerin Nancy Faeser präsentierte sich auf der großen Bühne ihrem Wahlkreis, mit Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil im Schlepptau. Beide betonten unisono, dass sie seit vielen Jahren eine tiefe Freundschaft verbindet.
Aktuelle Umfragewerte in Hinblick auf die Bundestagswahl am 23. Februar zeigen, dass es für die beiden SPD-Minister keine Selbstverständlichkeit ist, auch künftig der Bundesregierung anzugehören. Für Nancy Faeser geht es darum, Norbert Altenkamp (CDU) das Direktmandat im Wahlkreis Main-Taunus streitig zu machen, um weiterhin sicher dem Bundestag anzugehören. Ihr Gast Hubertus Heil konnte sich seit 1998 schon sieben Mal in Folge das Direktmandat in seinem Wahlkreis Gifhorn-Peine sichern.
Grund genug, um nun im Wahlkampf zu klotzen und nicht zu kleckern und in großem Stil zum Bürgerdialog "Nancy Faeser trifft… Hubertus Heil" einzuladen. Und bereits auf dem Parkplatz vor der Stadthalle war nicht zu übersehen, dass an diesem Abend zwei Bundesminister erwartet wurden: Schon dort war die große Polizeipräsenz gut erkennbar. Entsprechend intensiv und gründlich fielen dann auch die gut organisierten Kontrollen am Eingang zur Halle aus.
In der Halle blickte man direkt auf einen - passend zum Termin - rot angestrahlten Bühnenvorhang, flankiert von Wahlplakaten, vor dem sich Nancy Faeser und Hubertus Heil, die zuvor gemeinsam dem Flörsheimer Logistik-Dienstleister Rigterink einen Besuch abgestattet hatten, dann den Fragen aus dem Publikum stellen sollten. Herzlich begrüßt wurden beide vom Hattersheimer SPD-Vorsitzenden Selim Balcioglu; die Moderation des Abends übernahm Philipp Neuhaus, der Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion.
Fragen der Verantwortung
Faeser merkte man an, dass sie sich in ihrer Heimat befand. Die Schwalbacherin war unter anderem von 2009 bis 2015 Vorsitzende der SPD Main-Taunus und 2018 die Gastrednerin beim Neujahrsempfang der Hattersheimer SPD. Entsprechend blickte sie im Publikum unter anderem auch in viele vertraute Gesichter.
Die Bundesinnenministerin gab direkt zu Beginn der Veranstaltung zu Protokoll, dass sie mit ihrem "Lieblingskollegen aus dem Kabinett" lieber erst in einem halben Jahr auf Wahlkampftour gegangen wäre, die Legislatur hätte man gerne zu Ende geführt. Dies sei aber letztendlich nicht möglich gewesen, weil die FDP in der Koalition "von Anfang an eine Oppositionsrolle" eingenommen habe. Ein unglücklicher Umstand, weil in ihren Augen eine Regierung eine Verantwortung gegenüber den Wählerinnen und Wählern und auch dem Staat hat. Deshalb sei es auch folgerichtig von Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen, sich von denjenigen zu trennen, "die nicht bereit sind diese Verantwortung zu übernehmen", so Faeser.
In den zurückliegenden drei Regierungsjahren habe man auch Verantwortung übernommen in einer besonders schwierigen Zeit. Nancy Faeser erinnerte an die 2021 noch herrschende Hochzeit von Corona, und als hier endlich das Licht am Ende des Tunnels zu sehen war, überfiel Russland im Februar 2022 die Ukraine. Dieses einschneidende Eregnis hat bis heute drastische Folgen auch für Deutschland, insbesondere in Form von hohen Lebensmittel- und Energiepreisen. Vor diesem Hintergrund hält es Faeser für eine große Leistung, dass es die Bundesregierung geschafft habe, 2022 innerhalb von nur acht Monaten ING-Terminals nicht nur zu genehmigen, sondern auch zu bauen und in Betrieb zu nehmen. "Das hätten und viele gar nicht mehr zugetraut, diese Kraft auch Investitionen in Krisenzeiten zu stemmen."
Und schließlich verwies Nancy Faeser auch noch auf die Folgen des Terroranschlags der Hamas auf Israel im Oktober 2023. Seitdem sei der Antisemitismus in Deutschland "extrem aufgeflammt", und dies bereite ihr sehr große Sorgen. Die Sozialdemokraten waren in Deutschland schon immer das "Bollwerk gegen Rechts und vor allen Dingen gegen Antisemitismus, egal von welcher Seite er kommt", und dies sei etwas, was sie antreibt weiterzumachen und wieder für den Deutschen Bundestag zu kandidieren.
"Sicherheit im Wandel schaffen"
Hubertus Heil zeigte sich an diesem Abend gut gelaunt und humorvoll, aber auch engagiert in der Sache und empathisch in Bezug auf die Bevölkerung. Bevor er das Wort ergriff betonte Nancy Faeser, dass die Schwerpunktthemen der SPD in diesem Wahlkampf insbesondere seine Themen seien: Man will sichere Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen. Man will 95 Prozent der Bevölkerung und vor allem Familien steuerlich entlasten, auch über eine Kindergelderhöhung. Und man will ein weiteres Mal den Mindestlohn erhöhen - hier konnte man eines der zentralen Wahlkampfthemen von 2021 auch in der Ampelkoalition in die Tat umsetzen: Selbiger wurde unter Hubertus Heil auf 12 Euro festgesetzt.
Heil stellte fest, dass man derzeit in wirklich stürmischen Zeiten lebe. Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit. Wie geht es angesichts dessen weiter in Deutschland? Hierfür ist der 23. Februar ein entscheidendes Datum, denn es mache sehr wohl einen großen Unterschied, wer regiert und politische Verantwortung übernimmt. Die SPD habe in schwierigen Zeiten Verantwortung übernommen. "Ich will nicht sagen, dass wir immer alles richtig gemacht haben", stellte Heil selbstkritisch fest. Aber man habe vor allen Dingen Ideen, wie es in Deutschland weitergehen soll. "Es ist wichtig, dass man in diesen Zeiten Sicherheit im Wandel schafft. Dafür sorgt, dass es Perspektive gibt und dass wir die Dinge, die für Deutschland wichtig sind, miteinander anpacken."
Hubertus Heil ist es ein besonderes Anliegen, dass äußere und soziale Sicherheit nicht gegeneinander ausgespielt werden. "Wenn Menschen in diesen stürmischen Zeiten Hoffnung haben wollen, dann brauchen sie ein Stück Sicherheit. Und zwar nicht nur bürgerliche Freiheitsrechte, sondern auch soziale Bürgerrechte."
Auf dem Arbeitsmarkt herrsche derzeit eine widersprüchliche Entwicklung. Einerseits gibt es keine Massenarbeitslosigkeit wie noch vor 20 Jahren mehr, andererseits bangen viele Menschen um ihren Job, gerade im industriellen Bereich. Deutschland habe in der Vergangenheit immer davon gelebt, dass man zwar nicht die niedrigsten Löhne hatte, jedoch mit den besten Produkten und Dienstleistungen auf den Märkten der Welt erfolgreich war. Diese Stärke sei nun aktuell besonders herausgefordert, wenn Länder wie China und die USA eine "sehr robuste Wirtschafts- und Industriepolitik machen", mit niedrigen Steuern, niedrigen Energiepreisen und einer Abschottung ihrer Märkte. Dies treffe ein exportorientiertes Land wie Deutschland besonders stark, und darauf müsse man Antworten finden, so Heil.
Deshalb müsse es eine der Hauptaufgaben in Deutschland sein, durch eine aktive Wirtschafts- und Industriepolitik auch die Arbeit von morgen hierzulande zu haben. Und dafür seien vor allen Dingen Investitionen notwendig, ist Hubertus Heil überzeugt. Und das gelte nicht nur für öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, sondern auch für privatwirtschaftliche Investitionen. Man müsse dafür sorgen, "dass sich unsere Wirtschaft erneuern kann", so Heil. Und dies sei ein Unterschied zwischen CDU und SPD: "Wir wollen keine allgemeinen Steuersenkungen für sehr wohlhabende Menschen, aber wir wollen, wenn in Deutschland investiert wird, wenn Unternehmen in neue Anlagen, Maschinen und Digitalisierung investieren, das durchaus steuerlich unterstützen." Man nenne das einen "Made in Germany-Bonus" für Investitionen in Deutschland.
Man sei gleichzeitig nicht für die Abschaffung der Schuldenbremse. "Aber das, was wir heute haben, ist ein Investitionsverhinderungsprogramm", stellte Heul mit Nachdruck fest. Man dürfe nicht am falschen Ende bei Investitionen kürzen, denn das gehe zu Lasten der zukünftigen Generation. "Wenn gleichzeitig die Brücken jetzt einstürzen und die Bahn noch weiter marode wird, dann hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln ein kaputtes Land."
Der zweite wichtige Punkt für den exportorientierten Teil der deutschen Wirtschaft seien wettbewerbsfähige Energiepreise, und deshalb war es auch wichtig, dass man nicht nur den Ausbau der erneuerbaren Energien vorangebracht habe, so der Arbeitsminister, sondern dass man der Wirtschaft und den Verbrauchern auch die EEG-Umlage von den Schultern genommen hat. Jetzt müsse man aufpassen, dass der Ausbau der Netze nicht zum Kostentreiber wird und die Netzentgelte so deckeln, dass man international wettbewerbsfähige Strompreise habe, vor allem für das produzierende Gewerbe.
Fragen aus dem Publikum
Der Bürgerdialog war mit einer Dauer von 90 Minuten recht knapp bemessen, und da den beiden Ministern viel auf dem Herzen lag, kam es auch nur zu recht wenigen Fragen aus dem Publikum. Diese drehten sich vor allem um die Themen Innere Sicherheit, gerade nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt, sowie um Personalmangel, vor allem im medizinischen Bereich.
Die Innenministerin plädierte für höhere Investitionen zugunsten der Sicherheit. Nicht ohne Stolz wies sie darauf hin, dass sie in zwei Haushaltsberatungen jeweils 1.000 neue Bundespolizisten einstellen durfte. "Ich hatte das einzige Ressort, was zusätzlich einstellen durfte." Und nur mit ausreichend Personal könne man die innere Sicherheit gewährleisten. Zudem fordert sie den gezielten Ausbau von Befugnissen für die Sicherheitsbehörden: Es könne nicht sein, dass Polizeibehörden in Deutschland ihre Daten nicht miteinander abgleichen können. Diese Befugnis war Teil des Sicherheitspakets 2, so Faeser. Damit wurde die Rechtsgrundlage für einen Datenabgleich zwischen den Polizeibehörden eigentlich geschaffen und im Deutschen Bundestag auch beschlossen - gescheitert sei dieser Schritt jedoch dann doch noch am Widerstand von CDU/CSU im Bundesrat, stellte die Innenministerin fest.
Faeser bezeichnete außerdem die Einfürung der Fallpauschalen für Krankenhäuser vor 20 Jahren als großen Fehler. Gesundheitsminister Lauterbach will davon abkehren und einen verbindlichen Personalschlüssel anlegen, der Kliniken vorschreibt, wie viel Personal sie für die jeweilige Versorgungsleistung einstellen müssen. Auf diesem Wege soll verhindert werden, dass private Krankenhausbetreiber ihr Personal ausbeuten können und so immense Gewinne generieren. "Denn Gesundheitsvorsorge ist für mich Daseinsvorsorge, und deswegen muss man in der Personal investieren. Und deshalb ist ein Personalschlüssel aus meiner Sicht auch die Lösung um Kliniken in der Region zu retten", brachte Faeser ihre Meinung auf den Punkt.
Hubertus Heil brachte an dieser Stelle auch den sozialen Wohnungsbau ins Spiel, zu dem die aktuelle Regierung mit einem Budget von 18 Millarden Euro im großen Stil zurückgekehrt sei. Bezahlbare Wohnungen sind gerade in Ballungsräumen wichtig, damit sich potenzielles Krankenhauspersonal auch das Wohnen dort leisten kann. Leider sei jedoch dank des Ukraine-Krieges hier etwas Sand ins Getriebe gekommen, die Baukosten sind zwischenzeitlich regelrecht explodiert. Aber die Zielsetzung steht und muss nach Ansicht von Heil auch unbedingt weiter verfolgt werden.
Pünktlich nach anderthalb Stunden endete der gut besuchte Bürgerdialog in der Hattersheimer Stadthalle. Beide Bundesminister standen im Anschluss dem Publikum noch gerne für Selfies zur Verfügung.