von Dieter Press
Geschichtliches
über die Gemeinde Bischem
In der vorigen Ausgabe des Lokal-Anzeigers wurde von der ergreifenden Feier bei der Ehrenmaleinweihung für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges an der evangelischen Kirche in Bischofsheim berichtet. Tausende konnten an diesem 30. Oktober 1932 erstmals die Weihereden und die Gesangsdarbietungen staunend über Großlautsprecher, weit über den Veranstaltungsort hinaus, hören und mitverfolgen.
Bischemer Sängerpräsident in Brasilien
Großes Interesse zeigte die Bischofsheimer Bevölkerung in den letzten Wochen des Jahres 1932 auch an den mehrfach veranstalteten Schülerkonzerten. 1000 Besucher eines solchen Konzerts, dessen Leiter Lehrer Weinsheimer war, waren keine Seltenheit. Zu diesem Zeitpunkt kam auch aus Südamerika die Nachricht, dass in Brasilien ein Bischemer, nämlich der 1923 ausgewanderte Karl Herschel, ein ehemaliges Mitglied des Gesangvereins Germania, zum 1. Vorsitzenden des Deutschen Sängerbundes von Brasilien gewählt worden war. Waren das recht erfreuliche Nachrichten, so erschütterte am Jahresende erneut – auch die Bischofsheimer – eine Hiobsbotschaft auf hochpolitischem Gebiet: Wurden an Neujahr 1931 noch 24 Millionen Erwerbslose gezählt, so waren es Ende 1932 bereits 30 Millionen und auch in Bischofsheim war man reichlich verbittert über die eigene und die allgemeine Notlage.
Hungermarsch nach Darmstadt
So schlitterte man hinein in das Jahr 1933. Dieses Jahr war ein „Sonntagskind“ und Sonntagskindern soll es ja bekanntlich gut gehen. Ob es sich bewahrheitet?, fragte man sich am Sonntag, dem 1. Januar. Am 15. Januar kehrte der Radfahrer-Vereins 1897, gekrönt mit der Deutschen Meisterschaft im 8er-Kunstreigenfahren und Karl Walther als Deutscher Meister im 1er-Kunstfahren aus Hannover zurück, und am gleichen Tag wurde die Sportvereinigung 07 Fußballmeister in der A-Klasse. Waren das immerhin Freudentage in unserer Gemeinde, so hatte sich die Lage im Reich und in den Ländern bedrohlich zugespitzt. Ein Hungermarsch nach Darmstadt wurde von den hessischen Kommunisten angesetzt. Man wollte den Staatspräsidenten über die Not der Erwerbslosen aufklären. Und tatsächlich kamen am 23. Januar 1933, um Mitternacht, 500 bis 600 Männer und Frauen, bei 10 Grad Kälte und bei einem schneidenden Nordostwind, aus Richtung Mainz gezogen und marschierten durch die damalige Bischemer S-Kurve, an der alten Dorfschmiede vorbei, in Richtung Darmstadt. Wie wird ein solches Drama wohl enden?, fragte man sich in Bischofsheim. Am nächsten Tag war zu erfahren, dass die Erwerbslosen von der Hessischen Landesregierung gar nicht empfangen worden waren. Man sei über die Not der Erwerbslosen orientiert, wurde erklärt und Besprechungen wie sie der Erwerbslosenrat fordere, nützten erfahrungsgemäß überhaupt nichts.
Adolf Hitler löst Reichstag auf
Da brachte der 30. Januar 1933 plötzlich eine Wende in der hohen Politik. In Berlin überstürzten sich die Ereignisse. Der Führer der Nationalsozialisten, Adolf Hitler, wurde Reichskanzler und die dadurch entstandene Wendung übertrug sich fast gleichzeitig über das ganze Deutsche Reich, zumal der Rundfunk damals sofort als Propagandamittel ausgenutzt wurde. In Bischofsheim nahm man diese politische Umwälzung nur an den Lautsprechern und aus den Zeitungen zur Kenntnis. Wohl horchte man erstaunt auf, als zwei Tage später Hitler schon den Reichstag auflöste und Neuwahlen kurzfristig auf den 5. März ansetzte. Da Fastnachtszeit war, reihte sich in Bischofsheim trotzdem eine närrische Veranstaltung an die andere. U.a. fand zum 25-jährigen Bestehen der SV 07 eine große Jubiläumssitzung statt und der „Liederkranz“ war mit seinem Dirigenten Christel Berg im Rundfunk zu hören.
Reichstagsgebäude steht in Flammen
Dann kam wenige Tage vor der angesetzten Reichtagswahl – man schrieb den 27. Februar 1933 – die Meldung, dass das Reichstagsgebäude in Berlin in Flammen aufgegangen sei. Brandstifter sollen die Kommunisten sein, war zu hören. Es können aber auch die Nazis selbst gewesen sein, das war eine weitere Meinung, die auch in Bischofsheim kursierte. „Denn nun haben die Nazis einen Anhaltspunkt, sämtliche sozialdemokratische und kommunistische Zeitungen zu verbieten“, hörte man damals vielerorts sagen. (Wird fortgesetzt!)
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